Pescara Del Tronto: Zone der totalen Zerstörung nach dem Erdbeben. (Foto: Imago/ZumaPress)
Erdbeben in Italien

Zone der totalen Zerstörung

Die Zahl der Toten nach dem Erdbeben in Italien steigt und steigt und die Hoffnung auf Überlebende sinkt mit jeder Stunde. Der Zivilschutz geht mittlerweile von mindestens 241 Toten aus.

Die Zahl wird aber vermutlich weiter steigen, sagte der Chef der Behörde, Fabrizio Curcio. Seit dem schwersten Erdstoß einer Stärke von mehr als 6 um drei Uhr in der Nacht zu Mittwoch verzeichneten die Behörden 460 weitere Beben, was die Rettung erschwert. Die Rettung der Erdbebenopfer in Italien ist generell äußerst schwierig. Die Bausubstanz sei alt, und die zerstörten Gebäude könnten jederzeit weiter einstürzen, sagte ein Sprecher der Feuerwehr in Amatrice der dpa. Der Corriere della Sera schrieb, in Italien seien bei 70 Prozent der Bauwerke die Regeln zur Erbebensicherung missachtet worden. Die Helfer suchten auch in der Nacht teils mit bloßen Händen nach Verschütteten in den völlig zerstörten Häusern der schwer zugänglichen Bergdörfer.

Die Hälfte des Ortes gibt es nicht mehr.

Sergio Pirozzi, Bürgermeister von Amatrice

Das Erdbeben hatte ganze Dörfer der Region Latium und in den Marken dem Erdboden gleichgemacht. Dutzende Menschen werden noch vermisst. Die Region ist bei Wanderern und Mountainbikern sehr beliebt, daher könnten auch Ausländer betroffen sein. Bisher sind zwei rumänische und ein spanisches Opfer zu beklagen. Es ist das zweite schwere Erdbeben in kurzer Zeit in der Region, nur sieben Jahre nach dem verheerenden Erdbeben in dem 30 Kilometer Luftlinie entfernten L’Aquila.

Ganze Dörfer zerstört

Für hunderte Menschen im mittelitalienischen Amatrice ist es die erste von vielen obdachlosen Nächten. Das verheerende Erdbeben mit mindestens 247 Toten kam um drei Uhr morgens, weshalb manche Überlebende nun in Schlafanzügen und Hausschuhen herumlaufen. Sie können keine Sachen aus ihren zerstörten oder einsturzgefährdeten Häusern holen, und sie sind nicht darauf vorbereitet, Nächte bei weniger als zehn Grad draußen zu verbringen. Zwei jugendliche Brüder haben ein Paar Latschen und ein Paar Lederstiefel. Sie wechseln sich damit je nach Bedarf ab.

Das Beben hat die Gemeinde kurz vor einem beliebten Pasta-Festival getroffen. Bürgermeister Sergio Pirozzi schätzt, dass bis zu 40.000 Menschen im 2600-Einwohner-Ort Amatrice und den fast 70 umliegenden Dörfern waren. Die meisten von ihnen waren Ferienhaus-Besitzer und Touristen, die zurück in ihre Heimat geflohen sind. Für rund 1000 permanente Bewohner gibt es aber nur noch Notunterkünfte. „Die Hälfte des Ortes gibt es nicht mehr“, berichtete Bürgermeister Pirozzi dem Sender RaiNews24.

Wir müssen uns auf eine lange Zeit des Notstands einstellen.

Matteo Renzi, Italienischer Premierminister

Italiens Zivilschutzbehörde hat auf dem Fußballplatz von Amatrice Zelte aufgestellt. Die Sporthalle nebenan ist mit hunderten von Campingliegen gefüllt. Weitere Zelte stehen auf einem nahegelegenen Spielplatz. Eine Gruppe von Mittzwanzigern erzählt, dass sie lieber in Autos übernachten, um bei weiteren Beben schneller entkommen zu können. Mehr als 250 Nachbeben hat es schon gegeben. „Wir müssen uns auf eine lange Zeit des Notstands einstellen“, sagt Premierminister Matteo Renzi bei einem kurzen Besuch. „Wir müssen alle der Herausforderung gewachsen sein.“ Es gehe um Lebensgeschichten, Menschen und Familien. Hunderte Verletzte und Kranke seien seit Dienstag allein aus der Gegend der Orte Amatrice und Accumoli weggebracht worden. Italien stehe nun solidarisch zusammen. „Es ist ein grenzenloser Schmerz“, so Renzi weiter.

Vollkommen zerstört ist offenbar auch das Bergdorf Pescara del Tronto, wie Fotos zeigen. Der Bischof von Ascoli-Piceno, Giovanni D’Ercole, berichtete in Radio Vatikan: „Ich hörte die Schreie der verschütteten Menschen. Das Gebiet ist völlig zerstört, wie nach einem Bombardement.“

Angst vor Plünderern

Der 71-jährige Bauer Roberto Alimenti erzählt, es sei ein Wunder, dass seine Tochter und zwei Enkelinnen es unbeschadet aus ihrem völlig zerstörten Haus geschafft hätten. Sie kämen nun bei Verwandten in Rom unter. Er und seine Frau hätten sich entschieden zu bleiben. „Wohin soll ich gehen? Ich muss mich um meine Hunde und Hühner kümmern“, sagt Alimenti. „Außerdem haben alle unser Dorf verlassen, und ich will darauf aufpassen. Wenn Häuser unbeaufsichtigt sind, kann es passieren, dass geplündert wird.“

Mit dieser Stadt ist es vorbei.

Roberto Alimenti, Erdbebenopfer

Andere Menschen haben traurigere Gründe, zu bleiben. Auf der Piazza Sanotti harren mindestens drei Familien aus, die auf Neuigkeiten über ihre Angehörigen warten. Eine Frau sagt ihrem Mann weinend: „Mutter ist weg.“ Zwei Gebäude an dem Platz sind eingestürzt, und Feuerwehrleute durchsuchen sie stundenlang in der vagen Hoffnung, Überlebende zu finden. Von Parkbänken aus sehen ihnen Überlebende dabei zu. Polizisten und Helfer versuchen, den Bangenden Trost zu spenden. Den Bewohnern von Amatrice wieder Hoffnung zu geben, hat auch für Bürgermeister Pirozzi oberste Priorität. Er werde sein Amt als Trainer einer örtlichen Fußballmannschaft niederlegen, um sich voll dem Wiederaufbau zu widmen, sagt er vor versammelten Journalisten. Eine Rückkehr zur Normalität ist für viele Menschen hier allerdings undenkbar. „Mit dieser Stadt ist es vorbei, da bin ich mir 100-prozentig sicher“, sagt der Landwirt Alimenti. „Wie soll sie darüber hinweg kommen, bei so vielen Toten?“

Deutschland hilft

Die Bundesregierung hat Italien die Hilfe von Experten des Technischen Hilfswerks bei der Bergung von Erdbeben-Verschütteten angeboten. Das teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Berlin mit. Nun müsse die italienische Regierung entscheiden, ob sie das Angebot annehme. Er sei erschüttert über die Nachrichten aus Italien, gerade vor dem Hintergrund, dass die Zahl der gemeldeten Toten weiter steige. Es sei besonders bewegend, wenn solch ein Erdbeben mitten in Europa bei einem der engsten Freunde Deutschlands geschehe. Beim bayerischen Innenministerium hieß es laut BR, Italien habe bisher noch keine internationale Hilfe angefordert. Helfer wären in diesem Fall hauptsächlich aus Bayern geschickt worden, da von hier der Weg am kürzesten sei.

Auch die Europäische Union hat Italien nach dem schweren Erdbeben umfassende Unterstützung angeboten. „Die EU steht bereit zu helfen“, teilte Krisenmanagement-Kommissar Christos Stylianides mit.

Wir beten dafür, dass alle noch Vermissten lebendig geborgen werden.

Barbara Stamm

Nach dem schweren Erbeben in Zentralitalien mit vielen Todesopfern drückte die bayerische Landtagspräsidentin Babara Stamm ihre Bestürzung und ihr Beileid aus: „Nur sieben Jahre nach dem schlimmen Erdbeben von  L‘Aquila ist Zentralitalien erneut durch eine schwere Naturkatastrophe getroffen worden. Der Bayerische Landtag ist in Gedanken bei den Opfern und deren Angehörigen. Wir beten dafür, dass alle noch Vermissten lebendig geborgen werden. Den Verletzten wünschen wir baldige Genesung und der Region viel Kraft für den Wiederaufbau.“ Auch der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), schrieb: „Unsere Gedanken sind bei den Menschen, die von dem Erdbeben in Italien betroffen sind. (…) Wir stehen zusammen.“

Erdbeben war nicht vorhersehbar

Das Erdbeben in Zentralitalien hätte nach Expertenmeinung nicht zuverlässig vorhergesehen werden können. In der Region seien jederzeit Erdbeben dieser Stärke möglich – ohne messbare seismische Signale im Vorfeld. Auch in diesem Fall habe es höchstwahrscheinlich kein Vorbeben gegeben – wie bei ungefähr der Hälfte aller starken Erdbeben weltweit, sagte Stefan Hergarten, Professor für oberflächennahe Geophysik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Deutschen Presse-Agentur. Besonders gefährdet sei in dem Land der gesamte Apennin mit Schwerpunkt im Süden sowie die Nordostecke von Italien. Bei sehr starken Beben könne auch die Hauptstadt Rom Schaden nehmen.

Im europäischen Raum kommen die meisten Erdbeben in Griechenland, den südlichen Teilen des Balkans sowie im Westen der Türkei vor. Auch Italien und der westliche Balkan sind besonders betroffen. Der größte Teil der schweren europäischen Beben ereignet sich nahe den Rändern von Afrikanischer und Europäischer Platte. Dort kann es zu Spannungen kommen, die zu Beben führen. In Deutschland kommen vergleichsweise wenig spürbare Erdstöße vor. Die meisten Beben ereignen sich im Rheingebiet, auf der Schwäbischen Alb sowie in Ostthüringen und in Westsachsen. In den vergangenen 40 Jahren hatten nur 4 Beben mit einer Stärke von mindestens 5 ihr Zentrum auf deutschem Boden.

(dpa/BR/avd)