Geweih-te Hallen: Im zur Destille umgebauten Stadl eines 200 Jahre alten Gutshofs in Niederbayern entstehen edle Hochprozenter. (Foto: Marx)
Lebensart

Feuerwasser aus dem Freistaat

Whisky, Wodka und Gin aus Bayern sind schwer im Kommen, regionale Edelschnäpse wärmen die Trinker. Der niederbayerische Sommelier Wilhelm Marx brennt fruchtige Kuriositäten - aus Ingwer, Waldhonig und Löwenzahnblüten.

Andächtig schreitet der Schnapsbrenner aus dem „Woid“ die Parade der riesigen, bauchigen Ballonflaschen im Wandregal ab. In feinen Gelb-, Orange-, Brauntönen glimmen die Flüssigkeiten darin im Licht der Designerlampen auf. Wenn Wilhelm Marx von den Kärtchen an den Flaschenhälsen die Ingredienzen vorliest, erwachen Erinnerungen an Sommerwiesen, Obstgärten und Waldlichtungen. „Country-Rose“ – aus den Blüten seiner 1200 Rosenstöcke destilliert. „Löwenzahnblüte“ – aus den gelben Blüten von niederbayerischen Kuhweiden. „Bärenfang“ – aus Waldhonig gebrannt und im Eichenfass gelagert. „GingerLiq“ – aus handgeschältem Ingwer gebrannt.

Insgesamt 35 verschiedene Sorten Liköre, Brände und Geiste hat der Edelschnapsbrenner aus Mitterkogl im Bayerischen Wald nordwestlich von Deggendorf entwickelt. „Ich koche gerne. Immer irgendwie nach Gefühl“, sagt Marx, „und da reifen in mir manchmal Rezepte für einen neuen Geschmack. Das mag ich dann ausprobieren – und meistens funktioniert es.“ So hat er seine Rosenblüten in diesem Herbst erst mal ausgiebig in Alkohol eingelegt und später mit Hagebutten-Maische aus den Beeren seiner Rosen versetzt. „Ganz eigentümlich auf der Zunge. Solche Kombinationen liebe ich, über sowas kann ich mich richtig freuen“, schwärmt der Niederbayer. Und schenkt zur Kostprobe im zur Destille ausgebauten Stadel seines 200 Jahre alten Gutshofes gleich mal einen Schluck von seiner Neuerfindung in ein schlankes Gläschen. Ein rosig-fruchtiger Geschmack von heimatlichen Blumengärten.

Scharfes aus dem Süden

Hochprozentiges aus Bayern ist im Kommen. Regionale Obstler und Kräuterschnäpse stehen ohnehin seit jeher in den Spirituosenregalen des Lebensmittelhandels. Aber Gins, Whiskeys, Wodkas, die lange nur aus England, Schottland, den USA, aus Russland oder Polen importiert wurden, treffen im spezialisierten Fachhandel und in den Flaschenregalen von Bars und Restaurants mittlerweile auf einheimische Edelwässer.

Einer der ersten Hersteller auf dieser Linie war die Traditionsbrennerei Lantenhammer vom Schliersee, die mit ihrem künstlich verknappten „Slyrs“ schon seit 1999 Single-Malt-Erfolge im Hochpreissegment einfährt. Zwei junge Münchner Start-up-Unternehmer sind seit 2007 mit ihrem Gin „The Duke“ so erfolgreich geworden, dass sie ihre Destillerie gerade vom Stadtteil Schwabing in größere Räume im Vorort Aschheim verlegen mussten. Die Trinkerkehlen zahlungskräftiger Gin-Tonic-Fans verlangen nach größeren Mengen.

Scotch, Champagner: Solche Begriffe sind geschützt. Aber Whisky oder Gin darf jeder herstellen.

Wilhelm Marx, Schnapsbrenner

Ein Arzt und ein Consultant aus Regensburg entwickelten „Vodrock“. Den Wodka brennen sie allerdings anders als viele Regionalschnapsler nicht selber, sondern lassen ihn von der Passauer Spirituosenfabrik Penninger herstellen. Auf der Feuerwasser-Erfolgswelle schwimmen inzwischen auch eher kopfwehverdächtige Kracherl wie „Minuspol“, ein Likör mit Eisbonbon-Geschmack aus Regensburg, oder der naturtrübe Kräuter namens „Odl“ aus dem Chiemgau mit. So wie die experimentellen Craft-Beer-Brauer dem traditionellen Biermarkt in Bayern neue Impulse verleihen, so erweitern die hiesigen Branntweinhersteller das Angebot an Klarem und Trübem.

Seit fünf Jahren heizt auch der Niederbayer Marx seinen Edelstahlbrennkessel ein. Dabei kommt ihm der Konsumtrend zum Kleinen, Feinen und Besonderen zugute. Und kurioserweise auch die Entwicklung zu geringerem Alkoholkonsum. „Hochprozentiges geht insgesamt zurück. Die Leute trinken nicht mehr so gerne die Schnäpse aus Industrieschmieden“, hat er festgestellt, „aber für kleine handwerkliche Brennereien entsteht neuer Raum.“

Erst die Millionenpleite

Vor dem Aufbruch kam für ihn allerdings erst mal ein großer Absturz. Denn jahrelang hatte Marx für die Drogeriemarktkette Schlecker Einweg-Kontaktlinsen produziert. Mit der Pleite des Handelsriesen rasselte auch er in die Pleite, da er noch Ware im Millionenwert geliefert hatte, sie aber aus der Schlecker-Insolvenzmasse nicht mehr bezahlt bekam. „Ich habe so viel Geld in meinem Leben verloren, das kann ich nie mehr kompensieren“, stöhnt Marx, „da wollte ich endlich meine Leidenschaft ausleben – und dabei in übersichtlicherem Maßstab arbeiten.“ Marx wollte noch mal von vorne anfangen und hochwertigen Hartstoff herstellen. Er besuchte einen Lehrgang zum Edelbrand-Sommelier. Danach legte er los. „Ohne Passion geht das nicht“, versichert er.

Seine größten Erfolge feiert er seit 2013 gleich mit einer seiner ersten Entwicklungen. Der „GingerLiq“, ein Likör aus saftigfrischem Ingwer, schlägt zunächst gar nicht in seinem Heimatland Bayern ein, sondern in Fernost. Dort gehört die Knollwurzel als Beilage zum Sushi oder in Wok-Gerichte. Seit einer Fachmesse in Hongkong entdecken asiatische Käufer auch Marx‘ süßlich scharfes Getränk aus dem vertrauten Speisegewürz. Fast 1000 Flaschen exportiert er inzwischen jeden Monat dorthin. Zu immerhin stattlichen Preisen von 49 Euro je Halbliterflasche.

Das Besondere wird gesucht. Dafür gibt es die Zielgruppe, und die hat das Bewusstsein.

Wilhelm Marx

Mit Wirten aus seinem Bekanntenkreis kreiert er seit diesem Anfangserfolg immer neue Sorten. „Bekanntheit erlangt man bei uns am besten über die Gastronomie und über Mund-zu-Mund-Propaganda“, hat Marx herausgefunden. Große Stückzahlen, die hohe Marketingetats rechtfertigen würden, kann er im Familienbetrieb mit seiner Frau, Tochter und deren Freund ohnehin nicht fertigen. Was im Flaschenregal am Tresen bekannter Bars steht, findet seinen Weg nach und nach auch in heimische Schnapsschränke.

So hat er mit einem Restaurantbetreiber seinen „Hierbas del Bavaro Bosque“ herausgebracht, ein Kräuterwasser nach südeuropäischem Rezept mit Zutaten aus dem Bayerwald. Für den Gründer der Burgerkette „Hans im Glück“, der in der Münchner Altstadt auch das britisch angehauchte Bar- und Grill-Lokal „Little London“ betreibt, brennt er aus Bio-Wacholderbeeren seinen „Marx Gin“. Dessen Etikette ziert das Gesicht seines kommunistischen Namensvetters Karl Marx. Eine scherzhafte Schnapsidee, denn der Selfmade-Unternehmer aus Mitterkogl fühlt sich im Kapitalismus durchaus wohl.

Dabei entwickeln Marx’ geistige Getränke durchaus politische Wirkung. Als sich CSU und CDU im Frühjahr bei einer Klausurtagung nach dem langen Streit um die Flüchtlingskrise wieder zusammenzuraufen begannen, lieferte der Brenner aus dem Bayerischen Wald flüssige Versöhnungsangebote. Nach einem gemeinsamen Abendessen von Vertretern beider Parteien lobte sogar Ministerpräsident Seehofer die wohltuende Wirkung, die Wein und Hochprozentiges auf das schwarz-schwarze Gemeinschaftsgefühl gehabt hätten.