Begeisterung sieht anders aus: Die neue SPD-Chefin Andrea Nahles nach ihrer Wahl. (Bild: Imago/Schreyer)
SPD

Eine Ohrfeige für die „Trümmerfrau“

Kommentar Die SPD hat eine neue Vorsitzende gewählt. Doch Andrea Nahles fährt das zweitschlechteste Ergebnis der Parteigeschichte ein. Die Wahl offenbart nicht nur die Spaltung der SPD, sondern auch die Realitätsferne vieler Genossen.

Nein, Vorschusslorbeeren sehen anders aus: Nur 66,3 Prozent der Delegierten stimmten für Andrea Nahles als neue SPD-Vorsitzende. Das ist das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei – und das für die erste Frau seit 155 Jahren an der Spitze der Genossen. Nur Oskar Lafontaine schnitt 1995 mit 62,6 Prozent bei seinem „Königsmord“ am damaligen SPD-Chef Rudolf Scharping schlechter ab. „Ein Sieg wie eine Ohrfeige. Klug ist das nicht“, kommentierte die Rheinische Post.

Ein Sieg wie eine Ohrfeige.

Kommentar der Rheinischen Post

27,6 Prozent erhielt die bundespolitisch völlig unbekannte Herausforderin Simone Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg. Das ist mehr als ein Achtungserfolg. Einen Grund dafür hatte Lange selber benannt: Sie habe sich geärgert, dass das wichtigste Amt der Partei hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden sei und der Parteitag das nur noch absegnen sollte. Und das nach dem Schulz-Desaster und einem katastrophalen Bundestagswahlergebnis von nur noch 20,5 Prozent. Das haben wohl viele Delegierte genauso gesehen.

Das Ergebnis ist aber auch deshalb keine Überraschung, weil schon die Mitglieder-Abstimmung über eine Teilnahme an der Großen Koalition vor ein paar Wochen mit 66 Prozent Zustimmung ein fast identisches Ergebnis lieferte. Ein Drittel gegen Nahles, das zeigt die tiefe Spaltung, die durch die SPD geht. So schrieb der Schweizer Tages-Anzeiger sehr treffend: „Ein Drittel von Basis und Funktionären wünscht die SPD mit heißer Sehnsucht nach links – und in die Opposition.“

Kein Sinn für die Realität

Aber ist ein Linksschwenk der Weg in die Erlösung? Mehr Staat, weniger Eigenverantwortung, weg mit Hartz IV und das soziale Füllhorn ausschütten? Dabei vergessen die Genossen wie immer, dass die Zeiten vor Hartz IV gerade für Arbeitslose viel schlechter waren, und dass irgendjemand das Geld für soziale Wohltaten erstmal erwirtschaften muss. Wer Hartz IV abschaffen wolle, habe damit keine einzige Frage beantwortet, erklärte Nahles nun in erstaunlicher Einsicht. Die Partei der Arbeiterklasse hat aber vor allem deshalb ein Problem, weil sich die Arbeiterklasse in einer globalisierten und digitalisierten Arbeitswelt inklusive Flüchtlings-Konkurrenz im Niedriglohnsektor fundamental verändert hat.

Obwohl in Umfragen auch die große Mehrheit der SPD-Wähler wünscht, dass man in der Inneren Sicherheit und in der Asylpolitik eine härtere und strengere Gangart einlegen sollte, hält ein großer Teil der SPD-Spitzenfunktionäre bis heute unbeirrt am Kurs der Realitätsflucht fest. Auch die von der SPD geforderte Vertiefung der EU wollen die meisten Bürger nicht. Diese Themen aber stehen seit Monaten an der Spitze der wichtigsten Politikfelder und greifen auf vielfältige Weise in das Leben der Menschen ein. Nahles immerhin hat neben der traditionellen SPD-Rhetorik gegen Großkonzerne auch diesen Umstand angesprochen, eine „klarere Haltung“ in der inneren Sicherheit gefordert und dass man niemand in „irgendeine Ecke“ stellen solle, der reale Probleme in der Asylpolitik beim Namen nenne.

Abgehobene Parteifunktionäre

Andrea „Bätschi“ Nahles hat allerdings ein weiteres Problem: Sie ist seit mehr als 20 Jahren in wichtigen Partei- und Regierungsfunktionen, auch in der Großen Koalition, gilt als Teil des „abgehobenen“ Partei-Establishments. In diesen letzten 20 Jahren hat die SPD einen beispiellosen Absturz in der Wählergunst erlebt, die Hälfte ihrer Stimmen eingebüßt. In einigen Bundesländern geht das so weit, dass kaum noch von einer Volkspartei gesprochen werden kann. In Bayern kam sie in einer aktuellen Umfrage auf nur noch 13 Prozent, so viel wie Grüne und AfD. In den neuen Bundesländern und Baden-Württemberg gibt es ähnliche Werte, zum Teil haben Grüne und AfD sogar überholt.

Nahles darf nun ihrem neuen Spitznamen „Trümmerfrau“ Ehre machen und den Wiederaufbau der Partei leiten. „Wir sind die Kraft der Zukunft und des Fortschritts“, sagte sie auf dem Parteitag. Genau davon aber ist die SPD derzeit meilenweit entfernt.