Krise durchgestanden: Kühe in einem Stall in Allmoning im oberbayerischen Landkreis Traunstein. (Foto: Imago/Westend61)
Landwirtschaft

Beruhigung im Kuhstall

Vor einem Jahr grassierte die Milch-Krise, inzwischen zieht der Erzeugerpreis spürbar an. Von durchschnittlich 25 Cent je Liter ist er auf 34 Cent gestiegen. Landwirtschaftsminister Helmut Brunner ermahnt Bayerns Bauern aber, weniger zu produzieren.

Rein äußerlich hat sich nichts verändert. Aber die Stimmung klart spürbar auf. Wenn die Fichtners aus dem Stall kommen, gleitet ihr Blick über den Tegernsee. Die Aussicht auf Gmund am gegenüberliegenden Ufer bis hinüber zum Wallberg – Millionen wert. Aber noch vor einem Jahr schaute Landwirt Alois Fichtner eher frustriert drein, weil ihn ernste wirtschaftliche Sorgen plagten. Die Milchpreis-Krise hatte die Erlöse, die der Milchbauer aus dem Bad Wiesseer Ortsteil Holz von seiner Molkerei kassiert, auf Talfahrt geschickt. Wie für Tausende Kollegen in ganz Bayern. Und heute, zwölf Monate danach? „Besser“, sagt Fichtner erleichtert, „der Milchpreis hat sich ein klein bissl erholt.“ Um gut sieben Cent je Liter sind die Einnahmen gestiegen, die ihm die Käserei Bergader bezahlt, auf jetzt 37 bis 38 Cent.

Das Auf und Ab am Markt

So ganz traut der Oberbayer dem Aufwärtstrend freilich noch nicht. „Wäre schön, wenn das so anhält. Aber ich glaub‘, das bleibt ein ewiges Auf und Ab.“ Knapp unterhalb der magischen 40-Cent-Marke, ab der die bayerischen Bauern rentabel wirtschaften könnten. „Es ist einfach weiterhin zu viel Milch auf dem Markt. Das drückt den Preis“, erklärt Fichtner. Zu viele Landwirte glaubten noch immer, „dass sie besser wegkommen, wenn sie mehr produzieren.“

Uns geht es besser. Der Milchpreis hat sich ein klein bissl erholt.

Alois Fichtner, Milchbauer

Immerhin ist der durchschnittliche Literpreis laut dem Verband der Milcherzeuger Bayern seit dem Tiefpunkt der Krise im Frühsommer 2016 von 25 auf inzwischen 34 Cent emporgeschnellt. Tendenz: weiter steigend. Bio-Milch wirft sogar anhaltend solide 49 Cent ab. Bayerns Landwirtschaftsminister Helmut Brunner warnt Milchvieh-Halter und Molkereien dennoch vor zu viel Gelassenheit: „Wir können uns nicht zurücklehnen und glauben, das wird immer so bleiben.“ Weiterhin drängt er auf eine wirksame „Steuerung der Rohstoffmenge“, die Eigenverantwortung der Akteure in der gesamten Branche sei „bislang unzureichend“.

Im ersten Quartal 2017 ist die Produktion in Bayern gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 7 Prozent gefallen, auf rund 1,8 Millionen Tonnen Milch. Trotzdem reichen vielen die Erlöse nicht zum dauerhaften Überleben. Auch im vergangenen Jahr haben wieder gut vier Prozent der 32.000 Milchbauern im Freistaat ihren Hof aufgegeben.

Ein Fünftel der EU-Milch stammt aus Deutschland

Der „Milchbericht 2017“, den Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt Anfang Juni vorstellte, zeichnet ein dunkles Bild. In längeren Zeiträumen gedacht, habe sich die Lage am Agrarmarkt wenig gebessert: Im Vergleich zu 2009 sei die Milchproduktion in der gesamten Europäischen Union 2016 von 149 auf 164 Millionen Tonnen gewachsen. Den größten Marktanteil hält mit 20,9 Prozent die Bundesrepublik, gefolgt von Frankreich mit 16,2 und Großbritannien mit 9,5 Prozent. Seit die Globalisierung auch den Agrarmarkt erfasst und 2015 die Milchquoten in Europa wegfielen, ziehen die Preise nach unten, hält Schmidts Bericht fest. Die weltweite Überproduktion macht auch bayerischen Bauern das Leben schwer.

Einige Tendenzen am überversorgten Markt geben jedoch Anlass zum Optimismus. Die Discounterkette Aldi Süd hat jüngst auf die höheren Einkaufspreise reagiert und seit dem 1. Mai ihren Verkaufspreis für den Liter Vollmilch um 3 Cent erhöht. Laut Einzelhandelsexperten ein wichtiges Signal, denn andere Supermarkt-Ketten ziehen dem Aldi-Preis erfahrungsgemäß mit etwas Zeitverzögerung nach.

Wir brauchen eine Steuerung der Rohstoffmenge. Die Eigenverantwortung der Akteure in der gesamten Branche ist bislang unzureichend.

Helmut Brunner, Landwirtschaftsminister

Der Sprecher des Bundes Deutscher Milchviehhalter, Hans Foldenauer, sieht keineswegs mehr schwarz. „Seit neun oder zehn Monaten sinkt die europäische Milchproduktion um etwa drei Prozent, die Exporte aus der EU legen leicht zu – und schon steigt der Milchpreis“, analysiert er. Dazu geführt habe auch der Druck aus Bayern in Richtung Brüssel, meint Foldenauer. Denn die Minister Brunner und Schmidt haben im vergangenen Sommer mittels mehrerer „Milchgipfel“ ein Hilfsprogramm für Europas Milchbauern in Höhe von rund 500 Millionen Euro angeschoben. Die EU-Finanzspritze war an die Bedingung gekoppelt, dass Geld-Empfänger ihren Milchausstoß drosseln. So kommt es, dass langsam die von Schmidt erhoffte „Mengendisziplin“ einsetzt – ohne dass die einst unter Landwirten verhasste Milchquote wieder eingeführt würde.

Neuer Stall am See

Auch der Tegernseer Bauer Fichtner hat seinen Ausstoß reduziert. Rund 150.000 Liter gaben seine 23 Kühe im vergangenen Jahr – „ein bissl weniger als früher“, sagt er. Gleichzeitig hat auch ihn die neu erwachte Zuversicht in der bayerischen Agrarwirtschaft gepackt. Am Höhepunkt der Krise vor einem Jahr hatte er zähneknirschend seinen Plan vertagt, einen neuen, moderneren Stall neben dem alten zu bauen. Aber schon im Herbst hat er das Projekt wieder angepackt. Inzwischen ist das Gebäude fast fertig, bald ziehen die Tiere dorthin um. Fichtner hat nun allerdings Platz für 30 Kühe, und so wird seine Jahresproduktion wohl bald wieder wachsen. Der 35-Jährige setzt darauf, dass das grassierende Höfesterben den überlebenden Betrieben hilft. „Wenn andere aufhören, wird die Milch knapper“, schätzt Fichtner. Und das, so sein Kalkül, müsste dann auch den Erzeugerpreis antreiben.