Eine Firma aus dem Offshore-Netzwerk von Roldugin soll laut SZ ein Geschäft über 70.000 Aktien der russischen Ölfirma Rosneft gegen einen Kaufpreis von 807.800 Dollar mit einer Firma vereinbart haben, die daran beteiligt gewesen sein soll, den russischen Staat um 230 Millionen Dollar an Steuern zu prellen. Eine Anfrage der SZ bei Roldugin soll nicht beantwortet worden sein. Er ist einer der engsten Freunde des russischen Präsidenten, Taufpate der älteren Tochter Wladimir Putins und hat diesen mit seiner späteren Ehefrau bekannt gemacht.
Nach den ersten Enthüllungen der „Panama Papers“ hatte der Cellist zugegeben, über Offshore-Firmen Anteile an russischen Firmen zu halten. Über diese Offshore-Firmen sollen in wenigen Jahren zwei Milliarden Dollar geflossen sein. Woher er als einfacher Musiker so viel Geld hat, diese Frage blieb offen. Medien mutmaßten damals, es sei gar nicht sein Geld in diesem Netzwerk geparkt, sondern möglicherweise das von Putin und dessen Freunden. Beweise dafür gibt es allerdings nicht, auch Putin stritt das ab. Der russische Autokrat persönlich taucht bisher nicht in den Papieren auf. Sicher ist jedenfalls: Von diesem Firmengeflecht haben laut den „Panama Papers“ zahlreiche Putin-Freunde erheblich profitiert. Innerhalb weniger Jahre flossen mehr als zwei Milliarden Dollar durch dieses Netzwerk, ermittelte die SZ.
Neue Fragen um einen mutmaßlichen Mord
Wenn der neue Sachverhalt stimmt, wirft das neue Fragen auf: Neben der Frage, wie ein einfacher Cellist zu solch riesigem Reichtum gelangen konnte, rückt nun auch die Frage ins Zentrum, auf wessen Anordnung der Anwalt Sergej Magnitskij, der den Steuerbetrug öffentlich machte, im Gefängnis starb. Denn dass der keinen natürlichen Tod starb, daran dürften kaum Zweifel bestehen.
Magnitskij starb am 16. November 2009 in einer Isolationszelle eines berüchtigten Moskauer Gefängnisses, im Alter von nur 37 Jahren. Für den mutmaßlichen Mord wurde, wie auch für den Steuerbetrug, bisher niemand zur Rechenschaft gezogen – wie in Putins Russland durchaus üblich. Der Anwalt und Wirtschaftsprüfer hatte für einen US-Investmentfonds gearbeitet und dabei den Betrug aufgedeckt. Danach hatten russische Beamte zusammen mit Kriminellen die 230 Millionen Dollar über die Beschlagnahme von Firmen des US-Fonds und rückerstattete Steuern einfach aus der Staatskasse gestohlen – und über Scheinfirmen ins Ausland geschafft. Die SZ berichtet, hiervon seien auch etliche Millionen an die besagte Firma geflossen, mit der Roldugin später Geschäfte machte.
Schauprozess gegen einen Toten
Doch anstatt Magnitskij für die Aufdeckung zu danken, zeigte der russische Staat sich von der gewohnten Seite: Der Anwalt wurde wenige Tage, nachdem er Anzeige gestellt hatte, von einigen der kriminellen Beamten verhaftet und ins Gefängnis geworfen, wo er noch vor der Verhandlung starb. Entgegen der eigenen Rechtslage wurde obendrein 2013 ausgerechnet der Anwalt posthum und auch sein Chef Bill Browder wegen angeblicher Steuerhinterziehung schuldig gesprochen – eine juristische Farce, schon weil gegen Tote in keinem Rechtsstaat der Welt noch Strafurteile gesprochen werden. Die wahren Steuerhinterzieher wurden nicht belangt.
Der Kampf um die Wahrheit
Magnitskijs Tod hatte zu schweren diplomatischen Verwerfungen mit den USA geführt, die sogar Sanktionen gegen einige Beteiligte der Affäre verhängten. Der Gründer des US-Fonds, Bill Browder, kämpfte nämlich aus den USA heraus mit allen Mitteln um die Wahrheit. Im Internet machte er den unermesslichen Reichtum vieler Moskauer Ermittler und Steuerbeamter öffentlich, was in Russland aber natürlich niemand scherte. US-Präsident Barack Obama unterzeichnete 2012 das Magnitskij-Gesetz, das die amerikanischen Konten zahlreicher mutmaßlich beteiligter Russen einfror und ihnen die Einreise verbot. Russland reagierte, indem es Adoptionen russische Waisenkinder durch Amerikaner untersagte. Was ist das nur für ein Staat?
Putins Propaganda
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die Vorwürfe im Zusammenhang mit den „Panama Papers“ über Hunderttausende Offshore-Firmen als westliche Provokation verurteilt. Die aufdeckende „Süddeutsche Zeitung“ sei im Besitz des amerikanischen Finanzinstitutes Goldman Sachs, so Putin bei seiner traditionellen Bürgersprechstunde – definitiv eine Unwahrheit, wie später auch der Kreml kleinlaut einräumen musste. In Russland selbst hat kaum einer von dieser offensichtlichen Lüge erfahren, die Fehlinformation bleibt also in den Köpfen. Schuld war wieder mal der US-gesteuerte Feind von außen, den wahren Täter im eigenen Haus sieht man dagegen nicht. Im Übrigen seien die Panama-Informationen aber „wahrheitsgetreu“, sagte selbst Putin. Damals wusste er aber noch nicht, wie nah ihm diese Ermittlungen kommen und wie unerfreulich sie werden würden. Gekümmert hätte es ihn aber vermutlich trotzdem nicht.