Streit ums Geld: Disney versucht höhere Preise durchzusetzen - eine Strategie, die gerade kleinere Kinos nicht mitmachen wollen. Bild: fkn
Erhöhte Lizenzen

Rebellion der kleinen Kinos

Die Betreiber von kleinen Kinos fürchten um ihre Zukunft – und boykottieren einen Blockbuster.

Rund 200 deutsche Kinos boykottieren den Film „The Avengers 2“, weil Produzent Disney unangemessen hohe Verleihmieten fordert. Die Abgabenerhöhung richtet sich nicht nur gegen kleinere Betreiber, sondern stellt das Kino grundsätzlich in Frage.

Seit knapp drei Wochen ist der Actionfilm „Marvel’s The Avengers 2: Age of Ultron“ in den deutschen Kinos zu sehen. Am Startwochenende hat der Streifen mit einem Schnitt von 1500 Besuchern pro Kopie 8,6 Mio. Euro eingespielt, innerhalb weniger Tage lockte der Film mehr als 700000 Menschen in die Kinos – in Deutschland ist der Film damit die erfolgreichste Comic-Verfilmung aller Zeiten. Da wäre es also kein Wunder, wenn nicht nur große Kinokomplexe an bundesdeutschen Bahnhöfen Interesse haben, den Film in ihr Programm aufzunehmen, sondern auch die traditionellen, kleineren Kinos. Doch weit gefehlt: Dank einer immens hohen Leihgebühr, die die Produktionsfirma Disney auf den Avengers-Film erhebt, verzichten 193 Lichtspielstätten darauf, den Streifen zu zeigen – und protestieren damit gegen eine Verleihpolitik, die die Vielfalt der Kinos an sich gefährden könnte.

Im konkreten Fall hatte Disney statt bislang 47,7 Prozent der Netto-Ticketerlöse satte 53 Prozent der Einnahmen von den Kinobetreibern haben wollen – womöglich verkraftbar für große Kinokomplexe, aber eindeutig zuviel für kleine Independent-Kinos. Besonders ärgern sich die Betreiber darüber, dass sie nur kurzfristig über die Lizenzerhöhung informiert worden seien – offenbar, so vermuten sie, um sie zu einer stillschweigenden Duldung der faktischen Mieterhöhung zu zwingen.

Jetzt aber schlagen die Kinobetreiber zurück. In einer groß angelegten Aktion haben sie ihre Kollegen zum Boykott des Avengers-Films aufgerufen.

Aus dem Widerstand lässt sich vor allem eine große Verzweiflung ablesen, die sich bei den kleinen Filmtheatern in den letzten Jahren breit gemacht hat. Der Boykott des publikumswirksamen Blockbusters ist keine bloße Kampfansage, er folgt vielmehr einer wirtschaftlichen Logik. Den Häusern bleibt vom Preis einer Kinokarte nach Abzug der Miet- und Verwaltungskosten schon jetzt kaum genug Geld übrig, um ein Kino rentabel betreiben zu können. Denn gerade die kleinen Unternehmen leiden noch immer an dem großen finanziellen Aufwand, den sie im Zuge der Digitalisierung des Kinomarktes in den vergangenen Jahren stemmen mussten. Schon damals ächzten viele Filmtheaterchefs unter den immensen Ausgaben, die notwendig waren, um zumindest theoretisch wettbewerbsfähig zu bleiben (der Bayernkurier berichtete).

Sollte sich die Disney-Praxis durchsetzen und auch andere Produktionsfirmen neue Mietgebühren für ihre Filme veranschlagen, hätte auf lange Sicht wohl die gesamte unabhängige Kinobranche wenig Überlebenschancen, beklagen Branchenvertreter. Denn, so ihre Argumentation: Mit großen deutschen Kinoketten wie Cinestar, UCI Kinowelt, Cinemaxx, Kinopolis oder Cineplex handeln Disney und andere Verleihfirmen ihre Rahmenbedingungen direkt und auf Augenhöhe aus. Dort liegt die Mietabgabe zwar überwiegend schon immer bei den 53 Prozent, die jetzt auch von den „Kleinen“ verlangt werden. Aber, so argumentieren die Unabhängigen, die Kino-Ketten hätten eine wesentlich größere Reichweite und ganz andere Werbebudgets zur Verfügung und könnten den erhöhten Prozentsatz damit wesentlich leichter verkraften.

Die Ankündigung Disneys, künftig auch auf weitere Zuschüsse für die Kinos – etwa bei 3D-Brillen – zu verzichten, bringt die Betreiber der kleinen Kinos aber endgültig auf die Barrikaden. „Hier arbeiten die Branchengrößen, also Produktionsfirmen und mächtige Kinoketten fleißig daran, sich endgültig der unabhängigen Konkurrenz zu entledigen“, findet beispielsweise Werner Umhauser, seit 20 Jahren Betreiber eines kleinen Kinos im schwäbischen Neu-Ulm. Damit stehe die „Vielfalt der Kino-Typen in Deutschland“ vor dem Zusammenbruch. Ein Vorwurf, den auch die AG Kino – der Verband deutscher Filmkunsttheater – unterstützt. Dort findet man ebenfalls harsche Worte zum Vorgehen von Disney. Die Anhebung der Leihmieten sei besonders deshalb „absurd“, weil Kinos „durch Modernisierungsdruck und steigende Kosten durch Mieten, Energie und Werbung“ bereits genug Kosten zu tragen hätten. Wenn kleine Kinos jetzt dieselbe Gebühr an Filmverleiher abdrücken müssten, sei das ein Sargnagel auf die unabhängige Kinobranche, betont der Verband noch einmal.

Eine Einigung zwischen Disney und den Kinobetreibern ist bislang nicht in Sicht. Entweder setzt Disney bei den kommenden Filmen wieder den alten Prozentsatz an, oder die Kinobetreiber dürften künftig alle neuen Produktionen der Traditionsfirma boykottieren. Sollten noch weitere Produzenten die Finanzschraube anziehen.

Leidtragende des Streits sind am Ende in jedem Fall die Kinobesucher. All jene, denen große, zentral gelegene Filmtempel zu unpersönlich sind, müssen künftig wahrscheinlich mit höheren Ticketpreisen rechnen, oder in Zukunft auf Kassenschlager und Hollywood-Blockbuster in ihren Programmen verzichten – ein Weg, den ohnehin schon viele kleine Kinos gehen und hauptsächlich Streifen zeigen, die von den Kinoketten nicht gezeigt werden. Statt einer Rückkehr in den Film-“Mainstream“ sieht es für die alteingesessenen, kleinen Filmtheater also mehr nach einem noch stärkeren Rückzug in die Nische aus. Ob ein wirtschaftliches Überleben dort möglich ist, wird sich zeigen.