Sie waren stolz auf das „bayernkreativ“-Dialogforum in der Oberpfalz: (v.l.n.r.:) Dirk Kiefer, Leiter des Bayerischen Zentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft, Joachim Wolbergs, Oberbürgermeister der Stadt Regensburg, Matthias Segerer, Referent für Handel und Stadtentwicklung der IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim, Sebastian Knopp, Clustermanager Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt Regensburg. (Foto: paulmazurek.de)
bayernkreativ-Dialogforum

Eine Branche so vielversprechend wie heterogen

Im Januar nahm das Bayerische Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft des Bayerischen Wirtschaftsministeriums seine Arbeit auf. Es soll die Kreativbranche bei ihrer Vernetzung untereinander, vor allem aber auch mit der regionalen wie überregionalen Wirtschaft unterstützen. Wie das konkret aussieht, zeigte sich nun in der Oberpfalz.

Derzeit reisen die Mitarbeiter des Bayerischen Zentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft durch alle Regierungsbezirke. Jetzt war die Oberpfalz mit ihrer Hauptstadt Regensburg an der Reihe. SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs freute sich sichtlich, zusammen mit der IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim das „bayernkreativ“-Dialogforum des Zentrums in der Domstadt begrüßen zu dürfen. Als ehemaliger Leiter der „Alten Mälzerei“, einem Kulturzentrum für Kleinkunst-Veranstaltungen, hat die Kultur- und Kreativwirtschaft seit jeher für ihn einen besonderen Stellenwert.

Grundlagen vor Ort schaffen

Denn: „Der einzige Rohstoff, den wir haben, ist das, was die Menschen in ihren Köpfen haben. Und wenn wir Grundlagen dafür schaffen, das zu fördern, dann ist auch das ein Teil unseres wirtschaftlichen Wachstums“, so der seit 2014 amtierende Rathauschef. Umso mehr zeigte er sich betrübt darüber, dass Menschen in den letzten Jahren verstärkt zu ihm gesagt hätten, dass sie aus Regensburg weggingen, weil ihnen dort alles zu provinziell sei. Als Bürgermeister habe er sich daher „vorgenommen, das zu fördern, was Urbanität herstellt und garantiert“.

Daher habe er Anfang des Jahres eine eigene Stelle eines Clustermanagers für Kultur- und Kreativwirtschaft, angesiedelt im Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt, geschaffen. Besetzt ist die seit drei Monaten existierende Stelle mit dem vor Ort bestens vernetzten Filmemacher und Fotografen Sebastian Knopp. Seine Aufgaben für sein Klientel, so Knopp: „Netzwerkförderung, Beratungsprogramm, Raumsuche und -vermittlung“. Dabei versuche er vor allem, zusammen mit den in Regensburg bereits existierenden Kultur- und Kreativforen die Branche „an die Oberfläche zu holen“ und eine „gesteigerte Wertschätzung für diesen Wertschöpfungsbereich“ herzustellen.

Kunsthandwerk als Oberpfälzer Besonderheit

Dass Regensburg und die Oberpfalz in der Branche schon weit gekommen seien, bestätigte Michael Söndermann, Experte für Kulturwirtschaftsförderung aus Köln. Ihn hatte die Stadt bereits vor einigen Jahren damit beauftragt, eine empirische Untersuchung zur Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft in Regensburg zu erstellen. Sein Ergebnis: „Wirtschaftlich ist die Kultur- und Kreativwirtschaft im Bezirk Oberpfalz doppelt so stark wie die Gastronomie und gleichauf mit der Gesundheitsbranche.“

Der Grund für die positive Situation dieses Wirtschaftszweigs in der Oberpfalz und insbesondere in Regensburg, bekannt für seine hohe Kneipendichte und hervorragende medizinische Versorgung, liegt laut Söndermann daran, dass die Dom- und Universitätsstadt die zweitstärkste urbane Kraft in Bayern sei. Positiv in Regensburg und der Oberpfalz und als Unterschied zu anderen Regierungsbezirken sehe er auch, dass dort das Kunsthandwerk fester Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft sei. Und wie in ganz Bayern habe sich auch in der Oberpfalz die Zahl der Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft in den letzten Jahren verdoppelt.

„Hilfe zur Selbsthilfe“

Doch es gibt auch noch viel Verbesserungsbedarf. In einem Dialogworkshop, in dem sich in Kleingruppen Mitglieder der Branche mit jeweils einem Vertreter des Zentrums austauschten, wird klar: Die Kreativen wünschen sich mehr finanzielle Förderung sowie grundsätzlich eine angemessene finanzielle Entlohnung, aber auch mehr öffentliche Anerkennung und mehr Foren, die Künstler und Wirtschaft zusammenbringen.

Gerade Letzteres scheint noch die derzeit größte und wichtigste Baustelle zu sein. Denn die Kultur- und Kreativwirtschaft sei nun einmal sehr heterogen und deswegen so schwer greifbar, gibt Matthias Segerer als Vertreter der IHK für Oberpfalz/Kelheim unumwunden zu. Sein Haus arbeite aber mit Hochdruck daran, für die Kreativen Angebote zu schaffen und sie so mit ins Boot zu holen. Denn auch Segerer weiß: „Kreative sind genauso Unternehmer wie die Industrie.“ Und das auch wenn, wie der Leiter des Bayerischen Zentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft, Dirk Kiefer, betont, Freiberufler nicht Teil des Auftrags der IHK seien.

Gerade aber der Wirtschaft könne die Branche erheblich nützen, erklärt Alexander Seitz, Wirtschaftsförderer der Stadt Amberg. Wenn beide Branchen allein nur vor Ort besser voneinander Bescheid wüssten, dann bräuchten die Unternehmer beispielsweise auch nicht mehr „Leute aus München oder Hamburg für Dienstleistungen herfahren“ lassen, wie Seitz zu berichten weiß. Dann ergebe sich automatisch auch das, was er unter Wirtschaftsförderung verstehe, nämlich: „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Drei Frauen – drei Erfolgsmodelle

Sich selbst geholfen und ohne finanzielle Unterstützung von außen ihre Unternehmen aufgebaut haben Naomi Owusu, Evi Steiner-Böhm und Jeannette Hamleh. Die drei Frauen stellten beim Dialogforum exemplarisch unternehmerische Erfolgsmodelle der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Oberpfalz vor:

So baute Owusu in Regensburg vor einigen Jahren mit „Tickaroo“ eine Firma für Softwarelösungen für Sport-Live-Berichterstattung auf. „Wir haben mit vier Leuten begonnen, mittlerweile sind wir 20“, erzählt Owusu, die mittlerweile Verbände wie den Deutschen Tennisbund zu ihren Kunden zählt und dennoch auf bedächtiges, kalkulierbares Wachstum setzt: „Es ist wichtig, Visionen in Zahlen zu fassen. Wir haben einen Liquiditätsplan bis 2020. Wir hatten uns von Anfang an externe Hilfe von einem Steuerberater geholt – das würde ich jedem nur empfehlen.“ „Man muss Risiken eingehen, aber immer reflektieren“, so Owusu weiter, die an Regensburg schätzt: „Regensburg ist bezahlbar, hat mit München und Nürnberg zwei internationale Flughäfen in der Nähe, und die Kollegen sind am Montagmorgen nicht so kaputtgefeiert wie die in Berlin.“

Noch beschaulicher mochte es Evi Steiner-Böhm. Deshalb hatte sie vor einigen Jahren einen Hof direkt an der A6 im Landkreis Amberg-Sulzbach gekauft. Damit wollte sie einen „Gegenentwurf zu der stressigen Zeit schaffen“, erklärt die Künstlerin. Standbein Nummer 1 beziehungsweise erster Teil des Konzepts sei das Café, Nummer 2 die Kunstgalerie, wo sie selbst ihre eigenen Werke präsentiert, Nummer 3 die Kreativwerkstatt mit Angeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und Nummer 4 als jüngstes und zusätzliches Feld: „Ich schreibe Texte und berate jüngere Kollegen, wie man von der Kunst leben kann.“ Ganz allgemein jedenfalls kann sie allen Kreativen nur zum Schritt in die Selbstständigkeit und auch zum Sich-Niederlassen auf dem Land ermutigen. Zumindest bei ihr habe sich gezeigt: „Auf dem Land hat man viel mehr Möglichkeiten aufzufallen als in der Stadt.“

Auffallen scheint bei Jeannette Hamleh Programm zu sein: In ihrem mit Glitzersteinen besetzten bunten Dirndl, ihrem Haarreif aus hellrosafarbenen Stoffblüten und ihrer komplett aus silbernen Paletten bestehenden Tasche scheint die selbstständige Designerin aus Bodenwöhr am ehesten von allen Teilnehmern des Dialogforums dem gängigen öffentlichen Bild der Kreativbranche zu entsprechen. „Mein erstes Produkt waren Pantoffeln, dann kamen Trachten dazu.“ Nach wie vor sei sie aber „ein Exot im Hausschuhbereich“: „Die anderen großen Designer schauen bei Messen immer, was ich mache“, gibt sich die Designerin stolz. Zu den Abnehmern ihrer Produkte zähle sie Privatleute genauso wie Einzelhändler; vor allem habe sie wegen ihres Alpenchics Kunden in Österreich, mittlerweile aber auch in Russland. Beim Vertrieb helfe ihr Amazon, weiß sich wiederum Hamleh zu helfen: „Ich habe mein Lager bei Amazon, weil die bessere Bedingungen beim Postversand haben.“ Ein weiterer positiver Effekt: „So nehmen die mir auch unglaublich viel Zeit ab.“

Ziel: „Zweimal im Jahr in der ‚Tagesschau‘“

Die großen Firmen der Bau- und Industriewirtschaft und die 97% Kleinstunternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft – das ist bei der Kreativbranche genau der Grund für deren Förderbedarf einerseits und deren Wachstumspotential andererseits. Denn rein in Anbetracht der Anzahl der Erwerbstätigen sei die Branche immerhin gleichauf mit der Automobil- und Maschinenbauindustrie, betont Zentrums-Leiter Kiefer. „Jedes 13. bayerische Unternehmen gehört zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Und jeder fünfte Euro Umsatz der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft wird in Bayern erwirtschaftet“, so die Zahlen. So gelte es jetzt vor allem, wie Kiefer die Zielsetzung des Zentrums umreißt, in Ergänzung zur kommunalen Arbeit die Sichtbarkeit der Branche zu erhöhen und ihr auf diese Weise Zugänge zu neuen, weiteren Finanzierungs- und Absatzmöglichkeiten zu schaffen. Oder wie es ein Teilnehmer des Dialogforums im Einklang mit den anderen Anwesenden abschließend formulierte: „Wenn wir zweimal im Jahr in der ‚Tagesschau‘ vorkommen, dann haben wir es geschafft.“

 

Kultur- und Kreativwirtschaft:

  • Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden diejenigen Kultur- und Kreativunternehmen erfasst, die überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und die sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen.
  • Elf Teilmärkte werden ihr zugeordnet: Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Architekturmarkt, Designwirtschaft, Pressemarkt, Werbemarkt, Software-/Games-Industrie.
  • Umsatzmäßig die stärkste Gruppe bildet die Software-/Games-Industrie, gefolgt vom Presse- und Werbemarkt.
  • In Bayern steht der Regierungsbezirk Oberbayern mit großem Abstand an der Spitze hinsichtlich des Umsatzes und der Anzahl der Kultur- und Kreativschaffenden.
  • Innerhalb Bayerns liegt selbst der Regierungsbezirk mit dem geringsten Anteil an Beschäftigten in der Kultur- und Kreativwirtschaft deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt.
  • Deutschland liegt mit seinem Wertschöpfungsanteil von 2,6% im Mittelfeld der europäischen Staaten. Der europäische Durchschnitt liegt bei 2,4%. Bayern sticht mit 3,2% deutlich hervor.
  • Insgesamt zählen im Freistaat knapp 47.000 Unternehmen und insgesamt circa 200.000 Erwerbstätigen zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Sie erwirtschaften gemeinsam rund 30 Milliarden Euro. Das entspricht 3,2% der gesamten Wirtschaftsleistung des Freistaats.
  • Zum Vergleich: Die Automobilindustrie hatte 2012 214.852 Erwerbstätige, die Kultur- und Kreativwirtschaft 204.439.

(Quelle: Bayerisches Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft)