Wird die Bundeswehr Incirlik verlassen?
Die Bundeswehr muss sich darauf vorbereiten, ihre Tornado-Aufklärer und Airbus-Tankflugzeuge vom türkischen Stützpunkt Incirlik abzuziehen. Als Strafe für die Armenienresolution des Bundestages erlaubt Ankara deutschen Abgeordneten keine Bundeswehr-Besuche in Incirlik − und hält an dem Verbot fest. Jetzt drohen die Parlamentarier, das Mandat für den Einsatz in der Türkei nicht zu verlängern.
Türkei

Wird die Bundeswehr Incirlik verlassen?

Die Bundeswehr muss sich darauf vorbereiten, ihre Tornado-Aufklärer und Airbus-Tankflugzeuge vom türkischen Stützpunkt Incirlik abzuziehen. Als Strafe für die Armenienresolution des Bundestages erlaubt Ankara deutschen Abgeordneten keine Bundeswehr-Besuche in Incirlik − und hält an dem Verbot fest. Jetzt drohen die Parlamentarier, das Mandat für den Einsatz in der Türkei nicht zu verlängern.

Die Bundeswehr bereitet sich offenbar auf den Abzug von der türkischen Luftwaffenbasis in Incirlik vor. Entsprechende Presseberichte bestätigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zumindest indirekt: „Die Bundeswehr würde gerne den gemeinsamen Kampf gegen den IS von der Nato-Basis Incirlik aus fortführen“, so die Ministerin zu den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland der in Hannover ansässigen Madsack Mediengruppe. Auf die Frage, ob die Bundeswehr auf einen schnellen Abzug vorbereitet sei, ergänzte die Ministerin: „Kluge militärische Planung sieht immer auch Ausweichmöglichkeiten vor.“ Aus dem Verteidigungsministerium hieß es außerdem: „Wir würden den Einsatz gerne von der Türkei aus fortsetzen, der Standort Incirlik ist für unsere  Mission aber nicht alternativlos.“ Die Bundeswehr unterstützt von dort aus derzeit mit mehreren Tornado-Aufklärungsflugzeugen und Airbus A310 MRTT Tankflugzeugen den Kampf gegen den Islamischen Staat.

Wir würden den Einsatz gerne von der Türkei aus fortsetzen, der Standort Incirlik ist für unsere Mission aber nicht alternativlos.

Bundesverteidigungsministerium

Die in Incirlik stationierte Bundeswehrtruppe umfasst außer den Flugzeugen etwa 240 Bundeswehrsoldaten. Problem: Das Bundestagsmandat für diesen Einsatz läuft im Dezember aus – und der Bundestag scheint derzeit fest entschlossen, es nicht zu verlängern. Unter den Abgeordneten wächst der Unmut über ein Besuchsverbot für Bundestagsdelegationen bei den Bundeswehrsoldaten in Incirlik, das die Türkei im vergangenen Juni verhängt hat. Das Verbot betrifft auch eine Reise des Verteidigungsausschusses, die Abgeordnete aller Fraktionen für den 15. bis 17. September geplant und beschlossen haben und die von Bundestagspräsident Norbert Lammert auch schon genehmigt ist. Doch der türkische Ministerpräsident verweigert dazu die Erlaubnis. Jetzt erhöht der Bundestag den Druck auf Ankara.

Ankara will die Bundestagsabgeordneten bestrafen

Der Hintergrund für die eskalierenden Missstimmung zwischen Berlin und Ankara ist jene Armenienresolution des Bundestages vom 2. Juni. Darin bezeichneten die Abgeordneten mit großer Mehrheit – eine Nein-Stimme, eine Enthaltung – „die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier“ durch das Osmanische Reich 1915 und 1916 als „Völkermord“.

Die türkische Seite hat ganz konkret die Armenien-Resolution des Bundestages als Grund für die Besuchsabsage genannt.

Spiegel

Um die Bundestagsabgeordneten zu bestrafen, hat Ankara daraufhin das Besuchsverbot erlassen. Das bekam als erstes Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe zu spüren, der zusammen mit weiteren Bundestagsabgeordneten im Juli Incirlik hatte besuchen wollen. Die Türkei untersagte den Besuch, weil sie es nicht für angemessen halte, dass Politiker den Stützpunkt besuchten, so Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Einem Bericht von Spiegel Online zufolge wurde aber im Verteidigungsausschuss in vertraulicher Sitzung geklärt, dass die türkische Seite ganz konkret die Armenien-Resolution als Grund für die Absage genannt habe. Weder Verteidigungsministerin von der Leyen, die am 1. Juli demonstrativ nach Incirlik flog – allerdings ohne Bundestagsabgeordnete oder Journalisten – noch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf dem Nato-Gipfel in Warschau mit dem türkischen Präsident Recep Erdogan zusammentraf, konnten den Türken das Besuchsverbot ausreden.

Abgeordnete gegen Verlängerung des Mandats

Reaktion des Bundestages: Empörung. Schon im Juni hielt der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn, über eine mögliche Verlegung des deutschen Kontingents für möglich: „Wir müssen über alternative Standorte der Aufklärungstornados wie dem Luftwaffenstützpunkt im jordanischen Amman nachdenken, um uns in unserer Handlungsfähigkeit nicht einschränken zu lassen.“  Erdogan riskiere „als Konsequenz seines Verhaltens den Abzug der Bundeswehr“, warnte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: „Soldaten und Stützpunkte einer Parlamentsarmee müssen von Abgeordneten besucht werden können – immer und überall.“

Wenn es um ihr Selbstverständnis und um zentrale Befugnisse – Parlamentsarmee – geht, dann lässt eine Legislative, die sich ernst nimmt, nicht mit sich spielen.

Bunderstagspräsident Norbert Lammert deutete schon im Juli indirekt an, dass in der Angelegenheit die Verlängerung des Bundestagsmandats für den Bundeswehreinsatz in der Türkei auf dem Spiel stehe: „Vielleicht muss noch einmal verdeutlicht werden, dass der Bundestag dem Einsatz deutscher Soldaten im Ausland grundsätzlich nur zustimmt, wenn sie im Rahmen internationaler Missionen dort gebraucht werden und willkommen sind“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Dort, wo sie nicht willkommen seien, so Lammert, könnten sie nicht dauerhaft bleiben. Jetzt fordert auch der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold,  nachdrücklich den Abzug der deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge aus Incirlik. Eine Verlängerung des Bundestagsmandats hält er unter den gegebenen Umständen für „ausgeschlossen“.

Nimmt man Äußerungen von Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen aus den vergangenen beiden Monaten zusammen, dann entspricht Arnolds Forderung womöglich mehr oder weniger parteiübergreifendem Bundestagskonsens. Der Regierung wird es schwerfallen, ihn den Abgeordneten wieder auszureden: Wenn es um ihr Selbstverständnis und um zentrale Befugnisse – Parlamentsarmee – geht, dann lässt eine Legislative, die sich ernst nimmt, nicht mit sich spielen. Und noch weniger von auswärtigen Mächten bestrafen.

Einsatz der Awacs-Flugzeuge gefährdet

Ein Problem für die Bundeswehr: Zwar könnte sie den Kampf gegen den Islamischen Staat auch von Jordanien oder Zypern aus unterstützen. Aber die Einsätze würden technisch schwieriger und teurer. Für den Umzug müssten sie für mindestens zwei Monate unterbrochen werden. Auf dem Spiel steht auch eine geplante Mission von Awacs-Flugzeugen, die von einem anderen türkischen Stützpunkt aus Einsätze zur Luftraumüberwachung fliegen sollen. Die fiegenden Radarstationen gehören der Nato. Die Bundeswehr stellt ein Drittel ihres fliegenden Personals. Auch bei der Entsendung dieser Soldaten könnte der Bundestag Schwierigkeiten machen.