Neuer Mann für München: Intendant Serge Dorny. Hier an der Dresdner Semperoper, die er 2014 übernehmen sollte, die ihm aber zuvor bereits kündigte. (Foto: Imago/J.Haufe)
Oper

Zurückspulen in der Geschichte

Der belgische Opernmacher Serge Dorny wird neuer Intendant der Bayerischen Staatsoper, der Russe Wladimir Jurowski neuer Generalmusikdirektor. Gemeinsam wollen sie aufbrechen - "zurück in die Zukunft" des modernen Musiktheaters.

Flammend rot, leuchtend gelb – ansonsten pure Abstraktion. Ein gewaltiges Rechteck, ein aufrechter Balkenturm, aus düsteren Blöcken trat Wagners todessehnsüchtiges Liebenspaar durch grell erleuchtete Quadrate oder Kreise auf. In diesem streng geometrischen Bühnenbild von Erich Wonder ließ Theaterlegende Heiner Müller vor einem Vierteljahrhundert bei den Bayreuther Festspielen „Tristan und Isolde“ spielen. Eine legendäre Inszenierung, die in den Köpfen der Enthusiasten hängen blieb. Eine Bühnen-Erinnerung, die vor einem Jahr am Opernhaus von Lyon unerwartet wiederkehrte. Denn Intendant Serge Dorny pflegt das Gedächtnis des Live-Mediums Theater auf seine Art: Er lässt Legenden auferstehen.

Tiefe Eindrücke von früher

Kleiner, dafür fundamentaler Unterschied beim Festival „Mémoires“ („Erinnerungen“) in Lyon: Die Isolde verkörperte nicht wie einst unter Müller die epochale Wagner-Sängerin Waltraud Meier, aber immerhin die renommierte Ann Petersen, die für ihre Interpretation der Rolle viel Lob bekam. In der rekonstruierten Inszenierung trug sie die rotbraune Langhaarperücke ebenso wie die Meier und auch den wallenden schwarzen Umhang. Alles so wie damals. Reine Nostalgie. „Ein Opernhaus ist kein Museum“, gibt Dorny, Generaldirektor in Lyon seit 2003, zu. „Aber mir geht es um etwas ganz anderes, um das Phänomen der Erinnerung. Jeder ‚Tristan‘, den ich heute neu erlebe, der wird überlagert von dem tiefen Eindruck der Erfahrung mit Heiner Müllers ‚Tristan‘.“

Solche bleibenden Erfahrungen können ab 2021 womöglich auch die Besucher der Bayerischen Staatsoper sammeln. Der Belgier Dorny wird der neue Intendant und damit Nachfolger von Nikolaus Bachler im Münchner Gesangs- und Musiktempel. Dorny, einstmals Dramaturg des belgischen Opernmachers Gerard Mortier, tritt die Stelle zusammen mit Dirigent Wladimir Jurowski an, der den derzeitigen Generalmusikdirektor Kirill Petrenko im gleichen Jahr benachfolgt.

Von 60.000 Opernwerken werden gemeinhin nur 80 gespielt. Ich finde es wichtig, dass man nicht nur Blockbuster zeigt.

Serge Dorny, Opern-Intendant

Damit sind vorerst die beiden letzten wichtigen Posten im bayerischen Theaterbetrieb nachbesetzt, die noch einer Personalregelung bedurften. Kommenden Montag stellt Kunstminister Ludwig Spaenle die beiden Neuen, Dorny und Jurowski, offiziell in München vor. Am Nürnberger Staatstheater hat er Jens-Daniel Herzog als Generalintendant installiert, der den Posten im nächsten Herbst antritt. Ans Münchner Residenztheater hat er zudem vom Theater Basel den renommierten Intendanten Andreas Beck als Nachfolger von Martin Kusej verpflichtet, der vorzeitig ans Wiener Burgtheater wechselt.

Magnet für junges Publikum

Den Bühnenostalgiker Dorny nur auf seine Rekonstruktion legendärer Regiearbeiten von Ruth Berghaus oder Klaus-Michael Grüber zu reduzieren, wäre ihm freilich nicht angemessen. Seit fünfzehn Jahren hat er der Opéra National de Lyon zu einem eindrucksvollen Aufstieg zum europaweit beachteten Musiktheater verholfen. Mit modernem Programm, auch vielen Uraufführungen, hat er das Publikum spürbar verjüngt. Jeder vierte Opernzuschauer in Lyon ist inzwischen unter 26 Jahren alt.

In der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Opernwelt“ gewann das Haus für die Saison 2016/17 den Titel „Opernhaus des Jahres“. Dabei lobten die Rezensenten das „experimentierfreudige Programm und die hohe künstlerische Qualität“, aber auch die Ausstrahlung des Hauses in die südfranzösische Metropole hinein. Ähnliches dürfte sich auch Kunstminister Spaenle von der Verpflichtung versprechen, der für solche Personalfragen eigens den langjährigen Berater Toni Schmid über die Pensionsgrenze mit freien Verträgen an die Behörde band.