„Wallfahrt der Versöhnung“ oder „Brünner Lebensmarsch“ über 32 Kilometer vom Massengrab Pohrlitz/Pohořelice nach Brünn. (Bild: Ackermann-Gemeinde/Matthias Dörr)
Brünner Lebensmarsch

Zeichen des Bedauerns und der Versöhnung

Erstmals haben die Tschechen symbolhaft ihr Bedauern für die Vertreibung der Sudetendeutschen ausgedrückt: In einer „Wallfahrt der Versöhnung“, auch „Brünner Lebensmarsch“ genannt, gingen mehrere hundert Tschechen und Deutsche den Weg des Brünner Todesmarsches vor 70 Jahren in entgegengesetzter Richtung. In Brünn wurden sie festlich von führenden Politikern empfangen.

Es war ein Symbol von historischer Bedeutung, die „Wallfahrt der Versöhnung“, auch „Brünner Lebensmarsch“ genannt: Vom Massengrab bei Pohrlitz/Pohořelice, wo im Jahr 1945 rund 890 Opfer des Brünner Todesmarsches verscharrt wurden, liefen zunächst 300 Tschechen und Deutsche die 32 Kilometer in die Stadt Brünn – bewusst und symbolhaft in Gegenrichtung des Brünner Todesmarsches genau vor 70 Jahren.

An der abschließenden Gedenkveranstaltung im Hof des früheren Klosters Altbrünn am Mendelplatz nahmen gut 800 Deutsche und Tschechen teil, darunter auch viele Sudetendeutsche und deren Nachfahren. Dabei waren auch Politiker beider Nationen, unter anderem der Brünner Oberbürgermeister Petr Vokřal sowie der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und langjährige CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt.

Zu Beginn der Wallfahrt hatte Monsignore Anton Otte, der Repräsentant der sudetendeutsch-katholischen Ackermann-Gemeinde in Prag und Probst des Prager Vyšehrad, zusammen mit einem tschechischen katholischen Priester und einer evangelischen Pfarrerin am Massengrab in Pohrlitz/Pohořelice eine ökumenische Andacht abgehalten. Die „Wallfahrt der Versöhnung“ setzte sich daraufhin mit rund 300 Deutschen und Tschechen über die 32 Kilometer in Richtung Brünn in Bewegung. Am Brünner Stadtrand stießen die prominenten Gäste und Politiker dazu, ehe im Innenhof des Mendel-Klosters eine abschließende Gedenkveranstaltung stattfand.

Posselt beeindruckt von Versöhnungsbereitschaft der heutigen Brünner

„Besonders ergreifend war, mit einem guten Dutzend Überlebender des Todesmarsches neben dem Massengrab in Pohrlitz über dieses grauenhafte Ereignis sprechen zu können, wobei sie alle vehement für eine Versöhnung auf der Basis von Wahrheit und Recht plädierten“, erklärt Bernd Posselt. In Brünn habe eine zur Aufarbeitung der Geschichte bereite tschechische Jugend die Szene beherrscht. Oberbürgermeister Petr Vokřál habe mit beispiellosem Mut seine Entschlossenheit bekundet, die Zusammenarbeit mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft über das vom Brünner STadtrat ausgerufene „Jahr der Versöhnung“ 2015 hinaus fortzusetzen, auch mit spektakulären Aktivitäten, lobte Posselt.

Besonders beeindruckte den langjährigen CSU-Europaabgeordneten folgende Geste des Brünner Oberbürgermeisters: „Bevor Vokřál die Resolution des Stadtrates gegen Vertreibung und Kollektivschuld in beiden Sprachen verlas – auch dies ein starkes Symbol –, wandte er sich grüßend an den deutschen und den österreichischen Botschafter sowie an mich als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe mit den Worten, wir seien diejenigen, die mit dieser Erklärung besonders verbunden seien. Sein bedeutsamer Schritt soll also nach eigenem Bekunden im europäischen Geist fortgesetzt werden.“

Todesmarsch: 20.000 Brünner wurden vertrieben, bis zu 5200 Tote

Am 31. Mai 1945 hatte der Brünner Todesmarsch begonnen: Die 20.000 damals noch verbliebenen deutschen Brünner – meist Frauen, Kinder und Alte, auch Kleinkinder und Säuglinge – wurden zunächst nachts brutal aus ihren Häusern gejagt und im Innenhof des Augustiner-Klosters in Alt-Brünn zusammengetrieben. Dieses Kloster wird wegen des früheren Abtes und Genetik-Pioniers Gregor Mendel auch „Mendel-Kloster“ genannt.

Von dort wurden die 20.000 Brünner anderntags in Richtung niederösterreichische Grenze getrieben, die rund 60 Kilometer entfernt liegt. Viele waren den Strapazen nicht gewachsen. Unterschiedliche Schätzungen gehen von 2000 bis zu 5200 Toten aus. Allein beim Dorf Pohrlitz/Pohořelice, auf halbem Wege, wurden 890 Todesopfer verscharrt.

Jahrzehntelang war der Brünner Todesmarsch ein Tabuthema in der Tschechischen Republik. Auch nach 1989 blieb der Mantel des Schweigens. Erst vor wenigen verabschiedete der Brünner Stadtrat eine Versöhnungsdeklaration. Sie sei eine Entschuldigung an die Opfer und eine Botschaft an die heutige Generation, sagte Oberbürgermeister Petr Vokřal: „Ich glaube, jetzt ist die richtige Zeit dafür, auch weil die Generation, die das erlebt hat, einfach langsam ausstirbt. Ich glaube, es ist die richtige Zeit, laut zu sagen, dass das nicht in Ordnung war.“

Umstrittenes Schuldeingeständnis

Doch die Entscheidung ist in der zweitgrößten tschechischen Stadt umstritten. Die Kommunisten im Stadtrat stimmten gegen die Deklaration. Die Vertreter der Sozialdemokraten und der konservativen ODS verließen aus Protest den Sitzungssaal. Für die Entschuldigungs-Erklärung stimmten die Partei ANO, die Christdemokraten KDU-ČSL sowie die Partei TOP09 des ehemaligen Außenministers Karl Fürst Schwarzenberg.

Auf dem Sudetendeutschen Tag war vor einer Woche mit großem Interesse registriert worden, dass erstmals ein tschechischer Regierungsvertreter, Vizepremier und KDU-ČSL-Vorsitzender Pavel Bělobrádek per Videobotschaft um Verzeihung für die Vertreibung bat (Bayernkurier berichtete).