Der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Heilige Kalvarienberg oberhalb von Domodossola. (Foto: BK/dia)
Faszination Alpenwelt

Natur und Kultur in „grenzenloser“ Symbiose

Viele Bayern reisen in den Ferien gerne nach Italien – vor allem an die italienischen Strände und in die italienischen Berge. Doch es gibt in Italien noch weit mehr zu entdecken – und das auch über die italienische Grenze hinaus. Prädestiniert dafür ist das Simplon-Gebiet mit seiner großen Vielfalt an Natur gleichwie Kultur.

Im Verhältnis zu den gesamten Alpen nimmt sich das Simplon-Gebiet mit seiner berühmten Passstraße zwischen Italien und der Schweiz eher klein aus. Und doch bietet es das wohl größte beidseitige Vorhandensein von Natur und Kultur im gesamten Alpenraum. Begrenzt vom Rhone-Tal im Schweizer Kanton Wallis und den Ossola-Tälern und dem Lago Maggiore im italienischen Piemont ist es sowohl reich an Bergwelten und -dörfern als auch an bereits südländisch wirkenden Landschaften, Seen, Städten und weltlichen wie sakralen Bauten. Zwei Welten verbindet somit die Passstraße, die vom schweizerischen Brig im Norden über den 2.005 Meter hoch gelegenen Simplon-Pass bis zur italienischen Stadt Domodossola im Süden führt.

Die Anfänge des Simplon-Passes

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts vom Inhaber der Stockalpe und des Salzmonopols auf dem Simplon-Pass, Kaspar Jodok von Stockalper, ausgebaut, begann die Ära des grenzübergreifenden Übergangs als Verbindungs- und Handelsweg. Auf der Passhöhe errichtete Stockalper sogar ein Unterkunftshaus als Vorläufer des späteren Hospiz’ der Augustiner-Chorherren. Und in der Grenzgemeinde Gondo baute er ein Lagerhaus, den sogenannten „Stockalperturm“. Zu dieser Zeit – und zum Teil bis ins 20. Jahrhundert – wurden die Waren mit Maultieren über den Pass geführt. Seine überregionale Bedeutung als Verbindungs- und Handelsstraße bekam der Pass aber erst, nachdem Napoleon I. dort vor genau 210 Jahren eine befestigte Passstraße bauen ließ, um den Pass für seine Artillerie befahrbar zu machen. Von da an war der Simplon mit Postkutschen zu befahren, und von da an begann auch allmählich die touristische Erschließung des Gebiets, das im Gegensatz zu anderen Alpenregionen jedoch nie zu einem reinen Touristenort wurde und dadurch bis heute seine Ursprünglichkeit bewahren konnte.

Wandeln auf historischen Spuren in der Schweiz

Diese Ursprünglichkeit ist es auch, die in der Gegend immer noch spür- und sichtbar ist und ihr mehrere Naturschutzgebiets-, Denkmalschutz- sowie UNESCO-Welterbe-Titel eingebracht hat. Noch heute steht beispielsweise das Stockalper-Schloss in der Briger Altstadt für den Reichtum seines Erbauers, der aufgrund seiner Verdienste rund um die Erschließung des Simplon-Passes sogar 1670 zum Landeshauptmann gewählt wurde. Das palastartige Gebäude gilt als eines der markantesten weltlichen Barockgebäude der Schweiz. Von Brig aus ist es – zumindest mit dem Postbus und der Gondel – auch nicht weit zu einem weiteren Kulturgut der Schweiz: dem Aletsch-Gletscher. Seit 2001 ist das Gletschergebiet „Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch“ UNESCO-Welterbe und zugleich das erste Weltnaturerbe der Alpen. Bei seiner Bewerbung um den Titel erfüllte es gleich drei von vier bei nur einem der erforderlichen Kriterien, darunter seine „wichtige Rolle in der europäischen Literatur und Kunst“, wie es in der Urteilsbegründung des UNESCO-Komitees hieß.

Dazu gehört auch das Gebiet rund um den Aletsch-Gletscher. Dort, auf der Belalp oder dem sogenannten „Aletschbord“, wird noch heute immer Ende August die Kultur des Schafabtriebs gepflegt, bei der am Schäfersonntag die Tiere in den von uralten Steinmauern eingesäumten Gehegen wieder ihren Eigentümern zugeteilt werden. Dementsprechend sind an den Wegen immer wieder alte kleine Kapellen oder Bildstöcke zu finden, die dem Heiligen Antonius als Nothelfer bei der Suche nach Verlorenem gewidmet sind. Einem weltlichen „Fürsprecher“, und zwar einem Fürsprecher des Aletsch-Gletschers, ist ebenfalls ein Denkmal in Sichtweite des Gletschers gewidmet: dem irischen Gletscherforscher John Tyndall. Er war einer der ersten Wissenschaftler, der sich für die Belalp begeisterte und dort vor lauter Begeisterung 1877 sogar ein Eigenheim im Stil eines englischen Landhauses, der höchst gelegenen Villa Europas, errichten ließ. Um auch die Begeisterung und das Verständnis der Besucher für das Welterbe der Region weiter zu vergrößern, wird die Gemeinde Naters 2016 ein Informationszentrum eröffnen, wie Projektleiter Mario Gertschen auf Nachfrage bestätigte.

Wandeln auf historischen Spuren in Italien

Prägen im schweizerischen Teil des Simplon-Gebiets Berge und Wiesen und die im typisch Walliser Stil auf Steinmauern erbauten Holzhäuser die Landschaft, ergibt sich im italienischen Teil ein ganz anderes Bild. Hier beginnen die Ossola-Täler mit ihren traditionell komplett aus Stein gebauten Häusern, ihren zum Teil bereits angebauten Weinreben und Kastanienbäumen und ihren ausgedehnten Naturparks mit Wald-, Berg- und Hügelformationen. Hier befindet sich auch der Nationalpark Val Grande, der als größtes Wildnisgebiet Italiens gilt. Unweit der Ossola-Täler erstreckt sich dann das Westufer des Lago Maggiore, an dessen breitester Stelle sich der See zur Borromäischen Bucht mit den berühmten Borromäischen Inseln öffnet. Die italienische Adelsfamilie Borromäus hat dort seit dem 16. Jahrhundert und zum Teil noch früher ihre Besitztümer und Familienwohnsitze. Überregionale Bekanntheit erlangte aber vor allem ein Borromäus: der 1538 geborene Karl Borromäus. Er war Kardinal und Erzbischof von Mailand und ein bedeutender Vertreter der Gegenreformation, wofür er bereits 1610 von Papst Paul V. heilig gesprochen wurde.

Karl Borromäus findet sich daher als Heiligenfigur in vielen Kirchen des Ossola-Gebiets, wie der Kathedrale von Domodossola, wieder. Als südlichster Punkt des Simplon-Passes und mit 270 Metern über dem Meeresspiegel am tiefsten innerhalb der Alpen gelegen versprüht diese Stadt römischen Ursprungs mit ihrem Renaissance-Marktplatz, ihren Palmen, ihrem Kieselstein-Pflaster und ihren mit Fensterläden und Balkonen ausgestatteten mehrstöckigen Häusern bereits sizilianisches Flair. Berühmt ist Domodossola, das seit jeher die kulturelle Hauptstadt der Ossola-Täler bildet, aber insbesondere für seinen Heiligen Kalvarienberg, der seit 2003 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Ab dem 17. Jahrhundert nach und nach entstanden, brachte er berühmte Künstler wie Dionisio Bussola nach Domodossola, die mit lebensgroßen Ton- oder Holz-Figuren, aufgestellt in tempelartigen Kapellen, die einzelnen Stationen der Leidensgeschichte Jesu nachstellten. Unten in der Stadt beginnend, endet der Kreuzweg oben auf dem 414 Meter hohen Berg, auf dem die 1690 eingeweihte Wallfahrtskirche thront und auf dem sich als weitere Besonderheit zwei zusätzliche Stationen, die der Auferstehung Jesu gewidmet sind, befinden.

Einfach das Auto stehen lassen

Und das Beste an all dieser grenzübergreifenden Vielfalt innerhalb der Alpenregion des Simplon ist: Man kann das Auto vor Ort stehen lassen. „Grenzenloser Alpenurlaub ohne Auto“ ist nämlich – vereinfacht gesagt – das Kernthema des Interreg-Projekts „Treno DomoAlpi“, mit dem der nachhaltige, grenzüberschreitende Tourismus zwischen dem Lago Maggiore und den Ossola-Tälern auf der italienischen sowie dem Wallis und dem Berner Oberland auf der schweizerischen Seite laut seiner Verantwortlichen gefördert werden soll. 2007 bis 2013 war dieses Projekt von den Tourismusbehörden beider Länder erarbeitet worden, um einen Beitrag zu einer umweltverträglichen Art des Reisens zu leisten. Die öffentlichen Verkehrsmittel wie die zwischen Mailand und Brig verkehrende Schweizer Bahn oder der Postbus im Wallis oder die Vigezzo-Centovalli-Nebenbahn in Italien existierten bereits, mussten nur noch besser aufeinander abgestimmt werden. Daneben integrierten die Tourismusverantwortlichen beider Regionen auch Schiffe in den „grünen“, umweltfreundlichen Fahrplan, ist doch nach ihrem Bekunden ein nachhaltiger, sanfter Tourismus weiterhin das große Ziel der Walliser und nordpiemontesischen Tourismuszusammenarbeit.

Vor Ort besteht nicht zuletzt die „Grande Traversata delle Alpi“ (GTA), der bekanntermaßen schönste Trekking-Weitwanderweg der Alpen, auf dem man abschnittweise gehen kann. Er beginnt im Raum Domodossola, führt am gesamten nordwestitalienischen Alpenbogen vom Monte Rosa im Wallis entlang und endet – geht man ihn am Stück – nach 55 Tages-Etappen in den Ligurischen Alpen. Unterwegs werden zahlreiche in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilweise völlig unbekannte, menschenleere und touristisch unerschlossene Gebiete durchwandert. Die GTA birgt somit gleich zwei Vorteile: Sie ermöglicht einerseits eine kleine Verdienstmöglichkeit für die Einwohner der entlegenen Bergdörfer und bringt andererseits dem Wanderer eine fast vergessene Bergbauern-Kultur- und Natur-Landschaft nahe. Seit gut 30 Jahren existiert die GTA nun bereits; da sie durchgehend markiert, allerdings nicht übermarkiert ist, konnte sie bis heute ihren Charakter bewahren.

Nähere Informationen unter domoalpi.illagomaggiore.com oder www.bls.ch/simplon.