Nach dem Brexit: Wer zahlt für die Briten?
Mit 14,3 Milliarden Euro war Deutschland im vergangenen Jahr der größte EU-Nettozahler. Schon auf Platz zwei folgt Großbritannien mit 11,5 Milliarden – weit vor Frankreich, den Niederlanden oder Italien. Mit dem Brexit-Votum kommt nun eine neue Streitfrage auf die EU zu: Wie soll die britische Beitragslast auf die Schultern von dann nur noch elf EU-Nettozahlern aufgeteilt werden?
EU-Haushalt

Nach dem Brexit: Wer zahlt für die Briten?

Mit 14,3 Milliarden Euro war Deutschland im vergangenen Jahr der größte EU-Nettozahler. Schon auf Platz zwei folgt Großbritannien mit 11,5 Milliarden – weit vor Frankreich, den Niederlanden oder Italien. Mit dem Brexit-Votum kommt nun eine neue Streitfrage auf die EU zu: Wie soll die britische Beitragslast auf die Schultern von dann nur noch elf EU-Nettozahlern aufgeteilt werden?

Der Brexit wird teuer – wohl vor allem für Deutschland. Das erfährt, wer einen Blick auf die Zahlen zum Haushalt 2015 der Europäischen Kommission wirft und dort vor allem auf die sehr unterschiedlichen Beiträge der EU-Mitgliedsländer. 145 Milliarden Euro hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr ausgegeben. Der allergrößte Teil davon ist als Agrar- oder Strukturförderungen an die EU-Mitglieder geflossen.

80 Prozent dieses Haushaltes müssen die Mitgliedsländer in Form von Beiträgen aufbringen. Die Höhe der Beiträge der Länder zum EU-Haushalt hängt von der Entwicklung ihrer Wirtschaftsleistung ab und verändert sich darum von Jahr zu Jahr. Weil reiche Länder mehr und arme Länder weniger in die Kommissions-Kasse einzahlen, als sie aus Brüssel zurückerhalten, teilt sich die EU derzeit in 12 Nettozahler- und 16 Nettoempfängerländer. Immerhin bessere Werte als beim deutschen Länderfinanzausgleich mit nur drei bis vier Zahlerländern und 12 bis 13 Empfängern.

12 Nettozahler, 16 Nettoempfänger

Größter Nettozahler war im vergangenen Jahr Deutschland, das nach Abzug der aus Brüssel empfangenen Mittel 14,3 Milliarden Euro an die EU abführte. Ein Jahr zuvor waren es sogar 15,5 Milliarden Euro gewesen. Schon auf Platz zwei folgt für 2015 Großbritannien mit 11,5 Milliarden Euro. Ohne den sogenannten Britenrabatt, den seinerzeit Premierministerin Margaret Thatcher herausgeschlagen hat, weil Großbritannien mangels großer Landwirtschaft vergleichsweise wenig Agrarhilfen aus Brüssel erhält, wäre London dieses Jahr sogar auf eine Nettozahlung von über 17 Milliarden Euro gekommen.

Frankreich und Italien tragen nur 5,5 und 2,6 Milliarden Euro bei.

Obwohl nach der Bevölkerung ähnlich groß wie Großbritannien, folgen Frankreich mit 5,5 und Italien mit 2,6 Milliarden Euro erst mit großem Abstand auf den Nettozahlerrängen Drei und Fünf. Die sehr viel kleineren Niederlande tragen auf Platz Vier fast 3,7 Milliarden Euro Nettomittel zum EU-Haushalt bei. Es folgen Schweden mit 2,2 Milliarden Euro, Belgien (1,38) und Dänemark (0,8). Von Österreich erhält Brüssel netto 851 und von Finnland 488 Millionen Euro. Auf keinen Fall gering geschätzt werden dürfen die kleinen Mitglieder Luxemburg und Zypern, die je 94 und 23 Millionen Euro beitragen.

Größter Nettoempfänger: Polen mit 9,5 Milliarden Euro.

Die 16 Nettoempfängerländer führte 2015 Polen an, das von Brüssel fast 9,5 Milliarden Euro mehr ausbezahlt erhielt, als es eingezahlt hat. Es folgen Tschechien (5,7), Rumänien (5,1), Griechenland (4,9) und Ungarn (4,6). Im Milliardenbereich lag außerdem Bulgarien (2,2). Rumänien blieb mit 981 Millionen Euro nur knapp unterhalb der Milliardenschwelle. Kleinster Nettoempfänger war Malta mit 31,7 Millionen Euro.

Wer übernimmt den britischen Beitrag?

Mit Blick auf die britische Nettozahlerposition gegenüber etwa den gleich großen Ländern Frankreich und Italien kann man den Unmut britischer Brexit-Befürworter über zu hohe Zahlungen an Brüssel fast nachvollziehen. Wenn nun die Briten die EU verlassen – frühestens Anfang 2019 – schrumpft die Zahl der Nettozahler auf nur noch elf Mitgliedsländer. Und die müssen dann den britischen Beitrag von 11,5 Milliarden auch noch übernehmen. Über die Verteilung der zusätzlichen Last könnte es im Rat Streit geben. Vor allem Frankreich, das seit Jahren sein Haushaltsdefizit partout nicht in den Griff bekommt und dessen Staatsverschuldung auf die Marke von 100 Prozent der Wirtschaftskraft zutreibt, wird derzeit kaum neue Milliarden-Lasten übernehmen wollen. Wie auch immer: Den Löwenanteil wird in jedem Fall wohl Deutschland übernehmen müssen – nach heutigen Zahlen bis zu drei Milliarden Euro, jedes Jahr.

Einfachste Lösung: Brüssel könnte auch schlicht 11,5 Milliarden Euro weniger ausgeben.

Bemerkenswert und vielleicht typisch für die Debatte in Brüssel: Den naheliegenden Vorschlag, dass die EU-Kommission einfach 11,5 Milliarden Euro weniger ausgibt und eben nicht umverteilt, hat bislang noch niemand gemacht. Dabei wäre das klaglos möglich. Das zeigt etwa der Fall Polens: 2014 hat Warschau aus den Brüsseler Kassen noch 13,7 Milliarden Euro an Nettozahlungen erhalten. Ein Jahr später musste es mit einer um gut vier Milliarden Euro geringeren Summe auskommen. Es geht also auch mit weniger Geld.

Polen muss es besser machen

Aufschlussreich ist auch ein längerfristiger Blick auf die „operativen Haushaltssaldi“, wie das in Brüssel heißt: So hat das wiedervereinigte Deutschland von 1991 bis zum Jahr 2011 etwa 170,7 Milliarden Euro an Nettozahlungen geleistet. Rechnet man weitere Zahlungen hinzu, die an Brüssel abgeführt werden, so steigt Deutschlands Beitrag in diesen 20 Jahren auf über 200 Milliarden Euro – oder auf inflationsbereinigte 250 Milliarden (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Zählt man für die Jahre von 2012 bis 2015 den Nettobeitrag von 55,5 Milliarden Euro hinzu, kommt man auf 300 Milliarden Euro deutsche Nettozahlungen seit der Wiedervereinigung.

Bis zum Beginn der Finanz- und Schuldenkrise 2008 hat Griechenland von Brüssel 89 Milliarden Euro erhalten, Spanien sogar 157,5 Milliarden.

Immer wieder nachdenklich stimmt, dass ausgerechnet die größten Nettoempfänger im Süden Europas gleichzeitig besonders wacklige Krisenländer mit besonders hohen Schuldenbergen sind: Wie die FAZ vor vier Jahren einmal aufaddierte, hat bis zum Beginn der Finanz- und Schuldenkrise 2008 etwa das 1981 der EU beigetretene Griechenland aus Brüsseler Fonds 89 Milliarden Euro an Nettobeiträgen erhalten. Von 2009 bis 2015 hat Brüssel den Griechen noch einmal insgesamt 31,2 Milliarden Euro überwiesen. Das Flächen- und Bevölkerungsmäßig sehr viel größere Krisenland Spanien hat seit den siebziger Jahren bis 2008 gut 157,5 Milliarden Euro aus der Brüsseler Umverteilungskasse erhalten. Seit 2009 hat sich diese Summe um weitere 21 Milliarden Euro erhöht.

Bleibt zu hoffen, dass Polen, seit Jahren die Nummer Eins der Nettoempfängerländer, es besser macht als die Krisenländer im Süden: Seit 2007 hat Brüssel an Polen netto rund 82,6 Milliarden Euro überwiesen.