Deutsche und Polen feiern am 17. Juni den 25. Jahrestag ihres deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Das Jubiläum wird jedoch von dem derzeitigen Streit in Brüssel über Polens umstrittene Justizreform überschattet. Trotzdem haben sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Präsident Andrzej Duda die enge deutsch-polnische Verbundenheit hervorgehoben.
Weil wir gute Nachbarn und sogar Freunde sind, ist das auch die Möglichkeit, wenn man einmal unterschiedlicher Meinung ist, Wege zu finden, sich darüber auszutauschen.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Die „alte Ehe“ Polen – Deutschland
Merkel bezeichnete die Beziehungen als „eine wirkliche Erfolgsgeschichte“. Dies sei alles andere als selbstverständlich und mache sie dankbar und angesichts der Geschichte auch demütig. Duda würdigte den Vertrag als Vorbild für andere Länder. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich die Bevölkerungen Deutschlands und Polens gegenseitig vergeben. Zugleich gebe es „wie in einer guten alten Ehe“ auch strittige Fragen. Wenn man füreinander Sympathie und eine wohlwollende Haltung habe und zusammenbleiben wolle, gelinge es aber, Lösungen zu finden.
Wichtig ist, dass wir diese Krisen gemeinsam bewerkstelligen, dass wir nach Lösungen suchen, die akzeptabel sind für alle.
Andrzej Duda, Präsident der Republik Polen
Streitthema Flüchtlings- und Medienpolitik
Zwischen den Polen und Deutschland gibt es unter anderem Differenzen in der europäischen Flüchtlingspolitik. Die EU und die nationalkonservativen Warschauer Regierung streiten zudem über die Justizreform und die Medienpolitik in Polen. Darin sehen EU-Menschenrechtsexperten eine Erosion des Rechtsstaats. Merkel und Duda sprachen mit Blick auf den Nato-Gipfel Anfang Juli in Warschau unter anderem über Sicherheitsfragen. Der Präsident bezeichnete Deutschland und Polen „als wichtiges Fundament für die Europäische Union“, die derzeit aber von Krisen geplagt sei. Deshalb machte er sich für eine Überwindung der Unstimmigkeiten zwischen Berlin und Warschau stark.
Wir werden gemeinsam immer mehr erreichen. Getrennt verlieren wir alles.
Andrzej Duda, Präsident der Republik Polen
Notwendig sei dafür ein offenes, aufrichtiges Gespräch ohne Tabuthemen, das die gegenseitige Achtung der Persönlichkeit des anderen und die gleiche Behandlung der Rechte beinhalte.
Offenes Wort statt Aroganz
Vor 25 Jahren, am 17. Juni 1991, hatten Deutschland und Polen einen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet. Er gilt als Basis für Annäherung und Versöhnung nach dem Kalten Krieg. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, kritisierte die Haltung der Deutschen zu Polen als nachlässig und überheblich.
Wir müssen uns viel mehr anstrengen, damit die Freundschaft zwischen Deutschland und Polen lebendiger wird.
Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union
Ziemiak wurde 1985 in Polen geboren. Als er drei war, zogen seine Eltern mit ihm nach Iserlohn. Deutsche Politiker stünden oft mit erhobenen Zeigefinger da, beklagte Ziemiak. Mit der polnischen Regierung sollte man aber lieber ein offenes Wort sprechen und kritisch nachfragen.
Ich möchte betonen, dass wir an guten Beziehungen mit unserem Nachbarn interessiert sind. Gleichwohl erwarten wir auch, dass seitens Deutschlands das Behandeln Polens und polnischer Angelegenheiten dem Niveau entspricht, das wir in Polen auch erwarten.
Beata Szydlo, Premierministerin
Dass das Vertrauen für den Nachbarn schwindet, zeigt eine repräsentative Umfrage des Warschauer Institutes für öffentliche Angelegenheiten, die der Bayerische Rundfunk veröffentlichte. Danach bescheinigen die Deutschen dem Verhältnis beider Länder die schlechtesten Noten seit Beginn entsprechender Umfragen im Jahr 2000. Zu den derzeitigen Misstönen zwischen Berlin und Warschau beschwichtigt Ruprecht Polenz (CDU), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, in der Passauer Neuen Presse : „Zu jeder normalen Beziehung gehören Probleme und auch Streit. Die deutsch-polnischen Beziehungen sind gut. Das war nicht immer so.“
Klimawechsel in Polen
In den letzten Jahren – vor dem Regierungswechsel – konnte kaum etwas die polnisch-deutschen Beziehungen trüben. Kanzlerin Angela Merkel und der frühere polnische Premierminister Donald Tusk verstanden sich gut. Doch Tusk ging nach Brüssel, seine Partei verlor die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Mit der Rückkehr der Nationalkonservativen und von Jaroslaw Kaczynski, Chef der allein regierenden PiS, verloren die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen an Stabilität.
Vielleicht ist es gerade unsere Generation, die mehr als andere weiß, was für ein umfassendes Glück es ist, dass wir wieder Vertrauen zueinander geschaffen haben. Und dass dieses Glück viel zu wertvoll ist, als dass wir es jemals zur Spielmasse im Tagesgeschäft werden lassen dürfen.
Frank-Walter Steinmeier, Bundesaußenminister
Bereits Anfang des Jahres besuchte Bundesaußenminister Steinmeier quasi zur „Schadensbegrenzung“ Polen. Denn nach kritischen Äußerungen deutscher EU-Politiker über den autoritären Kurs der neuen polnischen Regierung war es im Nachbarland bis hin zu Nazi-Vergleichen gekommen.
Dass auch von polnischer Seite nach dem Regierungswechsel das Verhältnis zu Deutschland ein wenig auf Eis liegt, macht auch die polnische Premierministerin Beata Szydlo deutlich. Erst ein Vierteljahr nach Amtsantritt kam sie im Februar nach Berlin. Zuvor reiste sie etwa nach Ungarn zum ungarischen Premier Viktor Orban. Ihn erklärte Jaroslaw Kaczynski zum Vorbild für den eigenen Staatsumbau.
Polen ist wichtiger Handelspartner Bayerns
Mit einem bayerisch-polnischen Handelsvolumen von circa 14,69 Milliarden Euro in 2015 ist Polen nach der Tschechischen Republik der wichtigste Handelspartner Bayerns unter den neuen EU-Mitgliedsstaaten und der achtwichtigste Handelspartner weltweit. Rund 2.500 bayerische Unternehmen verfügen bisher über Außenhandelsbeziehungen mit Polen. Die polnische Wirtschaft glänzt laut einer Prognose der Europäischen Kommission 2015 mit einem Wachstum des BIP von 3,5 Prozent. Der positive Trend soll laut Experten in den kommenden Jahre anhalten. Anfang Oktober 2016 wird Wirtschaftsministerin Ilse Aigner deshalb mit einer Delegation nach Warschau und Lodz in Polen reisen. Ihr Ziel ist es, die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen durch Gespräche mit Regierungs- und Wirtschaftsvertretern zu intensivieren.
Aufbruchstimmung im Oststaat
Mit 38 Millionen Einwohnern und einem pro Kopf-Einkommen von bis zu 10.676 Euro (2014) hat sich Polen zu einer der führenden Wirtschaftsnationen in Mittel- und Osteuropa entwickelt. Und die EU pumpt weiterhin Geld in das Land, um Geschäftschancen zu erhöhen. So bekommt Polen – als einem der größten Empfänger der aktuellen EU-Fördermittelperiode – knapp 125 Milliarden Euro an EU-Mitteln in den kommenden Jahren. Im Mittelpunkt der staatlichen Modernisierungspläne stehen der Infrastrukturausbau (v.a. Schienennetz) und der Umweltschutz (v.a. Abfallentsorgung). Das lockt vor allem das Interesse bayerischer Firmen in den Branchen IT, Maschinen- und Anlagenbau, Medizintechnik, Logistik und Umwelttechnologie.
Ärger in Brüssel
Die EU wirft Warschau vor, rechtswidrig die Vereidigung mehrerer Verfassungsrichter zu verweigern, die noch von der Vorgängerregierung ernannt wurden. Außerdem hat die Regierung der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Justizreform angestoßen, die nach Ansicht der Kommission das Verfassungsgericht beeinträchtigt. Doch die polnische Regierung weigert sich, die Justizreform zu korrigieren. Die EU-Kommission hat deshalb das Verfahren zum Schutz des Rechtsstaats formell eingeleitet. Zum ersten Mal wird dieses Instrument gegen einen EU-Staat eingesetzt.