Der zweite Tod von Hugo Chavez: Die Wahlen in Venezuela stoppten seinen Versuch, den Sozialismus neu zu erfinden. Dieser endete wie schon immer in der Geschichte als repressiver Unterdrückungsstaat. (Bild: Imago/Xinhua)
Venezuela

Pulverfass vor dem Kollaps

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro spinnt eine große Verschwörungstheorie: Er befürchtet eine US-Invasion im Land mit den größten Ölreserven. In Wahrheit versucht der Sozialist, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten und von der verheerenden Wirtschaftskrise abzulenken, die der Sozialismus mal wieder hinterlassen hat.

Es sei eine Kampagne mit dem Ziel einer Militärinvasion im Gange, deren Epizentrum in Sachen Planung und Ausführung in Washington liege, meinte Maduro bei einer Pressekonferenz in Caracas.

Venezuela sollte erst mit Hilfe von externen Agenten und internen Faktoren in eine Konfliktsituation gebracht werden.

Nicolás Maduro

Da dies nicht erreicht worden sei, werde nun nach Gründen gesucht „für eine Invasion“, meinte er. Alle US-Botschafter in der Welt hätten die Aufgabe, „Lobby gegen uns zu machen und uns Schaden zuzufügen“.

Die Wirtschaft ist abgestürzt

Die Wahrheit ist eine andere: Die Lage ist verzweifelt, durch die zuletzt höchste Inflation der Welt, Devisenknappheit und eine enorme Rezession steht das Land mit den größten Ölreserven der Welt nach 17 Jahren sozialistischer Regierung vor dem Ruin. Die Wirtschaftsleistung ist abgestürzt, Unternehmen klagen über eben jene fehlenden Devisen, um Importe aus dem Ausland bezahlen zu können. Leere Regale, lange Schlangen prägen das Bild. In Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten, die medizinische Versorgung steht vor dem Zusammenbruch. Hinzu kommen durch einen drohenden Kollaps des unter Wassermangel leidenden größten Wasserkraftwerk des Landes ständige Stromabschaltungen. Maduro gibt jedoch vor allem den durch den Preissturz fehlenden Öleinnahmen die Schuld. Er hat den Ausnahmezustand verhängt und dem Militär sowie den mit den Sozialisten verbündeten Bürgerwehren per Dekret die Weisung erteilt, „die Verteilung und Vermarktung von Lebens- und Grundnahrungsmitteln“ zu garantieren. Er wirft obendrein den privaten Lebensmittelproduzenten vor, die Regierung mit einem „Wirtschaftskrieg“ destabilisieren zu wollen.

Venezuela ist eine Bombe, die jeden Moment explodieren kann.

Henrique Capriles, Oppositionsführer

Das südamerikanische Land gleicht einem Pulverfass. Oppositionsführer Henrique Capriles sprach am Wochenende von einer „Bombe, die jeden Moment explodieren kann“.

Die Ermächtigung an die Streitkräfte kann bedeuten, dass Unternehmen am Ende zur Produktion gezwungen werden. Zuletzt hatte Polar, das größte Privatunternehmen, unter anderem die Bierproduktion gestoppt, weil aus Devisenmangel kein Gerstenmalz mehr importieren werden kann. Der Lebensmittelkonzern liegt im Clinch mit der sozialistischen Regierung. Maduro wirft privaten Unternehmern vor, aus ideologischen Gründen einen Wirtschaftskrieg gegen seine sozialistische Regierung zu führen.

Warnung vor Putsch

Die Details gehen weit über das hinaus, was bisher bekannt war und richten sich offensichtlich auch gegen die Opposition, die über die Mehrheit im Parlament verfügt. Mit „Spezialmaßnahmen“ soll laut Dekret auch eine Einmischung des Auslands in innere Angelegenheiten unterbunden werden, berichtete das Portal „El Universal“ am Montagabend. Maduro hatte am Wochenende Militärmanöver angekündigt. In dem Dekret wird auch verfügt, dass allen anderen außer dem Militär und den Bürgerwehren das Tragen von Waffen verboten werden kann – in dem Land sind viele Waffen im Umlauf, die Hauptstadt Caracas hat eine der höchsten Mordraten der Welt.

Ein Punkt lässt sich so interpretieren, dass die Mitspracherechte des Parlaments eingeschränkt werden – die Opposition warnt vor einem „Putsch“ und kündigte für Dienstag eine Sitzung des Parlaments an – sie will Maduro per Referendum schnellstmöglich zu Fall zu bringen.

Und jetzt die Diktatur?

Das Parlament wies am Dienstag die neuen Sondervollmachten für Maduro und das Militär zurück. Für Mittwoch hat das Oppositionsbündnis „Mesa de Unidad Democrática“ (MUD) aus konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien, das die Parlamentswahl im Dezember deutlich gewonnen hatte, zu einer Großdemonstration in Caracas aufgerufen. Die Oppositionsmehrheit wirft dem früheren Busfahrer und Nachfolger des gestorbenen Hugo Chávez vor, eine Diktatur vorzubereiten, da sie ihn noch dieses Jahr mit einem Referendum absetzen lassen will. In einem ersten Schritt wurden 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt, nur 196.000 waren notwendig. Die Regierung weigert sich bisher, diese anzuerkennen und versucht das Verfahren zu verschleppen. MUD-Generalsekretär Jesús Torrealba kritisierte: „Maduro versucht per Dekret zu regieren (…), das bedeutet, dass er wie ein Diktator regieren will.“ Der Abgeordnete Enrique Márquez betonte:

Mit diesem Dekret soll die Verfassung ausgehebelt werden.

Maduro verfolge „totalitäre Tendenzen“.

Im Ausnahmezustand

Allerdings hat schon in zwei früheren Fällen der Oberste Gerichtshof trotz Parlaments-Veto ähnlichen Dekreten stattgegeben – seit Mitte Januar gilt ein „ökonomischer Notstand“, mit dem zur Bekämpfung der dramatischen Versorgungskrise die Belieferung mit Lebensmitteln im Land gesichert werden soll. Mit dem am Montag veröffentlichten, zunächst auf 60 Tage befristeten Regierungsdekret werden Details zum Ausnahmezustand und zur Einschränkung der Parlamentsrechte genannt. Allerdings fanden schon vorherige Dekrete in der Praxis nur bedingt Anwendung, daher seien die Auswirkungen noch unklar, so Beobachter.

(dpa/avd)