Versprechen, aber nie halten
Frankreichs Krise: Die größte Gefahr für die Europäische Union - und für den Euro - geht nicht von den euroskeptischen Briten aus, sondern von Frankreich.
Kommentar

Versprechen, aber nie halten

Kommentar Frankreichs Krise: Die größte Gefahr für die Europäische Union - und für den Euro - geht nicht von den euroskeptischen Briten aus, sondern von Frankreich.

Erschienen am: 25. Oktober 2014 Artikel aus Rubrik: Meinungen

Alle reden von Londons Spiel mit dem EU-Austritt. Aber die größte Gefahr für die Europäische Union – und für den Euro – geht nicht von den euroskeptischen Briten aus, sondern von Frankreich. Wie London pocht auch Paris auf die nationale Souveränität – nur drohender.

Ganz offen erklären Präsident François Hollande und seine Regierung, dass Frankreich die Regeln des Stabilitätspaktes, den es selber mitbeschlossen hat, nicht einhalten will. Paris beruft sich auf seine Souveränität: „Frankreich ist souverän.“ „Frankreich bestimmt alleine, was es zu tun hat.“ „Man schuldet Frankreich Respekt.“ So sagt es Premierminister Manuel Valls – der in ganz Europa als Frankreichs allerletzte Reform-Hoffnung gilt.

Nach der Industrie schwinden auch beim Handel die Arbeitsplätze

Frankreichs wirtschaftliche Lage ist fast verzweifelt. Jetzt verlangt Paris von Brüssel noch einmal zwei Jahre Zeit, um sein Haushaltsdefizit unter das Maastrichter Drei-Prozent-Limit zurückzuführen. Dass das bis 2017 gelingt, und ob Paris dieses Mal seine Versprechen einhalten kann, darf man bezweifeln. Denn einstweilen steigen das Defizit auf 4,4 und die Staatsverschuldung auf 95 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. „Versprechen, aber niemals halten“, so beschreibt die Pariser Tageszeitung Le Figaro – zugegebenermaßen ein Oppositionsblatt – die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Präsident Hollande.

Für die Reformen, von denen Hollande und sein Premier sprechen, trifft die Figaro-Analyse leider zu. Frankreichs gefesselter und tief gespaltener Arbeitsmarkt bräuchte den großen Deregulierungsschlag. Aber nur für Apotheker, Notare und andere Freiberufler fallen jetzt ein paar Vorschriften. Und es soll mehr Preistransparenz geben – bei Zahnprothesen. Dabei kündigt sich noch größere Bitternis auf dem Arbeitsmarkt schon an: Nach der Industrie schwinden jetzt auch beim Handel die Arbeitsplätze, titelt dieser Tage Le Monde.

Paris hat mit dem Sparen noch gar nicht angefangen und hat das auch nicht vor

Weil Paris für Investitionen und Wachstumsankurbelung keinen Spielraum mehr hat, soll Deutschland einspringen. „Wir sparen 50 Milliarden, und ihr investiert 50 Milliarden“. Auf die sonderbare Formel brachte es beim Besuch in Berlin jetzt Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Wie es Frankreich helfen soll, wenn Berlin in Deutschland Milliarden in Brücken und Straßen investiert, hat er nicht erklärt. Sicher ist, dass Macrons Formel das nächste gebrochene Versprechen enthält: Trotz geplanter Haushaltskürzungen wachsen Frankreichs Staatsausgaben weiter. Paris hat mit dem Sparen noch gar nicht angefangen und hat das auch nicht vor.

Frankreich wird jeden Tag mehr zum Rettungsfall. Doch Europas zweitgrößte Wirtschaft ist zu groß für jede Rettung. In Frankreich geht es um den Euro. Aber Paris pocht auf seine Souveränität. Da darf man unruhig werden.