Premiere in München: Zugang zum Showroom des neuen IBM-Zentrums im Highlight-Tower an der A9. (Foto: G. Dolak)
Digitalisierung

„Denken und arbeiten“

Der IT-Riese IBM startet sein neues Forschungszentrum im Hightech-Viertel des Münchner Nordens. Für seinen Supercomputer "Watson" sucht der Konzern im innovativen Klima zwischen Unis und Technologie-Unternehmen nach Geschäftsfeldern. Im Bayernkurier-Interview erklärt IBM-Deutschland-Chefin Martina Koederitz die Hoffnungen des Unternehmens.

Was bewegt IBM, ihr neues Forschungszentrum in München anzusiedeln?

Weil – wie Ministerpräsident Horst Seehofer bereits anmerkte – die bayrischen Landesfarben und die der IBM, beides weißblau, bestens zusammenpassen! Im Ernst: Die Nachfrage unserer Kunden, sich mit unseren Designern, Entwicklern und Datenwissenschaftlern zum Thema kognitive Lösungen und Technologien auszutauschen und Einsatzgebiete zu diskutieren, nimmt rapide zu. Daher haben wir uns für ein Center in Europa entschieden, das wir zudem als Brückenkopf in den asiatischen Markt nutzen. Innerhalb Europas haben wir uns mehrere Standorte angeschaut. In München passt eben alles auf das Beste zusammen.

Welche Faktoren sprechen aus Ihrer Sicht für die Stadt? Was hebt den Standort von anderen ab?

Eine Vielzahl von guten Gründen spricht für München: die beiden Exzellenz-Universitäten, erstklassige Forschungseinrichtungen oder Einrichtungen wie das LMU Entrepreneurship Center. Hier werden technische Talente ausgebildet, mit denen wir unsere Innovationskraft weiter ausbauen können. Zudem gibt es ein starkes wirtschaftliches Umfeld mit führenden Automobil-, Maschinenbau-, Versicherungs- sowie mittelständischen Unternehmen, die zum Austausch einladen. Das internationale Umfeld und der hohe Freizeitwert sind weitere Pluspunkte. Wenn Sie aus dem Fenster der Highlight Towers schauen und die Alpen in greifbarer Nähe sind, ist das schon etwas Einmaliges und Inspirierendes!

Was wird in diesem Think Tank in Schwabing-Nord geschehen?

Denken und arbeiten – gemeinsam mit Kunden und Partnern – und denen, die es noch werden wollen. Dabei geht es darum, eine neue Generation vernetzter Lösungen an der Schnittstelle von Cognitive Computing – mitdenkenden Computersystemen – und dem Internet of Things zu erschließen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Siemens Building Technologies, Marktführer für sichere, energieeffiziente und umweltfreundliche Gebäude und Infrastrukturen, wird zukünftig gemeinsam mit uns die intelligente Digitalisierung von Gebäuden vorantreiben, das Smart Home noch smarter machen. Dafür wird Siemens neueste Analyse-Verfahren mit IoT-Lösungen von IBM kombinieren, um ihre Plattform für das Energiemanagement weiter auszubauen und zu optimieren.

Für technische Laien gefragt: Was kann Watson, IBMs Supercomputer, der das Herz des Forschungszentrums bilden soll?

Es funktioniert ohne Rechenzentrum, denn die Watson-Dienste sind über die Cloud (IoT), oder auf Deutsch: dem Internet der Dinge. Unser Ziel ist dabei, vernetzte Geräte, Systeme und Sensoren intelligent zu machen. Manche sind es schon – denken Sie an Smartwatches, Fitness-Tracker oder Ampelanlagen – andere werden schnell folgen und neue Marktchancen zu beziehen, sicher, schnell, zuverlässig. Watson ist Teil und Ausgangspunkt einer neuen Klasse von mitdenkenden, kognitiven  Lösungen. Solche Rechnersysteme erfassen Millionen von Daten jedweder Form in Sekundenschnelle, sie verstehen diese Daten und können sie bewerten. Und sie können in natürlicher Sprache mit den Menschen interagieren. Sie lernen und bilden ihr Verständnis aus Interaktionen und Erfahrungen, die sie mit ihrer Umgebung machen.

Um welche Aufgaben zu bewältigen?

IBM Watson wurde so konzipiert, dass es Daten, egal woher sie kommen und in welcher Form sie vorliegen, verarbeiten kann. Das ist ein Meilenstein, denn bisher sind rund 80 Prozent aller Daten unstrukturiert, wie beispielsweise Sensordaten, Röntgenbilder oder Videostreams, und deshalb für herkömmliche Computer nicht verwertbar. So hilft Watson auch bei der Auswertung von Maschinendaten: Die Datenmenge, die durch die Vernetzung von Maschinen mit dem Internet entsteht, wächst rasant. Die schiere Menge und Komplexität machen Echtzeit-Analysen zu einer fast unlösbaren Aufgabe. Und Echtzeit ist hier der wesentliche Faktor, denn wenn ich erst Stunden oder Tage später erfahre, was ich hätte tun sollen, nutzt das nichts mehr. Kognitive Technologien sind im Zeitalter des Internet of Things und Industrie 4.0 also der einzige Weg, das wirtschaftliche Potential dieser Daten nutzbar zu machen.

Wenn Sie die Entwicklung der Digitalisierung in Deutschland, in Bayern betrachten – wie weit sind wir?

Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist unumkehrbar und hochdynamisch. Sie zeichnet aus, dass wir vernetzt arbeiten, dass wir den Kunden in den Mittelpunkt stellen, Grenzen des bisher Möglichen überschreiten und innovativ sind. Innovation ist überhaupt eine wesentliche Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit für den Standort Deutschland. Hier haben wir mit demzwölften Rang im Innovationsindikator 2015 sicherlich noch Luft nach oben.

Wie wichtig ist der Breitbandausbau? Wieviel ist im Freistaat schon gelungen, was sollte noch geschehen?

Für einen nachhaltigen Weg in die vernetzte Gesellschaft ist der Breitbandausbau zwingende Voraussetzung. Damit unsere Gesellschaft zukunftsfähig bleibt, brauchen wir flächendeckend Datenautobahnen. Die noch bestehenden weißen Flecken bei der Versorgung müssen verschwinden. Bayern und Deutschland sind hier auf einem guten Weg.

Beim Thema Industrie 4.0 – wie sind im Freistaat beheimatete Unternehmen wie Siemens, BMW oder Audi aus Ihrer Sicht aufgestellt?

Die Ausgangslage der deutschen Wirtschaft in Sachen Digitalisierung und Industrie 4.0 ist hervorragend. Ihr großer Vorteil ist der hohe Industrialisierungsgrad. Er bildet einen idealen Resonanzboden für datengetriebene, kognitive Geschäftsmodelle. Gerade eine Schlüsselbranche wie die Automobilindustrie ist hier gefordert und wendet auch schon seit längerem Industrie 4.0-Methoden an, beispielweise bei der individuellen Gestaltung von Fahrzeugen.

Wohin geht die Reise in puncto Industrie 4.0, welche Entwicklungen sehen Sie?

Die Entwicklung geht hin zu Maschinen, die von Anfang an mit eigener Intelligenz ausgestattet sind und über eine entsprechende Infrastruktur verfügen, die die gesammelten Daten in Echtzeit analysiert. Denn Industrie 4.0 steht für eine umfassende Vernetzung von Produktions- und Wertschöpfungsketten. So individualisieren Unternehmen mit Industrie 4.0-Technologien ihre Fertigung und entwickeln mit intelligenten Algorithmen neue Produkte und Dienstleistungen: Sensoren überwachen automatisch Systeme in Flugzeugen und gewinnen daraus Erkenntnisse für effizientere Triebwerke mit geringerem Kraftstoffverbrauch. In smarten Fabriken werden digitale Daten ausgewertet, um eine reibungslose Produktion zu ermöglichen, Fehler frühzeitig zu erkennen und neue Produkte effizienter zu entwickeln.

Was halten Sie von der These, dass IT-Innovationen sowieso fast nur mehr im Silicon Valley oder in Korea entstehen?

Watson ist eine der größten IT-Entwicklungen der letzten Jahre und an der amerikanischen Ostküste zu Hause. Aber ich gebe Ihnen grundsätzlich Recht, dass vieles aus dem Silicon Valley kommt, bedingt durch die Ansammlung großer IT-Firmen.

Was können wir von den Amerikanern lernen?

Digitalisierung definiert sich durch die Menschen, die den Wandel vorantreiben und den Unterschied machen. Grundvoraussetzung: eine positive Fehlerkultur, in der auch Scheitern erlaubt ist und als Möglichkeit zu lernen angesehen wird. Es gewinnt, wer experimentierfreudig ist, kreative Freiräume schafft, auch mal querdenkt. Heute geht es nicht mehr um „Haben-wir-immer-so-gemacht”, sondern um ein „Outside-of-the-Box-denken“. Da sind uns die Amerikaner noch ein Stück voraus.

Wo liegen die speziellen Stärken deutscher Unternehmen?

Die Kombination von Erfindergeist und deutscher Genauigkeit und Ingenieurtum haben dazu geführt, dass über 1300 deutsche Unternehmen weltweit als „Hidden Champions“ erfolgreich sind. Dazu zählt beispielsweise Brainlab, das seinen Firmensitz hier im Münchner Umland hat und weltweit führende medizinische Hard- und Software entwickelt.

Wenn IBM seinen Münchner Think Tank etabliert hat – wo hoffen Sie damit, sagen wir in fünf oder zehn Jahren, zu stehen?

Da muss ich Watson mal bitten, alle Möglichkeiten zu analysieren und die richtige vorherzusagen! Ernsthaft: Wir wollen der führende Anbieter von kognitiven Lösungen und die Nummer Eins bei Cloud Plattformen sein. München wird zum weltweit führenden Watson-Center, mit Leuchtturmprojekten, Patenten und internationalem Ruf.