Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament. (Bild: Büro Weber)
EU-Parlament

Es kann nur einen geben

Bei der Wahl des künftigen EU-Parlamentspräsidenten hat auch die zweite Abstimmungsrunde noch keine Entscheidung gebracht, bis zum Abend soll aber der neue Parlamentspräsident bekannt sein. Sechs Kandidaten treten an. Ärger gab es im Vorfeld, weil die Sozialisten eine Vereinbarung mit den Christdemokraten gebrochen haben.

Bei der Wahl des künftigen EU-Parlamentspräsidenten hat auch die zweite Abstimmungsrunde noch keine Entscheidung gebracht, bis zum Abend soll aber der neue Parlamentspräsident bekannt sein. Keiner der sechs Kandidaten kam im zweiten Wahlgang auf die nötige absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, wie der noch amtierende Parlamentschef Martin Schulz mitteilte. Der konservative EVP-Kandidat Antonio Tajani aus Italien lag wie in der ersten Runde vorn und erzielte nun 287 Stimmen. Sein sozialistischer Gegenkandidat Gianni Pittella, ebenfalls aus Italien, kam wieder auf Platz zwei, diesmal mit 200 Stimmen. Die übrigen vier Kandidaten hatten jeweils nur wenige Dutzend Stimmen.

EVP und Liberale schließen neuen Pakt

Unmittelbar vor der Wahl schlossen EVP und Liberale einen politischen Pakt und verbesserten Tajanis Chancen dadurch deutlich. Der liberale Kandidat Guy Verhofstadt zog seine Bewerbung zurück. Die beiden Fraktionen vereinbarten eine gemeinsame politische Agenda. Darin ist unter anderem von einer Grundsatzdebatte und tiefen Reformen der EU und von einem möglichen Verfassungskonvent die Rede. In der ersten Runde am Vormittag hatten Tajani 274 und Pittella 183 Stimmen bekommen. Für den Nachmittag und Abend sind noch zwei weitere Wahlgänge angekündigt.

Erst in der vierten Runde genügt eine einfache Mehrheit; dann treten auch nur noch die beiden bestplatzierten Kandidaten an. Schon vorher könnten Bewerber freiwillig ausscheiden. Das Parlament hat 751 Abgeordnete. Die EVP hat 217 Abgeordnete, die Sozialisten haben 189, die EKR 74 und die Liberalen 68. Hinzu kommen Linke mit 52 Sitzen, Grüne mit 51, Rechtspopulisten mit 40 Mandaten und die Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie mit 42. Außerdem gibt es 18 fraktionslose Abgeordnete. EVP-Kandidat Tajani könnte dank des Pakts mit den Liberalen in einem der nächsten Wahlgänge am Nachmittag oder Abend gewinnen, wenn er zusätzlich die Stimmen der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) bekommt.

Der Wortbruch der Sozialisten

Schulz hatte Ende November seinen Wechsel in die Bundespolitik bekanntgegeben, als Spitzenkandidat für die nordrhein-westfälische SPD im Bundestagswahlkampf. Eine informelle große Koalition zwischen Christ- und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament zerbrach am Wortbruch der Sozialisten. Der christdemokratische Fraktionschef Manfred Weber (CSU) warnte erst kürzlich die Sozialisten vor einem Erstarken von Populisten und Extremisten, falls die gemäßigten Kräfte im Parlament nicht an einem Strang ziehen. „Wer jetzt mit einer guten Tradition bricht und wessen Unterschrift nichts mehr wert ist, der erschüttert die Stabilität des Europäischen Parlaments als Institution“, so Weber. Er mahnte Sozialdemokraten und Liberale, sich an die Vereinbarung zu halten und die Zusammenarbeit im Parlament fortzusetzen. Die Tür dafür bleibe offen.

Wer jetzt mit einer guten Tradition bricht und wessen Unterschrift nichts mehr wert ist, der erschüttert die Stabilität des Europäischen Parlaments als Institution.

Manfred Weber

Webers Europäische Volkspartei pocht auf eine schriftliche Vereinbarung von 2014, wonach Schulz nach der ersten Hälfte der Legislaturperiode das Amt an einen Christdemokraten abgeben sollte. Weber veröffentlichte zum Beweis Anfang Januar die lange geheim gehaltene Abmachung. „Jene, die unsere Vereinbarung brechen, tragen die volle Verantwortung, sollten antieuropäische Kräfte Einfluss gewinnen“, machte Weber die Ehr- und Verantwortungslosigkeit des Handelns der Sozialisten deutlich.

Die Machtgierigen

Die Sozialdemokraten lassen ihren Wortbruch abperlen, obwohl sie sich damit als Verhandlungspartner dauerhaft unglaubwürdig gemacht haben. Denn wer sollte jetzt noch versuchen, mit ihnen nochmal politische oder personelle Absprachen zu treffen? Politische Arbeit und Mehrheitsfindung seien auch ohne den Pakt der großen Parteien weiter möglich, ohne auf radikale Kräfte angewiesen zu sein, hieß es als Ausrede aus der Sozialisten-Fraktion.

Eigentlich ging es den Sozialisten aber nur um die Macht: Es gehe nicht, dass die EVP neben den Ämtern des EU-Kommissionspräsidenten und des Ratspräsidenten nun auch noch die Spitze des Parlaments besetze, so die Sozialisten. Dies war allerdings schon am 24. Juni 2014 bekannt oder zumindest absehbar, als das Abkommen geschlossen wurde. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker amtiert seit dem 1. November 2014, wurde aber vom Europäischen Parlament schon am 15. Juli 2014 gewählt. Und schon vor der Europawahl am 25. Mai 2014 war im Parlament vereinbart worden, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion auch EU-Kommissionspräsident werden sollte – dies war die EVP mit Juncker. EU-Ratspräsident Donald Tusk amtiert seit dem 1. Dezember 2014, wurde aber schon auf dem EU-Gipfel am 30. August 2014 in Brüssel dazu gewählt. Auch hier begannen die Kandidaten-Diskussionen schon vor der Europawahl am 25. Mai, wie auch über das Amt der EU-Außenbeauftragten. Und eines ist auch klar: Spätestens am 30. August 2014 nach der Nominierung Tusks hätten die Sozialisten das Abkommen schon aufkündigen müssen, wenn man sich wirklich an zu vielen Konservativen in Spitzenämtern gestört hätte. So schlimm war das aber offenbar damals nicht, stellten doch die Sozialisten mit Federica Mogherini die einflussreiche EU-Außenbeauftragte.

Der Favorit

Bei Antonio Tajani wirkte der kurze Wahlkampf um das Präsidentenamt im Europaparlament wie eine große Umarmung. Mit Engelszungen umschmeichelte der 63-jährige Jurist aus Rom die Kollegen der anderen Fraktionen. „Wenn ich mit der Kommission verhandele, werde ich die Positionen der Minderheiten in den Blick nehmen“, versprach er. Nicht um eigene Stärke gehe es ihm, sondern um die Stärke des ganzen Parlaments. Der Kandidat der Europäischen Volkspartei ist bei den linken Parteien umstritten. Vorgehalten wird dem ehemaligen EU-Kommissar vor allem die Nähe zum früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi von der „Forza Italia“, dem Tajani einst als Pressesprecher diente. Er führte auch die römische Redaktion der Mailänder Tageszeitung Il Giornale, die der Familie Berlusconi gehört.

Auch zu seiner Zeit als EU-Industriekommissar gibt es kritische Fragen. Ende 2016 musste er sich vor dem zuständigen Untersuchungsausschuss im EU-Parlament für seine Rolle im Abgas-Skandal rechtfertigen, war er doch für die Regulierung der Autobranche zuständig. Die Abgeordneten warfen ihm vor, zu viel Rücksicht genommen zu haben. Dabei ist Tajani seit 1994 einer von ihnen – unterbrochen durch seine Zeit als Kommissar zwischen 2008 und 2014. Seit 2014 ist er einer der 14 Vizepräsidenten. Bei einer Podiumsdiskussion vor wenigen Tagen unterstrich er stolz, dass er bei seiner Wahl damals die meisten Stimmen bekommen habe. Das weise auf seinen breiten Rückhalt im Haus.

Der EU-Parlamentspräsident

Der Präsident vertritt das Europa-Parlament nach außen und in seinen Beziehungen zu anderen Einrichtungen der EU. Auch an Gipfeltreffen mit europäischen Staats- und Regierungschef nimmt er zeitweise teil. Im Parlament leitet er Plenardebatten und sorgt dafür, dass die Geschäftsordnung eingehalten wird. Er wird für zweieinhalb Jahre – also die halbe Legislaturperiode – gewählt.

Das monatliche Grundgehalt beträgt – wie das aller 751 Abgeordneten – knapp 8500 Euro vor Steuern. Hinzu kommen Zuschläge und Pauschalen. Um die Kosten etwa für Hotels und Verpflegung zu decken, bekommt jeder Abgeordnete pro Sitzungstag bei Anwesenheit 306 Euro. Der Präsident bekommt die Pauschale an jedem Tag des Jahres. Bei einem Monat mit 30 Tagen ergibt das 9180 Euro. Außerdem werden den Parlamentariern Reisekosten gezahlt, ebenso eine monatliche Pauschale – etwa für Bürokosten – in Höhe von 4320 Euro (Stand 2015). Das Plenum tagt in der Regel im ostfranzösischen Straßburg, die Ausschüsse arbeiten im belgischen Brüssel.