Kommentierte Ausgabe erschienen
Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) stellte am Freitag die kritische Edition von Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ vor. Die knapp 2.000 Seiten dicke Neuauflage soll zeitgleich im Buchhandel erhältlich sein. Die Historiker wollen damit die Ansichten des Diktators kritisch kommentieren und widerlegen. Kurz danach waren die Bücher bereits ausverkauft.
„Mein Kampf“

Kommentierte Ausgabe erschienen

Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) stellte am Freitag die kritische Edition von Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ vor. Die knapp 2.000 Seiten dicke Neuauflage soll zeitgleich im Buchhandel erhältlich sein. Die Historiker wollen damit die Ansichten des Diktators kritisch kommentieren und widerlegen. Kurz danach waren die Bücher bereits ausverkauft.

Es gilt, Hitler und seine Propaganda nachhaltig zu dekonstruieren und damit der nach wie vor wirksamen Symbolkraft dieses Buchs den Boden zu entziehen.

Institut für Zeitgeschichte (IfZ)

Das schreibt das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) auf seiner Internetseite und betont dort weiter:

Die Kommentierung von „Mein Kampf“ ist nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabe. Es gibt kaum ein Buch, das mit so vielen Mythen überfrachtet ist, das so viel Abscheu und Ängste weckt, Neugier und Spekulation hervorruft und nicht zuletzt mit der Aura des Geheimnisvollen, des Verbotenen wirbt.

Institut für Zeitgeschichte (IfZ)

Neuauflage als kritische Edition

Heute stellt das IfZ nun seine kritische Edition von Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ vor. Die knapp 2.000 Seiten dicke Neuauflage wird ab dann auch im Buchhandel erhältlich sein. Die Historiker des IfZ wollen nach eigenen Angaben mit der Neuauflage die Ansichten des Diktators kritisch kommentieren und widerlegen und auf diese Weise einem ideologisch-propagandistischen und kommerziellen Missbrauch entgegenwirken:

Denn allen Debatten um eine Neuauflage zum Trotz – Hitlers Text ist schon längst auf vielfältigen Wegen zugänglich: Ob in antiquarischen Buchläden, über legal gedruckte englischsprachige Ausgaben oder über wenige Mausklicks im Internet – ‚Mein Kampf‘ ist in der Welt und findet jedes Jahr neue Leser, Agitatoren und Geschäftemacher.

Institut für Zeitgeschichte (IfZ)

Gegenangebot zur ungefilterten Verbreitung

Aufgabe einer wissenschaftlich kommentierten Fassung ist es laut IfZ eben auch, „die Debatte zu versachlichen und ein seriöses Gegenangebot zur ungefilterten Verbreitung von Hitlers Propaganda, seinen Lügen, Halbwahrheiten und Hasstiraden zu machen“. Die Edition „setzt deshalb auf politische Aufklärung und wendet sich in Form und Stil deshalb bewusst an einen breiten Leserkreis“, so das IfZ.

Dies sei nicht nur eine historiografische Aufgabe; angesichts des hohen Symbolwerts, den Hitlers Buch noch immer habe, sei die Entmystifizierung von „Mein Kampf“ auch ein Beitrag zur historisch-politischen Aufklärung, wie das IfZ weiter erklärt.

Eingebettet in zeitgenössischen Kontext

Vor diesem Hintergrund erstellte das IfZ durch eine Art „Einrahmung“ des Originaltexts in eine Einleitung und eine ausführliche wissenschaftliche Kommentierung einen Subtext zu „Mein Kampf“, durch den rasch klar wird, wie Hitlers Ideologie entstand, wie selektiv und verzerrt er die Wirklichkeit wahrnahm und auch, welche schrecklichen Folgen sich aus ihr ergaben.

Im Zentrum der kritischen Kommentierung steht infolgedessen die Dekonstruktion und die Kontextualisierung von Hitlers Schrift – mit den Fragestellungen: Wie entstanden seine Thesen? Welche Absichten verfolgte er damit? Welchen gesellschaftlichen Rückhalt besaßen Hitlers Behauptungen unter seinen Zeitgenossen? Welche Folgen hatten seine Ankündigungen nach 1933? Und vor allem: Was lässt sich mit dem Stand unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptungen, Lügen und Absichtserklärungen entgegensetzen?

Sisyphusarbeit an Originaltext

Ganz konkret hat das IfZ-Historikerteam unter der Leitung von Christian Hartmann dafür in mehrjähriger Arbeit den Originaltext Stück für Stück auseinandergenommen und ihn mit mehr als 3.500 Anmerkungen versehen. Diese liefern sowohl Hintergrundinformationen zu den dargestellten Personen und Ereignissen, Erläuterungen zentraler ideologischer Begriffe und der ideengeschichtlichen Wurzeln als auch eine zeitgenössische Kontextualisierung sowie eine Offenlegung von Hitlers Quellen.

Zusätzlich nahm das Editionsteam auch die Zeit nach 1933 in den Blick und verglich damit Hitlers Programmatik mit seinem politischen Handeln während der Jahre 1933 bis 1945. Auch ein Ausblick auf die Folgen von Hitlers Schrift wird nicht ausgespart.

Unterstützt wurde das Kernteam, das in der Hochphase der Kommentierung aus bis zu sechs Historikern bestand, durch Experten anderer wissenschaftlicher Disziplinen, um Hitlers Fülle an Behauptungen an den Ergebnissen der modernen Forschung zu messen. Als externe interdisziplinäre Berater waren deshalb Vertreter aus der Germanistik, Biologie, Japanologie, Judaistik, Kunstgeschichte, Pädagogik und Wirtschaftsgeschichte angeschlossen.

Urheberrechtsfrist erloschen

Der Originaltext von „Mein Kampf“ stammt aus dem Jahr 1924. Hitler hatte darin seine kruden politischen Ansichten und Pläne dargelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg übertrug die US-Regierung die Urheberrechte an den Freistaat Bayern, der das Buch seitdem unter Verschluss gehalten hatte.

Am 31. Dezember 2015, 70 Jahre nach Hitlers Todesjahr, sind die Urheberrechte an dessen Buch erloschen. Das IfZ hat es sich hierfür zum Ziel gesetzt, unmittelbar nach Ablauf dieser Frist eine wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe vorzulegen.

Um alle Rechte zu behalten, aber auch, um möglichen kommerziellen Interessen mit dem sensiblen Thema entgegenzuarbeiten, wird „Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition“ vom IfZ im Eigenverlag veröffentlicht. Das Buch stößt auch international auf großes Interesse. Das IfZ sprach von 15.000 Vorbestellungen für die zweibändige Ausgabe, die das Institut im Eigenverlag für 59 Euro verkauft. Die ursprüngliche Auflage von 4000 Stück wurde erhöht. Zudem gibt es Anfragen, das Werk zu übersetzen, etwa in Englisch, Französisch oder Italienisch.

Kultusministerium warnt vor Inhalt

Nur unter diesen Vorzeichen war und ist auch für das Bayerische Kultusministerium unter der Leitung von Ludwig Spaenle eine Neuauflage vertretbar, wie es in einer Stellungnahme zum heutigen Erscheinen der Ausgabe mitteilte:

Die Hetzschrift Adolf Hitlers ‚Mein Kampf‘ hat volksverhetzenden Inhalt, da darin zum Hass gegen Juden aufgestachelt, zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen sie aufgefordert und ihre Menschenwürde angegriffen wird. Der unveränderte Nachdruck zum Zwecke der Verbreitung wie auch die Verbreitung der Schandschrift ‚Mein Kampf‘ sind deshalb auch aus Sicht des Bayerischen Staatministeriums der Justiz grundsätzlich strafbar.

Ludwig Spaenle, Bayerischer Kultusminister

Nur auf der Grundlage der Freiheit der Wissenschaft und in Form einer historisch-kritischen Edition habe es daher eine Neuauflage von „Mein Kampf“ geben können, machte das Kultusministerium deutlich.

 „Eine große Herausforderung“

Für Kultusminister Spaenle stellt der Umgang mit Hitlers Hetzschrift dennoch „eine große Herausforderung“ dar, außen- wie innenpolitisch. Daher ist für Spaenle eine pädagogisch aufbereitete Begleitung der Lektüre in der Schule und in der politischen Bildungsarbeit unumgänglich.

Vor diesem Hintergrund plant der CSU-Bildungspolitiker ein mehrstufiges Vorgehen beim Umgang mit der Hetzschrift, das in einem ersten Schritt Hinweise und Handreichungen zum Umgang mit dem Buch an die Hand gibt und in einem weiteren Schritt eigene Fortbildungsveranstaltungen für die Multiplikatoren, sprich Lehrkräfte, anbietet. Zudem bereitet laut Kultusministerium die Bayerische Landeszentrale in Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern eine neue, mehrbändige Geschichte des Nationalsozialismus vor, in der auch „Mein Kampf“ im Zusammenhang mit dem NS-Schrifttum ausführlich behandelt und didaktische Anregungen für die schulische sowie politische Bildung gegeben werden sollen.

Zentralrat der Juden begrüßt Kommentierung

Auch für den Zentralrat der Juden in Deutschland gibt es gegen eine wissenschaftlich-kommentierte Ausgabe, die den Originaltext kritisch einordnet und der historisch-politischen Bildung dient, grundsätzlich nichts einzuwenden: „Ich hoffe, dass das Institut für Zeitgeschichte mit der wissenschaftlichen Einordnung und Erläuterung des Textes dazu beiträgt, die menschenverachtende Ideologie Hitlers insgesamt zu entlarven und Antisemitismus entgegenzuwirken“, sagte anlässlich des Erscheinungstermins des Buchs der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Denn, so Schuster weiter:

Mit dem Auslaufen der Urheberrechte ist die Gefahr einer erneuten Verbreitung der Propagandaschrift leider erheblich gestiegen. ‚Mein Kampf‘ verhöhnt die Opfer der Shoa und verletzt die Gefühle der Überlebenden zutiefst. Es ist richtig und unerlässlich, dass die Verbreitung der unkommentierten Fassung strafbar bleibt und von den deutschen Behörden konsequent verfolgt wird. Selbst wenn antiquarische Ausgaben und Übersetzungen international weiterhin erhältlich sind, ist dies die einzig angemessene Reaktion des deutschen Rechtsstaats.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

 

Adolf Hitlers „Mein Kampf“:

  • „Mein Kampf“ gilt als Hitlers wichtigste politische Schrift. Sie entstand in den Jahren 1924 bis 1926 in zwei Bänden. Während Band 1 in erster Linie stark stilisiert Hitlers Biografie sowie die Frühgeschichte der NSDAP und ihrer Vorläuferorganisation, der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), nachzeichnet, steht die Programmatik der Nationalsozialisten im Mittelpunkt von Band 2.
  • Große Teile des ersten Bands entstanden während Hitlers Haftzeit in Landsberg am Lech, nach seinem gescheiterten Putschversuch vom November 1923. Dessen Scheitern, die Zeit der Haft und das Verbot der NSDAP unterbrachen Hitlers politische Karriere. Er nutzte diese Zeit, um all das, was er bislang erlebt, gelesen und erdacht hatte, mit seinem Stellvertreter und Sekretär Rudolf Heß zu einer schriftlich fixierten Ideologie zusammenzuführen und um für seine verbotene Partei eine neue Perspektive und eine neue Strategie zu entwickeln. Den zweiten Band schrieb Hitler dann nach seiner Haftentlassung, zum größten Teil auf dem Obersalzberg.
  • Mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 schnellten die Verkaufszahlen stark in die Höhe; das Buch wurde zum Bestseller: Bis 1945 wurde „Mein Kampf“ in 18 Sprachen übersetzt und über 12 Millionen Mal verkauft.
  • Nach dem Selbstmord Hitlers und dem totalen Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 übertrugen die alliierten Siegermächte die Rechte an Hitlers Buch dem Freistaat Bayern. Die Bayerische Staatsregierung nutzte seither das Urheberrecht, um jegliche Neuauflage zu verhindern. Mit dem Erlöschen des Urheberrechts 70 Jahre nach Hitlers Tod steht dieses juristische Instrument aber ab 2016 nicht mehr zur Verfügung.
  • Unkommentierte Veröffentlichungen von „Mein Kampf“ bleiben weiterhin verboten, sind allerdings trotzdem – auch über das Internet – immer wieder erhältlich. Auch finden sich vielerorts noch die alten Ausgaben, die von 1933-45 in fast jedem Haushalt zu finden waren.
  • Die kommentierte Edition ist dennoch nicht unumstritten. Kritiker befürchten, rechtsextremes Gedankengut könnte dadurch verbreitet werden.

(dpa/ifz/dia)