Angelika Niebler ist die Chefin der CSU-Europagruppe. (Bild: Nikky Maier)
Europa

„Das Beste, was uns passieren konnte“

Interview Die Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Angelika Niebler, erläutert im Interview mit Chefredakteur Marc Sauber, warum die EU nur geeint Erfolg haben kann und warum die Gemeinschaft reformiert werden muss.

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin

Lesen Sie hier eine gekürzte Version. Das vollständige Interview ist abgedruckt im aktuellen BAYERNKURIER-Magazin.

Frau Niebler, die EU startete als leuchtendes Friedensprojekt – heute steckt sie massiv in der Krise. Wie konnte das passieren?

In der Tat haben wir unsere Probleme in Europa, da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Aber ich glaube, dass nach wie vor gilt: Europa ist das Beste, was uns passieren konnte. In der Welt schauen die Menschen auf diese einzigartige Verbindung von Staaten unterschiedlicher Kulturen, die nun schon über viele Jahrzehnte ein Leben in Frieden und Freiheit gesichert hat. Mehr denn je sind wir Europäer jetzt gefordert. Wir müssen zusammenarbeiten und versuchen, die riesigen Herausforderungen, die von der ganzen Welt auf uns zukommen, gemeinsam zu lösen. Das ist der einzig richtige Weg.

Die Zeit für eine grundlegende Neuordnung Europas scheint gekommen zu sein. Welche Kompetenzen gehören in die Nationalstaaten, welche nach Brüssel?

Das Thema Sicherheit zählt gewiss zu den Kernaufgaben der Europäischen Union. Vor allem mit Blick auf die Krisenregionen in den Anrainerstaaten, aber auch angesichts der Migrationsbewegungen. Das heißt, dass wir bei der Grenzsicherung intensiv zusammenarbeiten müssen. Hier sind bereits eine Reihe von Maßnahmen und Entscheidungen auf den Weg gebracht worden.

Beispielsweise bei der europäischen Grenz- und Küstenwache, für deren Arbeit wir mehr Finanzmittel freigegeben haben und die personell aufgestockt worden ist. Außerdem müssen wir viel mehr unternehmen, um Nordafrika und die Krisenherde um die EU herum zu stabilisieren. Aber auch mit Blick auf die strategischen Veränderungen, die sich durch die Ankündigungen von US-Präsident Trump abzeichnen, müssen wir uns in unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärker auf die eigenen Kräfte besinnen und uns ‚europäischer‘ aufstellen. Auch der Abschluss von Handelsverträgen ist Sache der Europäischen Union. Der Abbau von Handelshemmnissen im Binnenmarkt ist wichtig, gerade für unsere exportorientierte Wirtschaft und damit unsere Arbeitsplätze. Das sind große Aufgaben. Auf der anderen Seite sollten wir den Grad der Regulierungen – beispielsweise in der Agrarpolitik – überdenken. Da kann man die  Bürokratie massiv zurückschrauben. Und mit Blick auf die Strukturfördermittel ist es nun auch an der Zeit, kritisch zu hinterfragen, ob wirklich jede Dorferneuerung über die EU finanziert werden muss.

Wenn Sie derzeit nach Frankreich oder in die Niederlande schauen – wie realistisch sind die Reformvorhaben angesichts der Tatsache, dass die nationalen Egoismen zunehmen?

Die große Verantwortung aller, die sich für ein gemeinsames Europa stark machen, liegt darin aufzuzeigen, was jedem einzelnen, jedem Mitgliedsstaat und uns als Gemeinschaft die EU gebracht hat. Europa hat viele Schwächen, aber die Europäische Union hat eben auch viele Stärken. Dass wir Frieden und Freiheit und Wohlstand in fast allen Mitgliedstaaten haben, kommt nicht von ungefähr. Schauen wir auf Bayern: Wir sind als exportorientierte Wirtschaft wie kein anderes Land angewiesen auf offene Grenzen, auf den Binnenmarkt, auf Abbau von Handelshindernissen. Wir haben ein großes Interesse daran, dass dies so bleibt.

Die CSU hat jüngst einen Reformplan für Europa vorgelegt. Welche Leitlinien stecken dahinter?

Wir wollen kein zentralistisches Europa, wir wollen ein Europa der Bürger und der starken Regionen. In einigen Bereichen brauchen wir mehr Europa, wie zum Beispiel bei der Verteidigung und Sicherheit. Aber wir müssen auch prüfen, welche Kompetenzen in die Verantwortung der Nationalstaaten zurückgegeben werden können. Dort, wo wir Europa brauchen, brauchen wir ein starkes Europa, aber dort, wo Europa überflüssig ist, da soll sich Europa auch zurückziehen.

Die griechische Schuldenkrise hat die EU an die Grenzen geführt, die Flüchtlingsproblematik hat die nationalen Egoismen ans Tageslicht gebracht. Was ist das Verbindende, was hält die EU zusammen?

In erster Linie unsere Werte, unsere Grundrechte: die Meinungsfreiheit, die Würde des Menschen, unser christliches Menschenbild, das alle Mitgliedsstaaten teilen. Bei Fragen nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gibt es in manchen Mitgliedsstaaten aktuell leider Entwicklungen, die besorgniserregend sind – wie zum Beispiel in Rumänien oder in Polen. Andererseits ist es doch aber auch bewegend zu sehen, dass in Rumänien jetzt hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen sind und gegen Korruption und für einen Rechtsstaat gekämpft haben. Das ist – trotz der betrüblichen Umstände – eine gute Entwicklung, dass die Menschen aufbegehren, sich der gemeinsamen Werte bewusst werden und dafür eintreten.

Was könnte Europa den Menschen wieder näher bringen und zu etwas Begehrenswertem machen?

Ich finde, Europa ist begehrenswert! In ganz Europa reisen, leben und arbeiten zu können, ist für mich nach wie vor faszinierend. Wenn ich feststelle, wie die junge Leute heute selbstverständlich in ganz Europa unterwegs sind, dann finde ich, brauchen wir nicht unbedingt ein neues Narrativ, keine neue Erzählung, keine neue Vision oder Idee. Dieses Europa ist nach wie vor faszinierend – mehr denn je! Auch wenn ich mir die Entwicklungen weltweit anschaue.

Antonio Tajani ist der neue Mann an der Spitze des EU-Parlaments. Sie kennen ihn lange – wie schätzen Sie ihn ein?

Antonio Tajani ist ein sehr integrer Politiker, durch und durch überzeugter Europäer, der viel Expertise, Know-how und Erfahrung mit in dieses Amt bringt. Er kennt die Europäischen Institutionen, er weiß, wie Europapolitik gemacht wird. Er hat auch immer wieder betont, er ist ein Präsident, der die Meinung des Europäischen Parlaments vertritt und nicht in erster Linie seine eigene politische Agenda verfolgt. Das finde ich, gerade nach der langen Amtszeit seines Vorgängers Schulz, erfrischend.

Auch den SPD-Spitzenkandidaten haben sie viele Jahre aus nächster Nähe verfolgt. Wie bewerten Sie Martin Schulz?

Er hat es sicher geschafft, dem Europäischen Parlament politisches Gewicht zu verleihen, das möchte ich gar nicht abstreiten. Doch viele meiner Kollegen und mich selbst hat am Ende seiner Amtszeit sehr gestört, dass er seine eigene, sozialistische Agenda verfolgt hat und wir als Parlament uns nicht immer durch ihn repräsentiert gefühlt haben. Unser Eindruck war, dass schon sehr viel Parteipolitik gemacht wurde – und das finde ich nicht gut. Das entwertet auch dieses Amt.

Wenn Sie beispielsweise an die Griechenlandkrise denken, für welche Position stand damals Martin Schulz?

Der rote Faden, der sich durch seine Amtszeit zog, war, dass wir europäische Töpfe schaffen und dann im großen Ausmaß umverteilen – vom reichen Norden in den armen Süden der EU. Schulz steht für Eurobonds, für die Vergemeinschaftung der Schulden in Europa. Und dann stellt sich die Frage, was daran sozial gerecht sein soll, wenn deutsche Sparer für griechische Schulden zahlen müssten. Auch Überlegungen zur europäischen Arbeitslosenversicherung und kurzum alle Instrumente, die auf eine Umverteilung auf europäischer Ebene abzielen, halte ich für grundfalsch.