Viele in Deutschland jubelnde Türken jubeln ihm zu. Doch die Wirtschaft seines Landes fährt Recep Erdogan in diesen Tagen mit Anlauf gegen die Wand. (Bild: Imago/Future Image)
Wirtschaft in der Türkei

Mit Anlauf gegen die Wand

Recep Tayyip Erdogan sägt mit Gewalt an dem Ast, auf dem er sitzt. Mit seinen Drohungen gegen den Westen erweist der türkische Staatspräsident auch der Wirtschaft seines Landes einen Bärendienst. Erdogan verschreckt Investoren und vergrault die Touristen. Die Blüten, die die Wirtschaft der Türkei zuletzt trug, verwelken nach dem gescheiterten Putsch noch schneller.

Für Schnäppchenjäger, denen es nichts ausmacht, dass ihr Land von einem ausländischen Staatsoberhaupt beschimpft wird, und die beim Reisen ein gewisses Maß an Furchtlosigkeit mitbringen, ist die Türkei in diesen Tagen das reinste Eldorado: Alle deutschen Bundesländer haben Ferien, und in dem Urlaubsland gibt es freie Betten en masse. Die Preise purzeln dementsprechend: Neun Tage im Club an der Mittelmeerküste bei Antalya zum Beispiel kosten nicht einmal 700 Euro. Und das „all inclusive“, und der Flug ist auch schon drin. Nur die Zwischenlandung in Istanbul, die gilt es freilich zu überstehen.

Terror versetzt Urlauber in Angst und Schrecken

Der Bombenanschlag am internationalen Flughafen Atatürk Ende Juni war die jüngste Terrorattacke, die Türkeiurlauber in Angst und Schrecken versetzte. 45 Menschen kamen ums Leben, nachdem drei Selbstmordattentäter mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr um sich geschossen, Handgranaten in eine Menge geworfen und sich selbst in die Luft gesprengt hatten. Unter den 235 Verletzten war auch ein Deutscher. Seit Januar 2015 war es auch in der Istanbuler Innenstadt wiederholt zu schweren Attentaten gekommen, im Januar 2016 starben elf deutsche Urlauber. Die Tourismusbranche der Türkei, die schon unter dem von Erdogan angezettelten Krieg gegen die Kurden sowie dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs mitsamt folgenden Sanktionen gelitten hatte, liegt seitdem am Boden.

Putsch lähmt Wirtschaft zusätzlich

Mitte Juli folgte der Putsch, der nun auch die übrigen Wirtschaftszweige der Türkei lähmt. Das Land selbst bezifferte den wirtschaftlichen Schaden in diesen Tagen mit 90 Milliarden Euro. Gebäude und militärische Ausrüstungen seien beschädigt worden, sagte Zoll- und Handelsminister Tüfenkci. Er rechnet damit, dass der wirtschaftliche Schaden noch steigen wird. Stornierungen von Aufträgen aus dem Ausland und der Rückgang der Besucherzahlen dürften seiner Meinung nach mit weiteren 300 Milliarden Türkischen Lira (etwa 88,8 Milliarden Euro) zu Buche schlagen. „Die Leute konnten nicht kommen, denn die Putschisten haben die Türkei wie ein Dritte-Welt-Land aussehen lassen“, klagte Tüfenkci.

Ratingagentur sieht Türkei als „Hochrisiko“-Land

Dass sich an der unguten Außendarstellung der Türkei so schnell nichts ändert, dazu trägt freilich auch der Staatschef höchst persönlich seinen Teil bei: So legte sich Erdogan zuletzt mit der Ratingagentur Standard & Poor’s an, die die Türkei zuvor als „Hochrisiko“-Land einstufte und Investoren vor einem Engagement am Bosporus warnte. Zuvor hatte sie bereits die Bonität türkischer Staatsanleihen herabgestuft und den Ausblick auf „negativ“ gesetzt. Als Grund dafür wurde neben dem gescheiterten Militärputsch auch die zunehmende Polarisierung im Land genannt.

Türkenfeindlich und völlig politisch motiviert.

Erdogan über die Einschätzung von Standard & Poor’s

Statt mit einfühlsamer Diplomatie vorsichtig am Image der Türkei zu arbeiten, goss Erdogan daraufhin weiter kräftig Öl ins Feuer. Standard & Poor’s warf er „Türkenfeindlichkeit“ vor, die Herabstufung sei „völlig politisch“ motiviert gewesen. „Wir sind doch gar nicht Mitglied, was geht es dich an, wer bist du denn?!“, polterte das Staatsoberhaupt. Am Dienstag dieser Woche holte er vor Wirtschaftsvertretern in Ankara dann zu einem Rundumschlag gegen den Westen aus und warf ihm vor, Terrorismus und Staatsstreiche zu unterstützen. So sei der Putschversuch vom 15. Juli nicht nur in der Türkei, sondern auch im Ausland geplant worden. Bekanntlich sieht Erdogan den in den USA im Exil lebenden Prediger Fethullah Güllen als Hauptverantwortlichen für den Putsch an und verlangt seine Auslieferung in die Türkei. Auch von Deutschland sieht sich Erdogan im Stich gelassen, besonders wegen des Verbots des geplanten Videoauftritts bei der Pro-Erdogan-Demonstration am vergangenen Sonntag in Köln.

Robustem Wirtschaftswachstum droht das Aus

Politisch ist zudem ein Beitritt der Türkei in die EU in weite Ferne gerückt, unter Erdogan ist sie ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei wären die wirtschaftlichen Voraussetzungen zuletzt gar nicht einmal so schlecht gewesen. Ganz im Gegenteil: Nach Angaben des Auswärtigen Amts hatte das Wachstum der Türkei 2015 mit einem Plus von vier Prozent alle Erwartungen übertroffen. Im Durchschnitt wuchs das Land in den vergangenen zehn Jahren um 4,7 Prozent. Sowohl das jährliche Haushaltsdefizit von derzeit 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als auch die Gesamtschuldenquote von 32,6 Prozent des BIP liegen deutlich unter der Maastrich-Schwelle. Motor der Wirtschaft ist vor allem die Westtürkei, in der die Leicht- und Schwerindustrie stark vertreten sind. Textil-, Fahrzeug-, Chemie- und Maschinenbranche tragen mit 25 Prozent zum BIP bei. Den größten Anteil an der Wirtschaftsleistung hat aber mit 60 Prozent der Dienstleistungssektor, zu dem bekanntlich der Tourismus zählt. Dieses Pfund droht Erdogan nun endgültig zu verspielen.

Ein Grundstein zum politischen Erfolg Erdogans war der wirtschaftliche Aufschwung des Landes, der ihm zugerechnet wurde – auch wenn Experten seinen Beitrag eher gering einordnen. So könnte also der wirtschaftliche Niedergang auch den politischen Niedergang der AKP nach sich ziehen. Doch die Erdogan-Partei hat mittlerweile jede Schaltstelle besetzt, jede kritische Stimme im Land zum Schweigen gebracht und daher wohl nichts zu fürchten.