Ein Macher für Frankreich
Aus der aktuellen Ausgabe des BAYERNKURIER-Magazins: Präsidentschaftskandidat Franςois Fillon will für sein Land eine große Wirtschaftsreform – und eine Wende bei der Einwanderungspolitik. Von Deutschland erwartet er mehr Unterstützung bei militärischen Einsätzen, etwa in Afrika. Schicksalhafte Herausforderung ist ihm Frankreichs Krieg gegen den islamischen Totalitarismus.
Frankreich

Ein Macher für Frankreich

Aus der aktuellen Ausgabe des BAYERNKURIER-Magazins: Präsidentschaftskandidat Franςois Fillon will für sein Land eine große Wirtschaftsreform – und eine Wende bei der Einwanderungspolitik. Von Deutschland erwartet er mehr Unterstützung bei militärischen Einsätzen, etwa in Afrika. Schicksalhafte Herausforderung ist ihm Frankreichs Krieg gegen den islamischen Totalitarismus.

Pech für Frankreichs neue Regierung: Wenn Franςois Fillon, Präsidentschaftskandidat der bürgerlichen Les Républicains, am kommenden 7. Mai die Stichwahl um die Präsidentschaft gewinnt, dann wird er Frankreichs Politik Unerhörtes zumuten: „Die neue Mehrheit wird keine Ferien bekommen.“ August hin oder her. In seiner geradezu spannend zu lesenden programmatischen Schrift mit dem lakonischen Titel „Faire“ – Machen – hat Fillon es vor über einem Jahr angedroht. Denn für Ferien hat das von der „Staatspleite“ (Fillon) bedrohte Frankreich keine Zeit mehr.

Zehn Sofort-Maßnahmen und zwei Referenden

Mitte Juni, nach der Parlamentswahl, wird sich die neue republikanische Mehrheit – nach der Präsidentschaftswahl schenken die Wähler ihrem neuen Präsidenten in aller Regel auch eine funktionsfähige Parlamentsmehrheit – im Palais Bourbon versammeln. Ihr stehen dann „drei Monate intensiver Aktivität“ bevor.

Ich bin an der Spitze eines Staates, der vor dem finanziellen Bankrott steht. Ich bin an der Spitze eines Staates, der seit fünfzehn Jahren ein chronisches Defizit hat. Ich bin an der Spitze eines Staates, der seit 25 Jahren nie mehr einen ausgeglichenen Haushalt verabschiedet hat. Das kann so nicht weiter gehen.

Franςois Fillon, am 21. September 2007

Etwa zehn Maßnahmen will Fillon, so er denn tatsächlich Präsident wird, von Juni bis September sofort umsetzen: Abschaffung der 35-Stunden-Woche, Erhöhung des Rentenalters auf 65 Jahre, drastische Vereinfachung des Arbeitsrechts, Reform des Steuersystems und der Sozialleistungen und ein paar andere Dinge mehr.

Der bald 63-jährige Fillon weiß nur zu gut, wie es um sein Land steht. Seit 40 Jahren ist die Politik sein Geschäft, in Paris und im westfranzösischen Heimat-Département Sarthe, nahe der Bretagne. 1981 wurde der junge Jurist und Politikwissenschaftler zum ersten Mal für die gaullistische RPR in die Nationalversammlung gewählt – als jüngster Abgeordneter mit 27 Jahren. Für Präsident Jacques Chirac wirkte er als Postminister, Sozialminister und zwei Mal als Bildungsminister. Nicolas Sarkozy diente er vom ersten bis zum letzten Tage seiner Präsidentschaft als Premierminister. Immer wollte er reformieren. Immer wurde er gebremst oder abgeblockt. „Ich bin an der Spitze eines Staates der finanziell bankrott ist, der seit fünfzehn Jahren ein chronisches Defizit hat und seit 25 Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorgelegt hat. Das kann so nicht weitergehen.“ 2007 hat er das gesagt, gerade zum Premier ernannt. Sarkozy tobte. Fillon steckte zurück. Sollte er jetzt Präsident werden, kann er handeln.

Den ganzen nächsten Sommer wird dann Frankreich debattieren, vibrieren. Denn gleich nach dem Ferienmonat will Fillon auch die Wähler einspannen: Mitte September wird er ihnen zwei Verfassungsreferenden präsentieren. Im einen soll es um eine umfassende politische Reform gehen: Reduzierung der Zahl der Abgeordneten, der Senatoren und der regionalen Verwaltungsebenen.

Assimilation statt Integration

Bedeutsamer ist jedoch das andere Referendum: über eine große Einwanderungsreform. Fillon will in der Verfassung verankern, dass Einwanderung künftig von der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit Frankreichs abhängt. Und weiter: „Ich will, dass das Parlament jedes Jahr Quoten für die gesamte legale Einwanderung entscheidet.“ Diese Quoten sollen dann auch für Familienzusammenführung gelten, „die strikt von Integrationsperspektiven abhängig sein muss“.

Das könnte unbequem werden  – besonders für die Politik auf der anderen Seite der Rheingrenze, für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Denn drei Monate lang, exakt bis zum Termin der Bundestagswahl, wird es in Frankreich ganz prominent um ein großes Thema geben: Obergrenze, Obergrenze, Obergrenze. Völlig klar ist: Wenn Frankreichs Parlament über eine Einwanderungsquote – Obergrenze – entscheidet, wird die deutlich näher bei 20.000 liegen als bei 200.000.

Die Einwanderung muss aufhören, eine Last für die Nation zu sein.

Franςois Fillon

Das  ist längst parteiübergreifender Konsens. Manuel Valls, bis vor kurzem Frankreichs sozialistischer Premier, wollte 2016 nur 30.000 Asylbewerber aufnehmen. Bis zum Jahresende sind es über 90.000 geworden. 80 Prozent von ihnen, erinnert Fillon, werden regelmäßig abgewiesen und bleiben dennoch – als illegale Einwanderer. Die Asylsituation „bringt alle unsere Sozial- und Unterbringungseinrichtungen in Gefahr“, warnt der Präsidentschaftskandidat. „Die Einwanderung muss aufhören, eine Last für die Nation zu sein.“

Dazu soll eine weitere Sofortmaßnahme kommen: Ab dem neuen Schuljahr will Fillon in französischen Staatsschulen für Zuwandererkinder keinen muttersprachlichen Unterricht mehr erteilen lassen, etwa in Arabisch. Hinter der Ankündigung verbirgt sich ein großes Umsteuern bei der Integrationspolitik: Fillon will Assimilation statt Integration.

Muslime unter Aufsicht

In seinem westfranzösischen Heimatort Sablé-sur-Sarthe hat er im vergangenen August in einer Grundsatzrede ausgeführt, wie er das meint: „Ich möchte den Muslimen Frankreichs jene gemeinsamen Regeln aufzwingen, die die Christen und die Juden akzeptiert haben, oft nach langen Kämpfen. Das ist keine Option. Das ist die unverhandelbare Bedingung für ihre Aufnahme in der Mitte der nationalen Gemeinschaft.“ Der Islam in Frankreich soll „strikter administrativer Kontrolle“ unterworfen werden, „solange seine Integration in die Republik nicht erreicht ist“. Wenn es nach Fillon geht, sollen in Frankreich geborene Kinder von Einwanderern die französische Staatsbürgerschaft nur noch erhalten, wenn sie „Kriterien der Assimilation“ genügen.

Nein, wir haben kein religiöses Problem in Frankreich. Ja, wir haben ein Problem, das mit dem Islam zu tun hat.

Franςois Fillon

Für den Präsidentschaftskandidaten der Républicains geht es dabei um nichts Geringeres als um die Einheit der Nation. Muslimbrüder, Salafisten und muslimische Gegengesellschaft, sagt Fillon, bringen sie nun in Gefahr: „Wir müssen aufhören, so zu tun als ob: Nein, wir haben kein religiöses Problem in Frankreich. Ja, wir haben ein Problem, das mit dem Islam zu tun hat.“

Die ganz große Herausforderung für Frankreich und möglicherweise den neuen Präsidenten ist nach Fillon der Krieg, den die Terroristen des Islamischen Staats dem Land aufgezwungen haben. Ein Feind, mit dem man nicht verhandeln kann und mit dem es nichts zu verhandeln gibt. „Vaincre le totalitarisme islamique“ – Den islamischen Totalitarismus besiegen – lautet der Titel seines erst im September erschienen kleinen Wahlkampf-Buches. Dieser Krieg, so Fillon, „wird noch lange dauern und in der ganzen Welt noch Hunderttausende von Opfern kosten“. Und Frankreich große Entschlossenheit abverlangen: „Krieg führt man nicht nur halb.“

Wenn es im Nahen Osten keine Juden und keine Christen mehr gibt, weil die von dort vertrieben worden sind – glauben Sie, dass dann die europäischen Völker auf ihrem Kontinent noch Muslime ertragen werden?

Franςois Fillon

„Wir müssen die Christen des Orients retten“, fordert der bewusste Katholik Fillon in seinen Schriften und Reden. Nicht nur, weil das Thema die Franzosen viel mehr bewegt als etwa die Deutschen und weil er sich einen Orient ohne Christen nicht vorstellen will. Sondern weil Fillon hier große Gefahr für den konfessionellen Frieden heraufziehen sieht, in der Welt – und eben in Frankreich. Dem iranischen Ajatollah Rafsandschani hat er es drastisch erklärt, als der gegen das Existenzrecht der Juden in Israel hetzte. Fillon: „Wenn es im Nahen Osten keine Juden und keine Christen mehr gibt, weil die von dort vertrieben worden sind – glauben Sie, dass dann die europäischen Völker auf ihrem Kontinent noch Muslime ertragen werden?“ Das „infernalische Szenario“ könnte in einen Dritten Weltkrieg führen, warnt der Präsidentschaftskandidat.

Frankreichs Souveränität

Was bedeutet das alles für die Europäer und für den Nachbarn Deutschland? Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn enttäuscht. Denn Fillon erwartet von Deutschland einen größeren Beitrag zum Krieg gegen islamistischen Terror – in Mali, Zentralafrika und anderswo. „Paris übernimmt weit mehr als seinen Anteil an der Verteidigung der Lebensinteressen Europas. Es ist an der Zeit, dass Berlin diese Bürde auch trägt.“ Fillon will dafür keine Europäische Armee, „die weder Legitimität noch einheitliches Kommando hätte“. Aber er will die Lasten und die Mittel geteilt sehen.

Paris übernimmt weit mehr als seinen Anteil an der Verteidigung der Lebensinteressen Europas. Es ist an der Zeit, dass Berlin diese Bürde auch trägt.

Franςois Fillon

Für Europa fordert Fillon eine „politische Neugründung“. Er will Schengen neu verhandeln – mit weniger Partnern, sozusagen einer Schengen-Kerngruppe. Die EU soll eine richtige europäischen Grenz- und Küstenschutztruppe aufstellen, die als erstes „die berüchtigte Balkan-Autobahn“ abriegeln soll. Für die Eurozone will er „sans tarder“ – unverzüglich – eine Wirtschaftsregierung etabliert sehen. Sie soll die Steuersysteme harmonisieren und sich mit der Europäischen Zentralbank über die Geldpolitik verständigen – „so wie das alle Regierungen mit ihren Zentralbanken tun“.

Mein Frankreich ist zuerst eine stolze Nation, die sich ihr Schicksal nicht aufzwingen lässt.

Franςois Fillon

Das alles mag halbwegs europäisch klingen. Aber Fillons europäische Gesinnung hat Grenzen. „Unsere Unterwerfung unter den schädlichen Prozess der europäischen Entscheidungsfindung, der nur kleine und mediokre Kompromisse hervorbringt, passt nicht zum Streben der Franzosen und zu dem Platz den Frankreich in den Herzen vieler Menschen in der ganzen Welt einnimmt“, hat er im August in Sablé-sur-Sarthe auch gesagt. Die Nation und ihre Einheit gehen ihm über alles: „Mein Frankreich ist zuerst eine stolze Nation, die sich ihr Schicksal nicht aufzwingen lässt.“

Wir sind einzigartig!

Franςois Fillon

Wenn es einen Begriff gibt, der „definiert, was wir sind“, dann ist das für Fillon „das schöne Wort von der Souveränität“. Frankreichs Identität, sagt er, ist seine Souveränität. Und in Kriegszeiten mehr denn je. Ein Präsident Fillon wird stets auf sein Verständnis von französischer Souveränität pochen. Besonders in Brüssel. „Wir sind einzigartig!“ Auch dieser schöne Satz ist am Flüsschen Sarthe gefallen. Fillon meint ihn so, wie er klingt. Die meisten Franzosen übrigens auch. Ganz unrecht haben sie gar nicht mal.