Strom abwärts: Der neue "Lohengrin" bei den Bayreuther Festspielen. In Neo Rauchs ganz in Blau erbautem Bühnenbild mit gekapptem Hochspannungsmast. (Foto: Bayreuther Festspiele/E. Nawrath)
Festspiele

In spannungslosem Land

Malerstar Neo Rauch baut das Bühnenbild für den neuen Bayreuther „Lohengrin“ voller Strommasten und Trafohäuser. Darin erstarrt die Inszenierung in Ehrfurcht. Funken schlägt vor allem Wagner-Sängerin Waltraud Meier bei ihre Rückkehr auf den Hügel.

Energie wäre genug vorhanden. Die Sonne prügelt erbarmungslos auf den Grünen Hügel herab an diesem Premierennachmittag. 31 Grad im Schatten. Geduckt schreiten die Wagnerianer ins aufgeheizte Bayreuther Festspielhaus zum musikalischen Saunagang.

Wie von einer Volldosis Solarstrahlen angetrieben zieht Dirigent Christian Thielemann im verdeckten Orchestergraben das Tempo an. Die geheimnisvoll gleißenden Streicherklänge des Vorspiels, sie schweben nicht auratisch opiatisch im Raum. Sie drängen mit Kometenschweif ins High. Das geht auf Kosten des Geheimnisvollen, begünstigt aber die Dynamik. Vieles in dieser Neuproduktion von Richard Wagners „Lohengrin“ ist purer Wille. Aber nur mit Kraft und Macht gelingt weniges. Nicht in der Liebe, nicht im Theater.

Das Lohengrin-Vorspiel erklang zur Inspiration nahezu täglich in unseren Ateliers.

Neo Rauch, Maler und Bühnenbildner

Malerstar Neo Rauch hat ein Bühnenbild errichtet, das voller Generatoren, Leitungsmasten und riesiger Isolatoren steht. Rauch ist der Besetzungs-Coup des Bayreuth-Jahrgangs 2018. Sechs Jahre hat er auf diese Premiere hingearbeitet, im Atelier der Musik gelauscht, sich vom Schwanenritter inspirieren lassen. Vieles hat er sich dabei klug ausgedacht.

Das Trafotürmchen, das die Kulisse des ersten Aufzugs dominiert, soll nach seinen Worten an die „neoromanische Industriearchitektur des frühen Elektrifizierungszeitalters“ erinnern. An jene Zeit also, in der Wagners Mentor, der Bayern-König Ludwig II., sein Schloss Linderhof mit Siemens-Generatoren in Strom-Licht tauchte. In dieser Epoche entstand auch der „Lohengrin“, mit dem der Kini sich so sehr identifizierte.

Ludwig, Linderhof, Lohengrin im Licht

Die Infrastruktur wäre also vorhanden. Doch die Energie kommt nicht in Fluss. Den Hofstaat von Brabant kleidet Maler Rauch mit Gattin Rosa Loy in schwarz-blaue Kostüme wie auf den Aristokraten-Porträts des flämischen Barockmalers Anthonis van Dyck. Auch dies ist sehr fein gedacht: Van Dyck stammte aus Antwerpen, wo auch der „Lohengrin“ spielt.

Die Mächtigen in diesem Maler-Brabant, König Heinrich oder Telramund, tragen Insektenflügelchen. Motten im fehlenden Licht. Denn dem von Machtmännern dominierte Staat ist der Saft ausgegangen. Tot hängen die Kabel an den Masten. Für die des Mordes bezichtigte Elsa schlichten die Henker einen Scheiterhaufen aus Reisig, den sie recht technologie-fern mit Feuer entflammen wollen. Erst als der Retterritter naht, entlädt sich elektrische Energie im Umspann-Turm.

Die Farbe des Vorspiels ist blau.

Neo Rauch

Kein Schwan zieht Lohengrins Nachen. Ein glänzend weißes Designer-Dings – eine Art Star-Wars-Stealth-Bomber wie im „Alien“-Film – schwebt stilisiert über der Szene. Und dann das: Der Schwanenritter soll die Power bringen. Steht aber bloß herum und singt sehr, sehr schön. Mit seiner blau getönten Frisur und der blauen Paketdienst-Uniform könnte er einem Bild Rauchs im Stil des post-sozialistischen Realismus entstiegen sein.

Lohengrin-Darsteller Piotr Beczala erweist sich als sängerischer Glücksgriff. Erst wenige Wochen vor der Premiere für den abtrünnigen Roberto Alagna eingesprungen, intoniert er mit einem ritterlich klaren, wie in Silber gerüsteten Heldentenor. Klar verständlich in der Aussprache, warm fließendes Timbre. Nur schauspielerisch bleibt er, wie die meisten anderen Darsteller, einfach stehen. Auch die wie stets wundervoll bewegt intonierenden Chöre, verharren statisch an ihrem Standort.

Die Regie des US-Offtheatermachers Yuval Sharon erstarrt in Ehrfurcht vor und in Neo Rauchs Bühnenbild. Wenig thearale Bewegung. Dass Elsa nach dem Frageverbot, woher ihr Ritter käme, wie er überhaupt heiße, dass ihr da zu Recht Fragen bleiben – das ist die Idee der Inszenierung: Dass Wagners Liebeskonzept von der Frau, die ihren Helden trotz magerer Selbstauskunft in schierem Vertrauen verehrt, eine narzisstische männliche Hirngeburt sei.

Auch die Sopranistin Anja Harteros, die stimmlich eine zwischen warmer Liebeshoffnung und emotionaler Verunsicherung zerrissene Elsa verkörpert, muss viel herumstehen. Berühren dürfen sich die laut Musik angeblich Liebenden bis zur Hochzeit im dritten Aufzug kaum. Nicht mit den Händen, schon gar nicht im Gefühl. Kein Wunder, dass da der Zweifel am Partner, der so parallel neben dem anderen hersingt, leicht gesät ist.

Kraftmensch Meier

Zum dramatischen Kraftzentrum der Inszenierung wird in dieser Konstellation die Figur der Ortrud. Tatsächlich spannungsvoll aufgeladen ist dieser „Lohengrin“ nämlich, weil die Große Dame im Wagnergesang, Waltraud Meier, zurückkehrt. Nach 18 Jahren tritt sie erstmals wieder auf dem Hügel auf – und zugleich zum letzten Mal.

Ihre Ortrud ist nicht bloß die intrigante Schlange, die Elsa vom Vertrauen in ihren Helden abbringt. Sie wird dabei zur Aufklärerin, welche die junge Frau zur berechtigten, vom Gemahl verbotenen Frage bringt: Wer bist du? Die Meier singt das so vielschichtig, schauspielert kraftvoll, wagt Ausbrüche, dimmt sogleich wieder ins Pianissimo. Sie lodert. La Waldi, Meisterin im Elektrischen Ladyland, schlägt als einzige Funken wie einst Hendrix an der E-Gitarre.

Am besten – auch bühnenbildnerisch – ist der zweite Aufzug gelungen. Auf einen halbdurchsichtigen Gazé-Vorhang projiziert Neo Rauch sein niederländisch wogendes Gemälde des Meeres an der Schelde-Mündung unter Gewitterwolken. Dahinter verschieben Bühnenarbeiter Holzelemente, auf die er Schilf und Bäume gemalt hat. Raffiniert verschwindet die Meier dahinter, taucht wieder auf, singt zur Elsa in ihrem Elfenbeim-Leuchtturm hinauf, dass Zweifel am vergötterten Gatten angebracht sind. Die beiden dürfen sich in dieser Szene sogar berühren. Das bewegt auch den Betrachter und Zuhörer.

Emanzipation am Ende

Die Gralserzählung im dritten Akt singt auch Tenor Beczala auf höchstem Niveau, makellos schön. Macht und Gewalt, mit denen dieser Ritter sein fragendes Fräulein zum Schweigen bringen und an einen Porzellan-Isolator fesseln will, sind gebrochen. Mein lieber Schwan, der entzauberte Lohengrin entschwindet jedoch nicht auf weißem Wasservogel. Sondern schlicht hinter einem Kulissen-Busch. Elsa geht derweil nicht am Liebes-Aus zugrunde, wie von Librettist und Komponist Wagner vorgesehen. Sie überlebt, schreitet befreit von dannen. Seltsamerweise an der Hand eines grünen Ampelmännchens.