Ein Attentat als Symbol eines gespaltenen Landes
Großbritannien und ganz Europa ist schockiert über das Attentat auf die Parlamentsabgeordnene Jo Cox. Erste Hinweise deuten auf ein politisches Motiv des Täters hin: Offenbar wurde die EU-freundliche Politik zum Verhängnis für die Labour-Politikerin. Die brutale Tat zeigt in erschreckendem Maße die tiefe Spaltung der britischen Gesellschaft in der "Brexit"-Frage.
Grossbritannien

Ein Attentat als Symbol eines gespaltenen Landes

Großbritannien und ganz Europa ist schockiert über das Attentat auf die Parlamentsabgeordnene Jo Cox. Erste Hinweise deuten auf ein politisches Motiv des Täters hin: Offenbar wurde die EU-freundliche Politik zum Verhängnis für die Labour-Politikerin. Die brutale Tat zeigt in erschreckendem Maße die tiefe Spaltung der britischen Gesellschaft in der "Brexit"-Frage.

Auf den britischen Inseln, aber auch im gesamten Rest Europas herrschen Trauer, Wut und Bestürzung über das schreckliche Attentat auf die englische Parlamentsabgeordnete Jo Cox. Die 41-jährige Labour-Politikerin war am Donnerstag am Rande einer Bürgersprechstunde in ihrem Wahlkreis von einem Mann mit einer Schusswaffe und einem Messer attackiert worden. Im Krankenhaus war Cox ihren schweren Verletzungen später erlegen.

Täter handelte wahrscheinlich aus politischen Gründen

Offenbar steht das Attentat im Zusammenhang mit dem in einer Woche anstehenden Referendum zur Zukunft Großbritanniens in der EU. Mehreren Augenzeugen berichteten der Polizei, der Angreifer habe wenige Sekunden vor der Tat „Put Britain First!“ – zu deutsch etwa „Großbritannien muss zuerst kommen!“ – gerufen, ehe er auf die Politikerin geschossen und später eingestochen habe. Offiziell teilte die Polizei jedoch mit, dass das Motiv noch unklar sei. In der Nähe des Tatortes wurde ein 52-Jähriger wenig später von der Polizei festgenommen.

Großbritanniens Premierminister David Cameron und andere führende britische Politiker zeigten sich erschüttert über die Bluttat. Sollten sich die Hinweise auf eine politisch motivierte Tat im Zusammenhang mit dem möglichen „Brexit“ erhärten, wäre es ein deutliches Zeichen für die gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung Großbritanniens bei der „Brexit“-Frage. Damit würde Cox zu einer Art „Märtyrerin“ für die Sache der Pro-Europäer. Die Politikerin setzte sich in den vergangenen Monaten vehement für einen Verbleib des Königreichs in der EU ein und wurde zu einem der bekanntesten Gesichter der „Stay“-Kampagne.

Brexit-Debatte wird immer verbissener

Überhaupt wird die Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes innerhalb oder außerhalb der EU mit immer härteren Bandagen geführt. In den vergangenen Tagen hatten sich nicht nur immer mehr Politiker aller Parteien in die eine oder andere Richtung positioniert – auch die Medien auf der Insel mischen in der Meinungsbildung gehörig mit – und das in einem Ausmaß, das sogar für die meinungsfreudigen britischen Blätter ungewöhnlich ist. Erst am Mittwoch vor dem Attentat hatte sich die britische Zeitung The Sun mit der Titelzeile „BeLEAVE in Britain“ auf die Seite der Brexit-Befürworter geschlagen.

Überhaupt sind haufenweise Informationen und Desinformationen rund um die EU im Umlauf – dabei reicht die Bandbreite von Gerüchten, Brüssel plane eine zwangsweise Einführung des Euros in allen Mitgliedsstaaten bis hin zu der Klage, Brüssel nehme dem Parlament in Westminster immer mehr Kompetenzen weg. In den letzten „Prime Minister’s Questions“, einer wöchentlichen Fragerunde an den Regierungschef im Parlament, hatte Premier Cameron noch einmal versucht, mit Gerüchten aufzuräumen.

Attentat als Symbol für eine polarisierende Gesellschaft

Jetzt aber liegt die Diskussion zunächst einmal auf Eis. Beide Seiten haben angekündigt, angesichts des Attentats ihre Kampagnen bis zum Wochenende auf Eis zu legen. In der Trauer um Jo Cox ist das Königreich wieder vereint – allerdings ist es wohl nur eine kurze Zeit, bis die tiefen Gräben, die die „Brexit“-Debatte in die Gesellschaft geschlagen hat, wieder aufbrechen.