Wasser predigen, Wein trinken
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will mehr Gerechtigkeit und prangert die Praktiken der Großkonzerne an. Die größten Exzesse und Skandale gibt es dabei in dem Unternehmen, in dem Sozialdemokraten an maßgeblicher Stelle mitentscheiden.
Sozialdemokraten

Wasser predigen, Wein trinken

Kommentar SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will mehr Gerechtigkeit und prangert die Praktiken der Großkonzerne an. Die größten Exzesse und Skandale gibt es dabei in dem Unternehmen, in dem Sozialdemokraten an maßgeblicher Stelle mitentscheiden.

Mit Schulz kommt die Gerechtigkeit. Wenn er und mit ihm die Sozialdemokraten erst einmal in Berlin das Sagen hätten, dann würden die Reichen weniger haben und die Armen dafür mehr. So verkündet es der SPD-Kanzlerkandidat derzeit landauf, landab. Besonders wortreich geißelt Schulz die Zustände in Großunternehmen: „Wenn ein Konzernchef in Deutschland einen ganzen Konzern durch seine Fehlentscheidungen zum Wanken bringt, kriegt er anschließend auch noch Boni dafür. Und wenn eine Verkäuferin durch einen kleinen Fehler auffällt, wird sie rausgeschmissen.“

Das Beispiel Volkswagen

Soweit die Klassenkampf-Rhetorik. Um zu sehen, wie es die Sozialdemokraten tatsächlich mit der Gerechtigkeit halten, lohnt der Blick auf ein Unternehmen, in dem die SPD tatsächlich an maßgeblicher Stelle mitentscheiden kann. Bei Volkswagen sitzen zwei Vertreter der SPD-geführten Landesregierung im Aufsichtsrat: Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies. Weil ist zudem Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrats, dem wichtigsten Machtzirkel des Konzerns. Dazu kommt Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh als einer der einflussreichsten Männer im Unternehmen. Auch Osterloh hat einen Platz im Präsidium. Und er ist ebenfalls Mitglied der SPD. Gemeinsam haben die Vertreter von SPD und Gewerkschaften die Mehrheit im VW-Aufsichtsrat. Ohne ihre Zustimmung läuft nichts im Konzern.

Zwölf Millionen Euro für ein Jahr Arbeit

Und wie steht es nun bei VW um die Gerechtigkeit, etwa bei Löhnen und Abfindungen? Wie verfährt Volkswagen mit Spitzenmanagern, die ihren Job nicht ordentlich erledigen oder den Konzern verlassen? Ganz einfach: Das Unternehmen wirft ihnen Millionen hinterher. Jüngstes Beispiel: die Vorstandsfrau Christine Hohmann-Dennhardt. Wie es sich für eine Sozialdemokratin gehört, war die ehemalige Verfassungsrichterin und frühere hessische Justizministerin bei VW für die Bereiche Integrität und Recht zuständig. Nach nur einem Jahr verließ sie Ende Januar das Unternehmen – mit einer Abfindung von zwölf Millionen Euro plus einer Rente in Höhe von 8000 Euro pro Monat, zahlbar ab Januar 2019, lebenslang. Abgesegnet haben diesen Deal auch die Genossen Weil, Lies und Osterkorn im Aufsichtsrat. Zur besseren Einordnung: Für zwölf Millionen Euro müsste der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer fast 280 Jahre lang arbeiten.

Die zwölf Millionen für Hohmann-Dennhardt sind allerdings nur „Peanuts“, verglichen mit dem Paket, das dem langjährigen Lebensgefährten von Andrea Nahles, dem VW-Personalvorstand Horst Neumann, zu seinem Abschied im Jahr 2015 geschnürt wurde. Neumanns Altersbezüge haben einen Gegenwert von fast 24 Millionen Euro.

Scheinverzicht der Vorstände

Wie „gerecht“ und „maßvoll“ es unter Mitbestimmung der SPD in dem Konzern zugeht, zeigt eine weitere Zahl: 141-mal mehr als ein durchschnittlicher Beschäftigter im Unternehmen kassieren bei Volkswagen die Vorstände. So das Ergebnis einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Das ist der mit Abstand höchste Wert unter allen DAX-Konzernen. Im Schnitt „begnügen“ sich die Spitzenmanager mit dem 57-Fachen des Durchschnittsgehalts.

Ähnlich großzügig zeigt sich VW auch bei der Aufarbeitung des Dieselskandals. Zur Erinnerung: Mitarbeiter des Unternehmens hatten die Software für Dieselmotoren manipuliert, um Abgaswerte zu fälschen. In den USA ist VW dafür zur Zahlung von 15 Milliarden Dollar verurteilt worden. In Deutschland sind 2,4 Millionen Fahrzeuge von den betrügerischen Manipulationen betroffen.

Als Zeichen der „Sühne“ verzichteten die VW-Vorstände freiwillig auf 3,1 Millionen Euro Bonuszahlungen. Allerdings nur vorläufig: Sollte der Konzern wieder erfolgreicher sein, wird ein großer Teil des Geldes doch noch ausbezahlt. Der Öffentlichkeit präsentiert hat diesen scheinheiligen Deal Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Weil höchstpersönlich.

Großzügiger Gehaltsdeckel

Ähnlich für dumm verkauft wird die Allgemeinheit mit dem neuesten Coup aus dem Hause Volkswagen. Die Gehälter der Vorstände werden gedeckelt, heißt es publikumswirksam. Keiner soll künftig mehr verdienen als zehn Millionen Euro im Jahr. Dreister geht es kaum: Vorstandschef Matthias Müller bekam zuletzt etwa vier Millionen Euro. Da ist noch viel Luft bis zum Gehaltsdeckel. Verzicht sieht anders aus.

„Deutschland ist kein gerechtes Land“, behauptet Martin Schulz. Zumindest dort, wo seine SPD mitentscheidet, trifft das zu.