Russlands Säbelrasseln verunsichert viele Staaten. Bild: Fotolia, Michael Rosskothen (Symbolbild)
Militärische Manöver

Kalter Krieg in der Ostsee

Russlands militärische Aktivitäten im Ostseeraum beunruhigen alle Anrainer-Staaten. Sogar vor Atomdrohungen schreckt Moskau nicht zurück.

Das ist eine Begleiterscheinung der russischen Aggression in der Ukraine: Der Kalte Krieg kehrt in die Ostsee zurück. In baltischen Gewässern und im Luftraum darüber häufen sich russische Provokationen und gefährliche Zwischenfälle. Zuletzt vertrieb die finnische Marine mit kleinen Wasserbomben ein unbekanntes „Unterwasserfahrzeug“ aus Gewässern unmittelbar vor Helsinki. Im vergangenen Oktober machte Schwedens Marine tagelang Jagd auf ein vermutlich russisches U-Boot. Dieser Tage hat die russische Marine mit einem Manöver die Verlegung eines Hochspannungskabels zwischen Schweden und Litauen massiv behindert – zum vierten Mal. Wohl kein Zufall: Noch ist Litauen stark von Stromlieferungen über russische Leitungen abhängig. Mit der Leitung aus Schweden wird sich das ändern.

Regelrecht beunruhigend sind die Aktivitäten der russischen Luftwaffe: 2014 mussten Nato-Abfangjäger mehr als 400 Mal aufsteigen, um russische Flugzeuge abzufangen, die sich Nato-Luftraum näherten oder gar schon eingedrungen waren. Über 150 solcher Fälle betrafen allein den Luftraum Litauens, Estlands und Lettlands – vier Mal so oft wie ein Jahr zuvor.

Die russischen Flugmanöver sind nicht ungefährlich: Anfang dieses Jahres flogen atomwaffenfähige russische Bomber sogar den Ärmelkanal entlang, ohne oder mit ausgeschaltetem Transponder und brachten dadurch den zivilen Flugverkehr in Gefahr. Im Frühjahr 2014 kam es über der Ostsee zu einem Beinahe-Zusammenstoß zwischen einem russischen Aufklärungsflugzeug und einer Maschine der Scandina­vian Airlines auf dem Weg nach Rom.

Simulierte Atomangriffe wirken bedrohlich

Bedrohlich erscheinen immer häufigere große russische Blitzmanöver im Ostseeraum nahe den Grenzen der baltischen Republiken. Im Brüsseler Nato-Hauptquartier steigt dann die Nervosität: Ein großes Manöver kann auch Vorbereitung auf eine Invasion sein – wie 2014 vor der Invasion der Krim oder 2008 vor dem Einfall in Georgien.

2013 übten russische Flugzeuge einen Angriff auf das neutrale Schweden, berichtet die Neue Zürcher Zeitung. Regelmäßiger Teil russischer Manöver sind simulierte Atomangriffe auf Hauptstädte wie Warschau oder Stockholm, vermerkt die Londoner Wochenzeitung The Economist und folgert: „Russland hat damit begonnen, Atom-Drohungen als offensive Waffe seiner Strategie der Einschüchterung einzusetzen.“

In der Tat: Im vergangenen März warnte Russlands Botschafter in Kopenhagen, dänische Schiffe würden Ziel für russische Atomwaffen, wenn das Land an einer Nato-Raketenabwehr teilnähme. Im gleichen Monat bekannte Präsident Wladimir Putin, er sei während der Annexion der Krim bereit gewesen, russische Atomwaffen-Einheiten in Alarmzustand zu versetzen. Noch deutlicher wurde der russische TV-Journalist und Chef-Propagandist Dimitri Kisseljow: „In den Jahren des [Entspannungs-) Romantizismus hat sich die Sowjetunion verpflichtet, Atomwaffen nicht als erstes einzusetzen. Die moderne russische Doktrin kennt das nicht mehr. Die Illusion ist verflogen“ (The Economist). Bei Moskaus Aggression in der Ukraine spielt auch nukleare Abschreckung eine Rolle: Vor allem sie hielte den Westen davon ab, der Ukraine zu helfen, sich zu verteidigen, schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung der Historiker und Außenpolitik-Experte Ulrich Speck.

Finnische Reservisten auf Krisensituation vorbereitet

Solche Töne aus dem „aufs neue expansionistischen und hurrapatriotischen Russland unter Präsident Wladimir Putin“, wie die linke Londoner Tageszeitung The Guardian das sieht, beunruhigt alle Länder im Ostseeraum: Das finnische Verteidigungsministerium bereitet 900000 Reservisten per Brief auf eine mögliche Krisensituation vor. Norwegen lädt die Nato zu demonstrativen Manövern auf seinem Territorium ein. Das Bündnis baut eine 5000 Mann starke superschnelle Eingreif­truppe auf – vor allem mit Blick auf die baltischen Republiken, wo die Nato jetzt verstärkt Präsenz zeigen will. Denn noch im Februar hielt es der britische Verteidigungsminister Michael Fallon für eine „reale und gegenwärtige Gefahr“, dass Moskau versuchen könnte, die Balten-Staaten mit ähnlichen Mitteln zu destabilisieren wie die Ukraine. Die Nato müsse jedenfalls auf alles vorbereitet sein, so Fallon.

Wie in der Ukraine leben auch in den drei ehemals sowjetischen Balten-Republiken russische Minderheiten: sechs Prozent in Litauen und je 25 Prozent in Lettland und Estland. Alle drei sind Nato-Mitglieder und dürfen sich eigentlich durch den Beistandsartikel 5 des Bündnisvertrages geschützt fühlen. Aber bittere sowjet-russische Erfahrungen liegen noch nicht lange zurück. Russlands Krieg in der Ukraine hat tiefsitzende Ängste geweckt. Litauen bereite sich auf Krieg vor, berichtete kürzlich das renommierte US-Politik-Magazin Foreign Affairs und zitierte aus einem neuen Handbuch des Verteidigungsministeriums für Soldaten und Zivilisten über das Verhalten im Falle der Invasion durch eine auswärtige Macht: „Bleiben Sie ruhig, verfallen Sie nicht in Panik und bewahren Sie kühles Denken. Schüsse unmittelbar vor Ihrem Fenster sind nicht das Ende der Welt.“