Großkundgebung anlässlich des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei mit rund 30.000 Erdogan-Anhängern in Köln. (Foto: Imago/C. Hardt/Future Image)
Türkei

Erdogan gegen Deutschland

Der türkische Präsident Erdogan nimmt keine Rücksicht mehr auf europäische Empfindlichkeiten. Bei einer Kundgebung mit Millionen Teilnehmern stellt er erneut die Todesstrafe in Aussicht, kritisierte die Europäer und griff Deutschland massiv an. In Berlin werden Fragen nach dem Einfluss der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Deutschland laut. Erdogan betreibt die Annäherung an Moskau.

Kurz vor einem Treffen mit Kreml-Chef Wladimir Putin hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor einem Millionenpublikum die Einheit des Landes beschworen und Deutschland kritisiert.

Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht gestellt

Den deutschen Behörden warf er vor, „Terroristen zu ernähren” und stellte erneut die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht. „So eine Entscheidung vom Parlament würde ich ratifizieren”, sagte er vor jubelnden Teilnehmern der Kundgebung gegen den Putschversuch am Sonntagabend in Istanbul. Erdogan verwies erneut darauf, dass außerhalb der EU „die überwiegende Mehrheit” der Länder die Todesstrafe habe. Die EU hat angekündigt, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, sollte das Land die 2004 abgeschaffte Todesstrafe wieder einführen.

Ich sage es im Voraus: So eine Entscheidung des Parlaments würde ich ratifizieren.

Recep Erdogan, Präsident, zur Wiedereinführung der Todesstrafe

Vorwürfe, er strebe in Folge des Putschversuches in seinem Land nach Alleinherrschaft, wies Erdogan zurück. „Ich bin kein Despot oder Diktator”, sagte er dem Sender Al-Dschasira nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Zugleich griff er erneut westliche Staaten an: „Der Westen hat uns nicht gezeigt, dass er gegen den Putsch ist. Ihr Schweigen ist unentschuldbar.”

Erdogan dankte bei der „Demokratie- und Märtyrer-Versammlung” in Istanbul den anwesenden Oppositionsvertretern für ihre Teilnahme. Zu der Veranstaltung waren auf Einladung des Präsidenten auch Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, gekommen. Nicht eingeladen wurde die pro-kurdische HDP. Erdogan wirft der zweitgrößten Oppositionspartei im Parlament Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Aus türkischen Regierungskreisen hieß es, an der Großkundgebung hätten auf dem Veranstaltungsareal in Yenikapi und in der Umgebung rund fünf Millionen Menschen teilgenommen. Anwesende sprachen zwar ebenfalls von einem Millionenpublikum, hielten fünf Millionen allerdings für zu hoch gegriffen.

Drohung gegen Deutschland

Erdogan galt in EU-Hauptstädten schon vor den jüngsten Entwicklungen als schwieriger Partner und als „Enfant terrible”. Die von ihm selber so genannten „Säuberungen” nach dem Putschversuch haben es westlichen Staaten nicht leichter gemacht, sich an seine Seite zu stellen − im Gegenteil. Keine Einladung für westliche Solidaritätsbekundungen sind auch Aussagen wie die von Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci, der den Putschisten droht, sie würden „wie Kanalratten krepieren”. Ankara kritisiert, dass sich seit dem Putschversuch kein einziger EU-Außenminister im Land blicken ließ, um Unterstützung zu zeigen. Jetzt eskaliert der Streit mit der EU: Österreich fordert einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen und will auch gleich den nur noch halb funktionierenden Flüchtlingspakt und die Verhandlungen über Visafreiheit beenden. Im Gegenzug bezeichnet der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu Österreich als das Zentrum des „radikalen Rassismus”.

Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie Ditib, der offenbar Sprachrohr von Präsident [Recep Tayyip] Erdogan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU)

Wenig freundlich äußerte sich Erdogan auf der Millionen-Kundgebung in Istanbul über Deutschland. Er kritisierte, dass er sich bei der türkischen Kundgebung in Köln am Sonntag vor einer Woche nicht per Videoleinwand zuschalten durfte. „Wo ist die Demokratie?”, fragte er. Den deutschen Behörden warf er vor, bei einer früheren Veranstaltung in Köln eine Videoschalte der PKK zugelassen zu haben. „Sollen sie die Terroristen nur ernähren”, sagte er. „Wie ein Bumerang wird es sie treffen.”

Türkische Religionsbehörde in Deutschland

Als Reaktion auf die politische Entwicklung in der Türkei werden in Deutschland Stimmen laut, den Einfluss des von Ankara kontrollierten Moscheen-Dachverband Ditib einzuschränken. „Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie Ditib, der offenbar Sprachrohr von Präsident [Recep Tayyip] Erdogan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet”, sagte etwa Unionsfraktionschef Volker Kauder den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auffallend zurückhaltend dagegen die kirchen- und religionspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese: Man müsse aber weiterhin mit dem Dachverband im Gespräch bleiben, da „Verbände wie Ditib die einzigen Gesprächspartner sind, die wir beim Thema Islam hier haben”.

Ditib folgt Weisungen des türkischen staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei Diyanet, das wiederum direkt dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt ist.

Der Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (Ditib) sind in Deutschland etwa 970 Moscheen angeschlossen. Der beim Amtsgericht Köln eingetragene Ditib-Verein folgt den Weisungen des türkischen staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei Diyanet, das wiederum direkt dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt und damit eine türkische Regierungsbehörde ist.

Annäherung an Russland

Auch ein Zeichen: Seine erste Auslandsreise seit dem Putschversuch führt Erdogan nicht in den Westen, dessen Haltung zu dem Umsturzversuch der Staatschef „unentschuldbar” nennt. An diesem Dienstag wird Erdogan vom russischen Präsidenten Wladimir Putin in St. Petersburg empfangen. Putin hatte Erdogan noch am Putschwochenende persönlich angerufen und sich demokratische Ermahnungen verkniffen. Die Türkei hatte Ende November einen russischen Bomber im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen. Moskau verhängte daraufhin massive Sanktionen etwa im Tourismus gegen Ankara. Ende Juni hatte Erdogan dann in einem Brief sein Bedauern über den Zwischenfall bekräftigt. Bei dem Treffen am Dienstag will Erdogan mit seinem „Freund Wladimir” den bilateralen Streit nun endgültig beilegen, wie er der Nachrichtenagentur Tass sagte. Die Reise nach Russland könnte einen weiteren Schritt Erdogans und der Türkei markieren − weg von der EU. (dpa/H.M.)