Nicht mehr geheim, aber dennoch undurchsichtig. Nach der Veröffentlichung des ANFA-Abkommens bleiben mehr Fragen als Antworten. Bild: (Imago/CHROMORANGE)
ANFA-Abkommen

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Das Misstrauen gegenüber der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie anderer nationaler Notenbanken in der EU hält sich hartnäckig. Daran ändert auch die Veröffentlichung bislang geheimer Papiere zum Kauf von Anleihen (ANFA) nichts. Denn offenbar haben die Iren geschummelt. Die Ökonomen raten generell zu mehr Transparenz.

Aufgrund des immer größeren öffentlichen Drucks sahen sich EZB und die angeschlossenen Notenbanken Anfang Februar gezwungen, die „Hosen herunter zu lassen“ und die Geheimdokumente zum sogenannten ANFA-Abkommen öffentlich zu machen. ANFA (Agreement on Net Financial Assets) erlaubt es den nationalen Zentralbanken, Wertpapiere oder andere Vermögenswerte aufzukaufen, „soweit dies dem Ziel einer gemeinsamen Geldpolitik nicht zuwiderläuft“, heißt es offiziell. So war es möglich, dass zwischen 2006 und 2012 eine Handvoll Notenbanken für rund 510 Milliarden Euro Wertpapiere erwarb und frisches Geld in die Märkte pumpte. Die Bestände sollen bis 2014 auf mehr als 720 Milliarden Euro angewachsen sein. Am eifrigsten dabei waren Medienberichten zufolge die Banca d’Italia und die Banque de France. Und selbst EZB-Präsident Mario Draghi räumte im Dezember ein, dass die Kaufstrategien der nationalen Notenbanken „schwer zu verstehen“ seien. Vor Journalisten schloss er damals aber aus, dass es sich bei den Anleihekäufen um monetäre Staatsfinanzierung handele (der Bayernkurier berichtete).

Nationale Banken kaufen 2015 für 490 Milliarden Euro ein

Die EZB kauft bekanntlich für mittlerweile 80 Milliarden Euro pro Monat Anleihen auf, um die Wirtschaft im Euroraum anzukurbeln. Das nun veröffentlichte ANFA-Abkommen legt den Eindruck nahe, dass auch die nationalen Zentralbanken ihre eigenen Konjunkturpakete schnüren: So gingen sie laut offiziellen Zahlen allein 2015 für rund 490 Milliarden Euro auf Einkaufstour, im Jahr 2011 waren es sogar noch rund 100 Milliarden Euro mehr. Die obersten europäischen Geldhüter in Frankfurt haben damit kein Problem: Das habe alles seine Ordnung, die nationalen Wertpapierkäufe folgten genauen Regeln und würden bei der Steuerung der gemeinsamen Geldpolitik berücksichtigt, heißt es aus der EZB.

Hat Irland die ANFA-Regeln gebrochen?

Das Beispiel Irland zeigt allerdings, dass diese Regeln offensichtlich auch umgangen werden können. Wie „Die Welt“ berichtet, hatte das Land auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2011 der eigens gegründeten irischen „Bad Bank“ Milliardengarantien zugesagt. Diese wären 2013 fällig geworden und hätten Irland wahrscheinlich in die Staatspleite getrieben. Doch die Regierung in Dublin wandelte die Garantien kurzerhand in langjährige Staatsanleihen um, die die irische Zentralbank mit selbst geschöpftem Geld aufkaufte – ANFA machte die rund 43 Milliarden Euro teure Finanzierung möglich. Der Vorgang ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die befürchten, dass auch in Zukunft systemrelevante Großbanken auf Kosten des Steuerzahlers gerettet werden könnten. Die Welt verweist dabei zum Beispiel auf die „Pleitewahrscheinlichkeit“ der Deutschen Bank. Ihr Ausfallrisiko verlaufe seit Mitte 2015 fast parallel zu dem des deutschen Staates. Die Investoren würden also fest einkalkulieren, dass im Falle einer Schieflage des deutschen Branchenprimus der Steuerzahler einspringt.

Dieses Vorgehen ist abenteuerlich, die Sache muss sofort aufgeklärt werden

ifo-Chef Hans-Werner Sinn im Dezember 2015

Der scheidende Chef des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hatte das ANFA-Abkommen zwischen der EZB und den 19 nationalen Notenbanken bereits im Dezember vergangenen Jahres gegeißelt. „Das Schöne am Euro ist, dass man sich im eigenen Keller Geld drucken kann, das in anderen Ländern als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt ist“, ironisierte Sinn und verurteilte die Aufkäufe von Staatsanleihen durch nationale Notenbanken aufs Schärfste. „Dieses Vorgehen ist abenteuerlich, die Sache muss sofort aufgeklärt werden“, forderte der ifo-Chef damals. „Umfassende Auskunft über die merkwürdigen Geldvermehrungen mehrerer nationaler Notenbanken“, verlangte auch der Obmann der CSU-Landesgruppe im Bundestagsfinanzausschuss, Hans Michelbach.

Es ist von außen kaum nachvollziehbar, welche Motive und Strategien die Notenbanken mit ihren Anleihekäufen verfolgen. Hier wäre mehr Transparenz der nationalen Zentralbanken im Hinblick auf die Zusammensetzung ihrer Investments sicherlich zeitgemäß.

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin

Nun hat die EZB das Abkommen offengelegt, doch es bleiben viele Fragen: „Es ist von außen kaum nachvollziehbar, welche Motive und Strategien die Notenbanken mit ihren Anleihekäufen verfolgen“, monieren die Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. „Hier wäre mehr Transparenz der nationalen Zentralbanken im Hinblick auf die Zusammensetzung ihrer Investments sicherlich zeitgemäß.“ Aus den nun veröffentlichten Bilanzkennzahlen ist laut DIW auch nicht ersichtlich, welche Notenbank Staatspapiere welcher Länder hält. Einen genauen Einblick habe derzeit allein die EZB, „die das Verbot monetärer Staatsfinanzierung überwacht und in jüngster Zeit lediglich im Fall von Irland über Hinweise auf verbotene Wertpapierkäufe berichtet“, so die DIW-Ökonomen. Sie sehen angesichts der vorliegenden Daten keine Belege für eine verbotene Staatsfinanzierung durch das ANFA-Abkommen. Allerdings sei der Verdacht „anhand dieser Daten auch nicht eindeutig zu widerlegen“, fügen sie hinzu und raten auch hier zu mehr Transparenz: „Die Tatsache, dass die Öffentlichkeit gegenüber den Motiven der Zentralbanken misstrauisch wird, birgt für die Geldpolitik im Euroraum das Risiko, dass das wichtigste Gut der Zentralbank beschädigt wird: ihre Glaubwürdigkeit.“