Zwischen Hoffen und Bangen: Die Belegschaft im VW-Stammwerk in Wolfsburg bei der Betriebsversammlung am Dienstag. Bild: Imago/regios 24
Abgasskandal

VW unter Beschuss von allen Seiten

Sind es Durchhalteparolen, die VW-Chef Matthias Müller am Dienstag auf der Betriebsversammlung zum Besten gegeben hat, oder wird der Konzern gestärkt aus der größten Krise seiner Geschichte hervorgehen? Im Moment spricht wenig dafür, es brennt an allen Ecken und Enden. Die Belegschaft schwankt zwischen Hoffen und Bangen.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh malte am Dienstag schon einmal den Teufel an die Wand: „Sollte die Zukunftsfähigkeit von Volkswagen durch eine Strafzahlung in bislang einmaliger Höhe nachhaltig gefährdet werden, wird dies auch dramatische soziale Folgen haben“, sagte er vor gut 20.000 Beschäftigten in Wolfsburg. Und das nicht nur in den USA, sondern auch an allen anderen Konzern-Standorten. Für VW arbeiten weltweit rund 600.000 Menschen, allein in Deutschland sind es 270.000. Der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller sprach ihnen am Dienstag Mut zu: Volkswagen sei in der Vergangenheit immer wieder mit großen Herausforderungen konfrontiert gewesen, es sei aber auch immer wieder gelungen, sich in Krisenzeiten neu auszurichten, zu restrukturieren und „für sichere Beschäftigung zu sorgen“, betonte der Ex-Porsche-Chef.

Auswirkung auf Personal und Sponsoring

Erste Auswirkung auf das Personal hat der Skandal aber bereits. So waren zuletzt die Verträge von Leiharbeitern in den Werken Hannover und Emden nicht verlängert worden. Dass der Konzern den Gürtel enger schnallt, um sich auf deutlich schlechtere Zeiten vorzubereitet, darauf deutet auch ein Teilrückzug aus dem Sponsoring hin. Zu spüren bekommt das neben Schalke 04 ausgerechnet der krisengeschüttelte Fußballzweitligist 1860 München. Der zum Saisonende auslaufende Dreijahresvertrag für das Trikotsponsoring („Think Blue“) wird nicht verlängert, bestätigte ein VW-Sprecher. Medienberichten zufolge gehen den ohnehin chronisch klammen „Löwen“ dann jährlich 1,4 Millionen Euro durch die Lappen, sollten sie keinen neuen Trikot-Sponsor finden.

Justiz in den USA dehnt Ermittlungen aus

Bei dem Sturm, der sich über dem VW-Konzern zusammenbraut, ist die Einsparung beim Fußball freilich nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Wegen der manipulierten Software, die bei Dieselfahrzeugen niedrige Abgaswerte vorgaukelte, drohen bekanntlich in Amerika horrende Strafzahlungen. Von bis zu 46 Milliarden Dollar ist die Rede. Und nach einem Bericht des Wall Street Journal ermittelt das US-Justizministerium nun zu allem Überfluss auch noch wegen möglichen Bankbetrugs und Verstößen gegen Steuergesetze in Übersee. Demnach wird geprüft, ob Kreditgeber durch Manipulationen von VW bei der Autofinanzierung gefährdet wurden. Das Argument: Betroffene Fahrzeuge mit überhöhten Abgaswerten seien ursprünglich als umweltfreundlich vermarktet worden und hätten durch die Affäre erheblich an Wert verloren. Zudem soll geklärt werden, ob VW für Steuergutschriften haftbar gemacht werden kann, die Autokäufer in den USA für den vermeintlich geringen Abgasausstoß erhalten haben.

80.000 schließen sich Sammelklage in Europa an

Aber auch in Europa muss sich der Konzern noch auf einiges gefasst machen: So schließen sich nach einem Bericht der Rheinischen Post immer mehr betroffene Autobesitzer zusammen, die mit einer Sammelklage gegen VW vorgehen wollen. Ihre Zahl stieg demnach von Januar bis März von 60.000 auf nun 80.000. Abgewickelt werden soll die Klage über ein niederländisches Stiftungsmodell, weil es in Deutschland in diesem Fall keine rechtlichen Möglichkeiten für eine Sammelklage gibt. In Frankreich hat überdies die Staatsanwaltschaft in Paris Ermittlungen wegen des Verdachts des schweren Betrugs gegen VW eingeleitet.

Auch die Aktionäre wollen vor Gericht ziehen

Weiteres Ungemach droht den Wolfsburgern von zahlreichen Aktionären. Sie sehen sich um ihr Geld gebracht, weil VW angeblich zu spät über das Ausmaß der Abgas-Affäre informiert haben soll. Die Papiere der Wolfsburger hatten nach Bekanntwerden des Skandals dramatisch an Wert verloren. Medienberichten zufolge gingen rund 30 Milliarden Euro Börsenwert verloren, die die Anleger jetzt wiederhaben wollen. Der Konzern hält entgegen, dass der Vorstand von den Manipulationen nicht frühzeitig Bescheid gewusst hatte, sondern in untergeordneten Ebenen entschieden wurde.

Staatsanwaltschaft weitet Ermittlungen aus

Wer was und wann im VW-Konzern gewusst hat, dafür dürfte sich auch die Staatsanwaltschaft in Braunschweig interessieren. Sie hat ihre Ermittlungen mittlerweile deutlich ausgeweitet. Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe bestätigte am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur, dass sich die Zahl der Beschuldigten von 6 auf 17 erhöht habe. Darunter befinde sich aber nach wie vor kein Vorstandsmitglied, betonte Ziehe. Vor fünf Monaten hatte VW Besuch von den Ermittlern bekommen, zahlreiche Akten wurden in Büros in Braunschweig und Wolfsburg beschlagnahmt. Deren Auswertung und Zeugenbefragungen würden noch laufen, heißt es. Das Bild der Hintergründe für die Manipulationen von Dieselfahrzeugen werde aber immer besser.