Freibrief für Vergewaltiger
Die Anzeige einer Vergewaltigung wird für eine Niederländerin in Katar zum Boomerang. Statt der gerechten Strafe für ihre Peiniger wird das Opfer selbst verurteilt - wegen außerehelichem Geschlechtsverkehrs. Das Urteil zeigt, in welch erbärmlichem Zustand das katarische Justizsystem ist. Und es ist nicht der erste Fall dieser Art in dem Land, in dem 2022 die Fußball-WM stattfinden soll.
Katar

Freibrief für Vergewaltiger

Die Anzeige einer Vergewaltigung wird für eine Niederländerin in Katar zum Boomerang. Statt der gerechten Strafe für ihre Peiniger wird das Opfer selbst verurteilt - wegen außerehelichem Geschlechtsverkehrs. Das Urteil zeigt, in welch erbärmlichem Zustand das katarische Justizsystem ist. Und es ist nicht der erste Fall dieser Art in dem Land, in dem 2022 die Fußball-WM stattfinden soll.

Bizarres Justiz-Schauspiel in Katar: Obwohl sie selbst Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet hatte, ist eine junge Niederländerin wegen „außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Zuvor war die 22-Jährige, die das Land als Touristin besucht hatte, selbst zur Polizei gegangen, nachdem ihr in einem Hotel in der Hauptstadt Doha offenbar K.O.-Tropfen in ein Getränk getan wurden.

Mit K.O.-Tropfen außer Gefecht gesetzt und vergewaltigt

Für Laura B. begann der Alptraum im März in der „Crystal Lounge“ – immerhin einem 5-Sterne-Hotel in Doha. Dort wird trotz Verbotes in dem streng religiösen arabischen Staat Alkohol ausgeschenkt. Jemand habe ihr ein Betäubungsmittel in den Drink geschüttet, sagte sie ihrem niederländischen Anwalt Brian Lokollo. An den weiteren Verlauf des Abends könne sie sich kaum erinnern.

Später sei sie mit zerrissenen Kleidern in einer fremden Wohnung wach geworden und habe festgestellt, dass sie vergewaltigt worden sei, teilte ihr Anwalt mit. Doch als sie Anzeige erstatten wollte, wurde sie – mit dem bizarren Verdacht auf außerehelichen Sex – von der katarischen Polizei kurzerhand selbst festgenommen.

Der Nachweis einer Vergewaltigung ist für Frauen in der arabischen Welt, in der Frauen fast keine Rechte haben, häufig sehr schwierig bis unmöglich. Das Gericht wertete den Vorwurf daher glatt als außerehelichen Geschlechtsverkehr – und verurteilte Laura B. jetzt zu einer Geldstrafe von 750 Euro.

Geldstrafe für das Opfer, Peitschenhiebe für den Täter

Auch der Mann, der Laura B. vergewaltigt hatte, war festgenommen worden. Er bestritt den Vergewaltigungsvorwurf allerdings und sagte aus, die junge Frau habe dem Sex zugestimmt und anschließend Bezahlung gefordert. Das Gericht verurteilte ihn zu 140 Peitschenschlägen – 100 für außerehelichen Sex und 40 für das Trinken von Alkohol. Warum man einem Mann mehr glaubt, als einer Frau, die mit zerrissenen Kleidern die Polizei ruft und in einem fremden Land Anzeige erstattet, ist wohl damit zu begründen, dass in den arabischen Staaten Frauen generell als Menschen zweiter Klasse angesehen werden. Ein Resultat des dort gültigen islamischen Scharia-Rechtes.

Bis das bizarre Justizverhalten bekannt wurde, vergingen allerdings offenbar mehrere Monate. Lauras Anwalt teilte jetzt mit, seine Mandantin sei bereits seit März in Haft gewesen. Er selbst hatte nur telefonischen Kontakt mit ihr, nachdem sich Laura sich nachdrücklich geweigert hatte, einen Englisch sprechenden Anwalt in Katar zu engagieren. Offenbar hatte sie zu den katarischen Anwälten kein Vertrauen.

Frauen kann von einem Besuch der Golfstaaten nur abgeraten werden

Lauras Fall ist nicht der erste seiner Art in der Region: Ähnlich wie der jungen Niederländerin war es 2013 einer norwegischen Frau ergangen. Sie hatte in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Vergewaltigung angezeigt, war aber selbst festgenommen und dann auch noch zu einer Haftstrafe von 16 Monaten verurteilt worden. Später wurde sie begnadigt. Das Urteil hatte international große Empörung ausgelöst. Weitere ähnlich gelagerte Fälle aus der Region sind auch bekannt.

Der Gedanke, dass diese Urteilspraxis womöglich unfair und ein Freibrief für alle Vergewaltiger sein könnte, kommt den Juristen in Katar aber offenbar nicht. In einer Stellungnahme sprach der zuständige Staatsanwalt sogar von einem „Erfolg für die Gerechtigkeit“. Doch so groß auch das Unverständnis in Europa über die katarische Rechtssprechung ist – in den Niederlanden ist man in erster Linie froh, dass Laura B. die Heimreise bald antreten kann. Eine Sprecherin des holländischen Außenministeriums teilte mit, Laura werde sofort nach Bezahlung ihrer Geldstrafe aus Katar ausgewiesen und könne in die Niederlande zurückkehren.

Der Fall der Niederländerin rückt den Ölstaat erneut in ein zweifelhaftes Licht: Im Jahr 2022 werden tausende Touristen zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar reisen. Sollten Sie Opfer einer Vergewaltigung werden, dürfen sie sich auch noch auf Haft in katarischen Gefängnissen gefasst machen. Daher ist eigentlich allen Touristen, insbesondere aber Frauen, von einem Besuch des Landes (und der ganzen Region) abzuraten. Wie man in ein solches Land eine Fußball-WM vergeben kann, ist – selbst wenn man alle Berichte über die von Katar gekauften FIFA-Funktionäre außer Acht lässt – ein absolutes Unding.