Verfassungsänderung nach dem Terror: Paris streitet über die Ausbürgerung von verurteilten Terroristen. Bild: H.M.
Frankreich

Ausbürgerung von Terroristen

Frankreich streitet über die Ausbürgerung von Terroristen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Mit knappem Parlamentsvotum hat die geplante Verfassungsänderung die erste Hürde geschafft. Aber bis zur Dreifünftel-Mehrheit beider Parlamentskammern ist es noch ein weiter Weg. Für Präsident Franςois Hollande steht dabei anderthalb Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl politisch viel auf dem Spiel.

Mit knapper Mehrheit von 162 gegen 148 Stimmen – von insgesamt 577 Abgeordneten –  hat die französische Nationalversammlung den Text einer Verfassungsänderung beschlossen, die die Ausbürgerung verurteilter Terroristen vorsieht. Die neue gesetzliche Maßnahme kann nur Franzosen mit doppelter Staatsbürgerschaft betreffen – dann allerdings auch, und das ist neu, solche Täter, die nicht bloß eingebürgert wurden, sondern ihren französischen Pass durch Geburt erworben haben.

Angesichts des Terrorismus, angesichts der Bedrohung, die noch nie so groß war, zweifellos viel größer als vor dem 13. November, da muss man die Entscheidungen fällen, die sich aufdrängen.

Premierminister Manuel Valls

Am Abend zuvor hatte die Nationalversammlung bei kaum halb gefülltem Plenum mit 103 gegen 27 Stimmen bei sieben Enthaltungen den ersten Teil der Verfassungsänderung befürwortet, die den Ausnahmezustand in der Verfassung verankert und regelt. Beiden neuen Verfassungsartikeln muss nun noch der Senat – die zweite Kammer – zustimmen. Dann müssen beide Kammern – Nationalversammlung und Senat – der Verfassungsänderung in einer Congrès genannten gemeinsamen Sitzung in Versailles mit Dreifünftel-Mehrheit zustimmen.

Schwieriger Weg zur Dreifünftel-Mehrheit

Davon allerdings sind beide neuen Verfassungsartikel derzeit noch weit entfernt. Das zeigen die knappen Ergebnisse und die Abwesenheit der Hälfte der Abgeordneten bei den Abstimmungen. Zudem hat der Vorsitzende der bürgerlichen Mehrheitsfraktion im Senat schon angekündigt, die neuen Verfassungsbestimmungen umschreiben zu wollen. Was die Angelegenheit verkompliziert, weil beide Parlamentskammern identische Texte beschließen müssen, bevor dann der Congrès darüber befinden kann.

Komplizierender Faktor: Die bürgerliche Mehrheitsfraktion im Senat will die neuen Verfassungsbestimmungen umschreiben.

Am 16. November vergangenen Jahres, unmittelbar nach dem Massenmord-Terror vom 13. November in Paris, hatte Präsident Franςois Hollande den Congrès in gemeinsamer Sitzung in Versailles über seine Pläne für eine Verfassungsänderung unterrichtet. Zunächst überwog die Zustimmung. Doch das hielt nicht lange. Seit bald zwei Monaten wird vor allem über die Frage der Aberkennung der Staatsbürgerschaft – „déchéance de nationalité“ – für Terroristen mit französischen Pässen heftig gestritten. Der eher juristisch-technische Begriff von der „déchéance“ ist zur fast täglichen Schlagzeile auf den Zeitungstitelseiten aufgestiegen.

Durchsichtiger Formelkompromiss über die „binationaux”: Denn an der Sache selber ändert sich nichts, da man nur Franzosen, die über einen zweiten Pass verfügen, ihren französischen Pass entziehen kann.

Ursprünglich sollte im neuen Verfassungsartikel explizit von Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft – „binationaux“ – die Rede sein. Das wurde gestrichen, um nicht die „binationaux“ zu diskriminieren und für sie eine französische Staatsbürgerschaft geringerer Qualität zu schaffen. Ein durchsichtiger Formelkompromiss: Denn an der Sache selber ändert sich nichts, da man nur Franzosen, die über einen zweiten Pass verfügen, ihren französischen Pass entziehen kann.

Der Streit um die „déchéance“ spaltet alle politischen Lager

Die hitzige Debatte spaltet beide großen politischen Lager. Auf der bürgerlichen Seite plädiert der Vorsitzende der Republikaner, Ex-Präsident Nicolas Sarkozy für die Verfassungsänderung. Sein Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur, Ex-Premierminister Franςois Fillon, hat dazu aufgerufen, die Verfassungsänderung abzulehnen: Sie sei „weder notwendig noch nützlich“. Fillon hatte Hollandes Pläne schon unmittelbar nach jener Collège-Sitzung im November heftig kritisiert.  Alain Juppé, ebenfalls Ex-Premier und Sarkozy-Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner, hat im Parteivorstand für die Aberkennung der Staatsbürgerschaft gestimmt und sich dann dagegen ausgesprochen. Andere Republikaner zögern, als Mehrheitsbeschaffer für Präsident Hollande zu dienen.

Weder notwendig noch nützlich.

Ex-Premierminister Franςois Fillon

Am schärfsten aber tobt der Streit um die „déchéance“ unter den regierenden Sozialisten. Praktisch die gesamte Parteilinke, von denen ohnehin etwa 40 Abgeordnete sich seit bald zwei Jahren im mehr oder weniger offenen Widerstand – Fronde – gegen Hollandes zögerlichen wirtschaftlichen Reformkurs befinden, lehnt die Verfassungsänderung als weiteren Beleg für den Rechtskurs der Regierung ab. Christian Paul, sozialistischer Abgeordneter aus dem Burgund-Departement Nièvre und sozusagen Sprecher der Links-Frondeure, hält die Verfassungsänderung für einen „großen politischen Fehler, der die Rechte, die Linke und die Regierung spaltet“.

Man behandelt das Übel nicht, indem man es aus der nationalen Gemeinschaft vertreibt.

Wirtschaftsminister Emmanuel Macron

Der Links-Sozialist übertreibt nicht einmal. Der Streit um die Aberkennung der Staatsbürgerschaft hat Hollande schon eine Ministerin gekostet: Ende Januar trat seine prominente farbige Justizministerin Christiane Taubira im Protest zurück. Vor der knappen Parlamentsabstimmung am Dienstagabend kam es fast noch schlimmer: Ausgerechnet Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, junger Star des Kabinetts, dynamischer Motor der Wirtschaftsreformen und genau darum bei der Parteilinken verhasst, nahm gegen die Verfassungsänderung Stellung: „Man behandelt das Übel nicht, indem man es aus der nationalen Gemeinschaft vertreibt.“ Macron bezog damit öffentlich Position gegen seinen Regierungschef Manuell Valls und gegen Präsident Hollande. „Er schließt sich den Frondeuren an, das ist gut“, spotteten sogleich die Linkssozialisten. Auf der Rechten sieht man schon die nächste große Regierungskrise kommen.

Präsident Hollandes persönliches Projekt

Wie auch immer, vor der Parlamentsabstimmung am Dienstagabend verschoss Premierminister Valls sozusagen „seine letzte Patrone“ (Le Figaro) und warnte die Linkssozialisten davor, mit einem negativen Votum „den Präsidenten in die Minderheitsposition zu bringen“. Valls: „Angesichts des Terrorismus, angesichts der Bedrohung, die noch nie so groß war, zweifellos viel größer als vor dem 13. November, da muss man die Entscheidungen fällen, die sich aufdrängen.“ Valls Warnung hatte – halben –  Erfolg: Die sozialistischen Abgeordneten haben ihrem Präsidenten nicht die Mehrheit verweigert, sie haben nicht gegen seine Verfassungsänderung gestimmt. Sie sind zum großen Teil einfach der Abstimmung ferngeblieben. Nur: Für die Abstimmung im Congrès mit Dreifünftel-Mehrheit wird das nicht genügen.

Wenn er scheitert, dann wird Hollande zur Mumie von Ramses II. Dann bleibt er eingewickelt bis zum Jahr 2017.

Gilles Savary, sozialistischer Abgeordneter

„Wird der Congrès von Versailles stattfinden?“ fragte vor einer Woche die bürgerliche Pariser Tageszeitung  Le Figaro auf der Titelseite und gab gleich die Antwort: „Die Chancen schwinden.“ Wenn das Blatt recht behält, kann das dramatische politische Folgen haben. Denn es geht bei der „déchéance“ längst nicht mehr nur um eine Verfassungsänderung und die Mehrheit dafür. Es geht um Präsident Hollande und seine Präsidentschaft. Die geplante Verfassungsänderung war nicht irgendein Wahlversprechen, sondern ist sein ganz persönliches Projekt. Wenn er nun die die Sitzung des Congrès absagen muss oder gar bei der Abstimmung in Versailles die Dreifünftel-Mehrheit verfehlt, erleidet er eine schwere politische Niederlage – ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl und ein halbes Jahr vor der Entscheidung über die sozialistische Präsidentschaftskandidatur. Ein sozialistischer Abgeordneter bringt es auf den Punkt: „Wenn er scheitert, dann wird Hollande zur Mumie von Ramses II. Dann bleibt er eingewickelt bis zum Jahr 2017.“