Zielort für zusätzliche U9: U-Bahn am ausgebauten Bahnhof "Münchner Freiheit". (Foto: Imago/R.Peters)
Verkehr

Gas geben gegen den Stau

Mit dem "Verkehrspakt Großraum München" versuchen Freistaat, Stadt und Umland-Kreise die Probleme im überfüllten Straßen- und Nahverkehrssystem in den Griff zu bekommen. Verkehrsminister Joachim Herrmann mahnt zu einer konzertierten Kraftanstrengung.

Die Landeshauptstadt wächst mit enormem Tempo. Schon heute leben 2,9 Millionen Menschen in München und den umliegenden Landkreisen, die über das S-Bahn-Netz ans Zentrum angebunden sind. Das ist fast ein Viertel der Bevölkerung Bayerns. Schon 2030 sollen es aber im gesamten Ballungsraum 400.000 mehr sein – das bringt große verkehrstechnische Probleme mit sich. Allein zwischen 2015 und 2017 ist die Zahl der Autos mit Kennzeichen „M“, „FFB“, „FS“, „DAH“, „STA“, „ED“, „EBE“ und „TÖL/WOR“ um mehr als 50.000 gestiegen, auf derzeit fast 1,6 Millionen. Hinzu kommen 152.000 Motorräder und 82.500 Lkw, die im gesamten Großraum angemeldet sind. Die Staus auf Einfallstraßen und Ring-Verbindungen zu Stoßzeiten kennt jeder Pendler und jeder Gelegenheitsfahrer.

Pakt gegen die Überlastung

Lockt die Stadt weiterhin so viele Zuzügler nebst fahrbarem Untersatz, werden Milliarden-Investitionen zum Ausbau von Straßen und öffentlichem Nahverkehr dringend nötig. „Es besteht Handlungsdruck, denn die Metropolregion München gehört zu den am dynamischsten wachsenden Regionen Deutschlands“, hatte Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann schon im Sommer erklärt und einen „Verkehrspakt Großraum München“ angekündigt.

Nun, im Spätherbst sind die möglichen Beteiligten eines solchen Paktes zum ersten Mal zusammengekommen: Minister Herrmann, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, alle Landräte der Landkreise des Münchner Verkehrsverbundes (MVV), sowie Vertreter des MVV und der Deutschen Bahn. Bei dem Treffen in der Obersten Baubehörde in München sei eine „starke Agenda“ ausgearbeitet worden, sagte Herrmann hinterher. „Wichtig ist mir, dass sich die unterschiedlichen Behörden und Aufgabenträger vernetzen. Sie müssen mehr über den Tellerrand ihrer Zuständigkeiten blicken und an den Schnittstellen besser an einem Strang ziehen“, mahnte der bayerische Verkehrsminister.

Die Verkehrsprobleme der Landeshauptstadt beginnen bereits vor dem Ortsschild.

Joachim Herrmann, Verkehrsminister

Kernproblem einer solchen konzertierten Aktion des Landes, der Kommune und der Umlandkreise wird sein, die riesigen Mittel zu organisieren, die für den Ausbau der Verkehrswege nötig sind. Um Tausende Berufspendler zum Umstieg auf S-, U-, Tram-Bahn und Bus zu bewegen, muss das MVV-Netz massiv ausgebaut werden. Hintergrund: Mit einem Kraftakt haben sich in diesem Jahr der Freistaat, die Stadt München und die Deutsche Bahn auf den Bau einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke verständigt, die allein mindestens 3,2 Milliarden Euro verschlingen wird. Stadt und MVV planen allerdings auch noch die Tunnelbohrung für eine neue U-Bahn. Die U9, die vom Stadtteil Sendling ab Implerstraße über Theresienwiese und Hauptbahnhof nach Schwabing zur Giselastraße und Münchner Freiheit führen soll, kostet aktuellen Schätzungen zufolge weitere 2,5 Milliarden Euro. Zudem beziffern Beamte von Herrmanns Ministerium den Ausbau von 15 Bundesstraßen und Autobahn-Stücken im Münchner Norden mit weiteren 1,16 Milliarden Euro.

Der Bund soll zahlen

Woher zusätzliches Geld kommen könnte, da waren sich laut Ministerium beim jüngsten Treffen der „Verkehrspakt“-Teilnehmer speziell die beteiligten Landräte einig: vom Bund. Dessen Förderbestimmungen für Verkehrsprojekte in Ballungsräumen müssten „deutlich verbessert werden“, fordern sie. Daran wird ein seit langem bestehendes Ungleichgewicht im Ballungsraum München erkennbar: Umlandgemeinden und –kreise profitieren zwar von der Nähe zum Wirtschaftsstandort München, halten sich aber bei den Ausgaben zum Ausbau etwa der Verkehrsinfrastruktur zurück. Ein übergeordneter Organisator und Geldgeber kann da Bewegung in den Stau bringen. Ein Riesenprojekt von Staats wegen. Denn dass die Kapitale des Auto-Produzenten Bayern ausgerechnet am zunehmenden Verkehr erstickt, kann sich das Land kaum leisten. Mehr als ein Drittel seiner Exporte im ersten Halbjahr 2017 erwirtschaftete der Freistaat mit Pkw, Lkw, Bussen.

Über die Grenzen hinweg

Tangentialverbindungen mit Omnibus, zusätzliche Radwege, Park&Ride-Knotenpunkte sollen nach Herrmanns Willen „landkreisübergreifend“ geschaffen werden. „Die Verkehrsprobleme der Landeshauptstadt beginnen bereits vor dem Ortsschild“, mahnt er. Und gesteht auch, warum er insbesondere den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs dringend vorantreiben will: Es gehe nicht nur um die Bewältigung der Verkehrsprobleme, sondern auch um Luftreinhaltung. Noch immer drohen nämlich wegen hoher Feinstaub- und Stickoxid-Werte Fahrverbote für die beständig wachsende Auto- und Lkw-Flotte der Münchner und ihrer Umland-Nachbarn.

In diesem Jahr hat das Landesamt für Umwelt an der Messstation am Mittleren Ring (Landshuter Allee) an 12 Tagen Stickoxid-Werte ermittelt, die den gültigen Grenzwert überschritten. Erlaubt sind maximal 18 Tage. Zudem wurden an den Messstationen Stachus und Landshuter Allee an 20 respektive 23 Tagen der Feinstaub-Grenzwert überschritten. Erlaubt sind 35 Tage. Die Winter-Periode, in der die Heizungen von Privathäusern die Feinstaub-Konzentration zusätzlich zum Autoverkehr in die Höhe treiben, steht allerdings erst noch bevor.