Diskutierten mit Gästen aus der Branche über den Wandel in der Medienwelt: EU-Kommissar Günther Oettinger und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. (Bild: CSU)
EU-Kommissar Oettinger

„Wer die Daten hat, hat die Macht“

Welche Herausforderungen birgt der Medienwandel für Europa, und welche Chancen bieten sich für die europäische Medienbranche? Wenn es nach EU-Kommissar Günther Oettinger geht, sind die Chancen riesengroß - aber nur, wenn Europa jetzt die richtigen Weichen stellt. Im Gespräch mit CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer erklärte Oettinger, warum ein europäisches Handeln für die Branche so wichtig ist.

„Die Medienpolitik findet nicht unbedingt in den Headlines der Zeitungen statt – hat aber trotzdem enorme Auswirkungen auf unsere Gesellschaft“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zum Auftakt des Gesprächsabends mit EU-Digitalkommissar Günther Oettinger. Dieser war in die Hanns-Seidel-Stiftung nach München gekommen, um unter dem Motto „Medien und Meinungen“ mit Scheuer und zahlreichen Gästen aus der Medienbranche darüber zu diskutieren, wie die deutsche und europäische Medienbranche sich im immer härter werdenden internationalen Wettbewerb aufstellen muss, um langfristig konkurrenzfähig zu sein.

Obwohl es innerhalb Europas aktuell viele kontroverse Debatten gebe – etwa in der Flüchtlingspolitik – sei es enorm wichtig, dass die EU-Länder bei der Medienpolitik weiter eng und konstruktiv zusammenarbeiten, stellte Scheuer fest.

Oettinger: EU hat Nachholbedarf

Wie breit gefächert das Thema Medienpolitik wirklich ist, wurde bei der Ansprache von Günther Oettinger schnell deutlich. Von der Filmbranche über den Journalismus bis hin zum produzierenden Gewerbe sei die „digitale Revolution“ spürbar, sagte der EU-Kommissar. Dabei sieht der CDU-Politiker großen Nachholbedarf in Europa. „Wir konsumieren Medien – aber unsere Wertschöpfung ist gleich null“, kritisierte Oettinger. Denn: „Wer die Daten hat, hat die Macht“. Aktuell sei es allerdings so, dass die Daten zum allergrößten Teil in die USA und nach Asien abwanderten – ein „Know-How-Vorsprung“ für Unternehmen außerhalb Europas, der immer schwerer aufzuholen sei, betonte der EU-Kommissar. Daher setze er sich dafür ein, eine „europäische Strategie“ auf den Weg zu bringen, um Europa nicht nur als Absatzstandort für Hightech-Produkte, sondern auch als Produktionsstandort zu stärken.

Wie weit beispielsweise Unternehmen in den USA schon voraus sind, machte Oettinger am Beispiel Apple deutlich. Er sei kürzlich in deren Firmenzentrale nahe San José gewesen, erzählte er. Dort habe man die bekanntesten Apple-Produkte in einer Reihe bewundern können. „Angefangen beim iPod, dem iPad, dem iPhone eins bis sechs, der neuen Apple Watch. Und ich bin sicher, in vier Jahren wird am Ende dieser Reihe ein Apple-Auto stehen“, prophezeite Oettinger.

Während bei uns etwas hypersensibel der Datenschutz im Vordergrund steht, steht in den USA die Nutzung der Daten an erster Stelle.

Den Grund für die aktuelle Überlegenheit nichteuropäischer Konzerne sieht Oettinger bei deren Umgang mit Daten. „Die Daten sind der entscheidende Faktor“, stellte er fest. „Während bei uns mitunter hypersensibel der Datenschutz im Vordergrund steht, steht in den USA die Nutzung der Daten an erster Stelle.“

Datenerhebung oft mehr Segen als Fluch

In vielen Bereichen sei die Erfassung von Daten kein Fluch, sondern ein großer Segen, so Oettinger. „In wenigen Jahren werden wir alle ein Armband tragen, dass unseren Blutdruck regelmäßig misst, ohne dass wir es merken. Ein Armband, dass unsere Gesundheit regelmäßig überprüft, und bei Bedarf gibt das Gerät auch Alarm.“ Das könne nicht nur Leben retten, sondern käme auch den Arztpraxen und damit am Ende dem europaweiten Gesundheitswesen zugute, stelle Oettinger fest.

EU-Kommissar will europäische Lösungen vorantreiben

Damit solche Visionen aber in Europa Wirklichkeit werden können, müsse der digitale Medienwandel auf europäischer Ebene geregelt werden – „und zwar in allen wesentlichen Bereichen“, betonte Oettinger. Neben dem Datenschutzrecht nannte er auch Themen wie ein EU-weit einheitliches Urheberrecht und ein Leistungsschutzrecht. Das müsse auch in Absprache mit den USA erfolgen – zum Beispiel bei den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP. „Ich sage es ganz klar: Wenn TTIP nicht kommt, wird Europa nur noch ein Wurmfortsatz Asiens sein“, sagte Oettinger mit Blick auf die Diskussion um TTIP in Deutschland und der EU sowie die weiteren Freihandelsabkommen der USA mit anderen Regionen der Welt.

Wenn wir nicht handeln, gehen unsere Medien vor die Hunde.

Die Zeit für europäische Regeln für die gesamte Medienbranche dränge, stellte der EU-Kommissar fest. „Wir wollen einen europäischen Urheberrechtsbegriff, der alle Unternehmensmodelle und Angebotskonzepte mit einschließt“, sagte Oettinger. Denn: Für die traditionellen Medien wie Fernsehen, Zeitungen oder Radio gelten klare Regeln. „Aber wie sieht es beispielsweise mit Online-Portalen von Zeitungen aus, auf denen Video-Inhalte angeboten werden? Ist das dann noch Zeitung? Wo geht Fernsehen los?“, fragte der CDU-Politiker. „Und was nun wirklich nicht gerecht ist: Für Streamingportale gelten zur Zeit noch überhaupt keine derartigen Regeln – sie sitzen zwischen den Stühlen und können im Prinzip machen, was sie wollen.“ Daher müsse ein europäisches Medienrecht dringend her – allerdings mit den notwendigen Ausnahmen, um kleine, nur regional tätige Medienbetriebe nicht zu erdrücken, betonte Oettinger.

Schutz von Autoren, Musikern und Redakteuren

Ein besonderes Anliegen ist dem Kommissar der Schutz der kreativen Berufe. „Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem Musiker, Autoren oder Redakteure ihrem Beruf nachgehen und neue Inhalte schaffen können“, betonte Oettinger. Wenn das nicht gelinge, würde auch die Kultur zum Stehen kommen – „und alles, was wir noch hätten, wäre das, was wir eh schon kennen, von Friedrich Schiller bis Helene Fischer.“ Für ihn stehe die kulturelle Vielfalt Europas auf dem Spiel, so Oettinger.

Ausbau der digitalen Infrastruktur in ganz Europa

Der Ausbau der digitalen Infrastruktur müsse in ganz Europa weiter mit Hochdruck vorangetrieben werden, befand der CDU-Politiker. „Es kann nicht sein, dass ich von Deutschland nach Österreich über die Grenze fahre, und dann für zehn Minuten ohne Netz bin. Das ist ein Wettbewerbsnachteil“, sagte Oettinger. Zusätzlich habe man die für Verbraucher äußerst ärgerlichen Roaming-Gebühren abgeschafft. Ab 2017 sollen diese Zusatzgebühren für den Internetzugang oder Telefongespräche aus dem Ausland endgültig der Vergangenheit angehören.

Allerdings, so Oettinger, müsse man auch auf die Telekommunikationsindustrie und deren Interessen Rücksicht nehmen. „Wir haben nicht so viele Global Player in der Telekommunikation in Europa, aber die, die wir haben, müssen wir schützen“, sagte er. „Wir können nicht immer nur Verbraucherschutzpolitik machen, wir müssen auch ein bisschen Industriepolitik machen“, mahnte der EU-Kommissar.

Der Wandel, den die Digitalisierung mit sich bringt, ist in allen Bereichen zu spüren.

Günther Oettinger

Auch die Filmbranche müsse künftig auf europäischer Ebene stärker gefördert werden, stelle Oettinger fest. Dabei sei es aber wichtig, mit Augenmaß vorzugehen, denn: „Ein Film muss nicht unbedingt für ganz Europa interessant sein – manchmal ist er auch nur regional zu vermarkten“. Für solche Fälle hätten sich regionale und nationale Fördereinrichtungen, wie etwa der bayerische FFF, bewährt. In jedem Fall müsse man allerdings in der EU Möglichkeiten schaffen, damit auch international angelegte Filme in Europa produziert werden könnten. Andreas Scheuer fasste dieses Statement in einem Satz zusammen: „Lieber in Europa drehen, als in Asien oder den USA.“

Zum Schluss stellte Günther Oettinger fest: „Der Wandel, den die Digitalisierung mit sich bringt, ist in allen Bereichen zu spüren.“ Die EU-Kommission werde daher in Zusammenarbeit mit den nationalen und regionalen Branchen dafür sorgen, dass sich Europas Medienwelt so aufstellt, dass sie im Vergleich mit den USA und Asien konkurrenzfähig wird – und dann womöglich verloren gegangenen Boden wieder gut macht.