Arbeit an einem chinesischen Hochofen: Die europäische Stahlbranche leidet unter dem heftigen Verfall der Preise. Foto: Imago/Xinhua
Unfairer Wettbewerb

Deutsche Stahlindustrie vor Schicksalsjahr

Der Stahlstandort Deutschland leidet immer stärker, die Branche spricht von einem „Schicksalsjahr 2016“: China produziert zu viel Stahl und überschwemmt damit zu Dumpingpreisen die Weltmärkte, vor allem aber die EU. Die deutsche Stahlindustrie fordert die europäische Außenhandelspolitik auf, dem Treiben endlich einen wirkungsvollen Riegel vorzuschieben.

Der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, schlug diese Woche auf einer Tagung in Düsseldorf Alarm: Das internationale Wettbewerbsumfeld sei in einem Umfang verzerrt, wie es die Stahlindustrie noch nicht erlebt habe, sagte er. Die globalen Stahlexporte stiegen Kerkhoff zufolge 2015 zwar auf ein Rekordlevel von 355 Millionen Tonnen, allerdings kam dabei nahezu jede dritte Tonne aus dem Reich der Mitte. Die chinesische Stahlindustrie konnte ihre Exporte demnach in den vergangenen drei Jahren auf 111 Millionen Tonnen verdoppeln, während der Rest der Welt ein Export-Minus von 20 Millionen Tonnen hinnehmen musste. Ein großer Teil des chinesischen Materials werde zu „Dumpingpreisen auf den Märkten angeboten“, moniert der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Stahlindustrie ist Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft

Die Stahlindustrie ist in Deutschland von herausragender Bedeutung: Nach Angaben des Verbands ist die Bundesrepublik mit einer jährlichen Produktion von knapp 43 Millionen Tonnen Rohstahl (2014) der weltweit siebtgrößte Stahlhersteller und der größte in der Europäischen Union überhaupt. Damit hat die Bundesrepublik 2,6 Prozent Anteil an der Welterzeugung des Stahls. Es sei das Rückgrat der deutschen Volkwirtschaft, heißt es. Empirisch ist demnach belegt, „dass jeder Arbeitsplatz in der Stahlindustrie mit fünf bis sechs weiteren Beschäftigten in Zulieferindustrien verbunden ist“. Mit rund 3,5 Millionen Beschäftigten stünden die stahlintensiven Branchen für zwei von drei Arbeitsplätzen im Verarbeitenden Gewerbe.

USA wehren sich erfolgreich

Bislang konnten die deutschen Stahlproduzenten der Konkurrenz aus China erfolgreich die Stirn bieten, doch seit das Reich der Mitte den offenen EU-Markt ins Visier genommen hat, wird es auch für sie immer schwerer: Die Wirtschaftsvereinigung Stahl verweist darauf, dass China seine Exporte in die EU um mehr als 50 Prozent steigern konnte, während die Stahlausfuhren des Landes in die USA um mehr als ein Viertel abgenommen haben. Der Grund: Der nordamerikanische Markt habe sich durch Handelsschutzmaßnahmen gut abgesichert, heißt es.

Offene Handels-Tore der EU schaden Deutschland

Die noch viel zu weit offenstehenden Handels-Tore der EU schlagen sich bereits deutlich auf die Zahlen der deutschen Stahlindustrie nieder. Die Auftragslage habe sich im vierten Quartal deutlich verschlechtert, heißt es aus der Branche. Die Bestellungen seien um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken, der Auftragsbestand sogar um 13 Prozent auf 7,2 Millionen Tonnen. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl erwartet nun einen Rückgang der Produktion um drei Prozent auf 41,5 Millionen Tonnen. Zwar befinde sich die Kapazitätsauslastung in der Branche in Deutschland mit 86 Prozent noch auf einem relativ hohen Niveau, „das darf jedoch nicht den Blick auf eine zunehmend als bedrohlich eingestufte wirtschaftliche Lage verstellen“, warnt Verbandspräsident Kerkhoff.

Das Handelsschutzinstrumentarium der EU muss zeitnah und konsequent angewendet werden, um Schaden von der heimischen Industrie abzuwehren

Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl

Ändern könnte daran derzeit nur die EU etwas: „Das Handelsschutzinstrumentarium der EU muss zeitnah und konsequent angewendet werden, um Schaden von der heimischen Industrie abzuwehren“, fordert Kerkhoff, der es begrüßt, dass mittlerweile immerhin vorläufige Zölle gegen „unfaire Kaltfeinblech-Importe auch aus China und Russland“ verhängt worden sind. Die Höhe der Zölle sei jedoch bei Weitem nicht ausreichend. Denn obwohl Dumpingspannen für chinesische Importe von fast 60 Prozent nachgewiesen werden konnten, seien nur Zölle zwischen 14 und 16 Prozent festgelegt worden. „Damit wird das unfaire Verhalten der chinesischen Anbieter auf dem europäischen Markt nicht unterbunden“, so der Verbandschef, der fordert, dass „bestehende Spielräume voll ausgeschöpft“ werden. Zudem müssten Verfahrenszeiten auf ähnliche Zeiträume verkürzt werden wie in den USA.

Importkrise konterkariert Klimapolitik

Kerkhoff weist überdies darauf hin, dass die Importkrise auch die Klimapolitik konterkariere: So entstehen seinen Angaben nach in China bei der Produktion von einer Tonne Stahl 40 Prozent mehr CO2-Emissionen als bei der Erzeugung in Europa.

China will Produktion herunterfahren und „Zombie-Unternehmen“ schließen

Ein wenig beitragen zur Entspannung der Marktsituation in Europa könnte derweil China selbst: Nach einem Bericht des ARD-Studios in Shanghai hat die Zentralregierung in Peking eingesehen, dass die Produktion heruntergefahren werden muss. Dem Bericht zufolge war in der Wirtschaftspresse des Landes zuletzt mit Blick auf die heimische Stahlindustrie immer wieder von „Zombie-Unternehmen“ die Rede, die künstlich am Leben gehalten würden. In den kommenden fünf Jahren soll die Produktion nun um 100 bis 150 Millionen Tonnen gedrosselt und unrentable Unternehmen dichtgemacht werden. Das dürfte auch die Chinesen freuen, denen dann mehr Luft zum Atmen bleibt.