Vollmond über dem Chiemsee. (Bild: Imago/Blickwinkel)
Astronomie

Jagd auf Sterne

Warum wohnt niemand auf dem Mars? Was sieht durchs Teleskop besonders spektakulär aus? Seit 20 Jahren führt Martin Elsässer Weltall-Fans durch die Münchener Volkssternwarte. Bei seinem Publikum punktet der Hobbyastronom mit Fachwissen und Humor.

Martin Elsässer macht an diesem Abend etwas, was man normalerweise nicht macht: er zieht seinen Ehering aus. Wegen der Hitze sind seine Finger angeschwollen und der Ring schneidet ihm ins Fleisch. Denn in den Händen hält er einen zehn Kilo schweren Brocken. „Geht jetzt halt nicht anders“, sagt Elsässer, steckt den Ring in die Hosentasche und winkt den Besuchern zu. „Wir verschieben die Theorie nach oben“, sagt er kurzentschlossen. Jede Woche führt der Hobbyastronom Interessierte durch die Münchner Volkssternwarte. An heißen Tagen wie heute hält er seine Vorträge auf der Dachterrasse.

Fundstück aus Namibia

Die Gruppe folgt ihm die Treppenstufen hinauf. Einigen tropft der Schweiß von der Stirn. „Wir sind hier in einem ehemaligen Bunker, die Wände sind zwei Meter dick“, erklärt Elsässer. Draußen zeigt das Thermometer immer noch 29 Grad an. Obwohl es bereits 21:30 Uhr ist. Noch zu hell, um im Juni Himmelskörper zu entdecken. Elsässer beginnt erst einmal mit der Geschichte von dem Eisenklotz in seinen Händen. „Das ist das Älteste, was sie jemals in den Händen halten werden“, kündigt er an.

Der Eisen-Nickel-Meteorit passt zwar in jede größere Handtasche, doch mit einem Gewicht von rund zehn Kilo ist er überraschend schwer. Der inzwischen speckige, abgegriffene Brocken wurde vor rund 30 Jahren in Namibia gefunden. Er sei 4,5 Milliarden Jahre alt und etwa so wertvoll wie ein Kleinwagen, referiert Elsässer.

Immer mehr Menschen strömen auf das Plateau, viele von ihnen richten den Blick in den Himmel. Der gebürtige Österreicher gehört zu einem 15-köpfigen Team, das von Montag bis Freitag bis zu drei Führungen parallel anbietet. Dass sich die Institution im Münchner Osten zu einer der bekanntesten Sternwarten Deutschlands entwickelte, verdanken Astronomiebegeisterte vor allem dem ehrenamtlichen Einsatz der Vereinsmitglieder. Inzwischen zählt der Verein rund 600 Mitglieder. In diesem Juni feierten die Initiatoren ihr 70-jähriges Jubiläum.

Fenster zum Mond

Inzwischen ist es 22:00 Uhr. Elsässer, der bereits seit zwanzig Jahren Menschen über Sterne und Planeten aufklärt, holt ein Teleskop aus einem der selbstgezimmerten Gebäude. „Wir fangen mit dem Mond an. Mit all seinen Kratern das Spektakulärste an diesem Abend“, sagt er und richtet das Fernrohr Richtung Himmel. Besucherin Emilia Schmidt blickt als erstes durch. „Ich sehe nichts, nur einen Vogel“, sagt sie. „Sehr gut. Ein Drittel der Besucher schafft es nicht zuzugeben, dass sie nichts sehen“, lobt Elsässer und prüft die Ausrichtung. „Kann man auch nichts sehen, alles voll mit Wolken.“

Albireo im Blick

Doch der 46-Jährige gibt nicht auf und öffnet das runde Dach eines kastenartigen Holzgebäudes. Darin steht ein Zehn-Zoll-Linsenteleskop.

Per Motor dreht er das Fernrohr in die richtige Richtung – immer noch nichts zu entdecken. Elsässer hat noch einen Trumpf in der Tasche: das 150.000 Euro teure Computerteleskop. Und hier kommen die Besucher endlich auf ihre Kosten. Schmidt entdeckt zwei leuchtende Punkte. Das Besondere daran sind die Farben. Der eine leuchtet bläulich, der andere rötlich. „Farben sind immer ein Indiz für Temperaturunterschiede, wie hier beim Stern Albireo. Je blauer, desto heißer“, erklärt Elsässer.

Raus aus der Stadt

So teure Geräte braucht es aber gar nicht, um Sterne näher zu betrachten. Viele Objekte können Hobbyastronomen mit Fernrohren, die ein paar hundert Euro kosten, deutlich besser erkennen als mit diesem Gerät mitten in München. Dazu müssen sie aber die Stadt verlassen, wo allerhand Lichtquellen den Himmel „verschmutzen“. Bereits 30 Kilometer südlich ist die Sicht an klaren Nächten sehr viel spektakulärer. Inzwischen ist es 22:30 Uhr. Doch der Himmel ist voller Wolken, kein weiterer Stern in Sicht. „Pro Jahr haben wir nur rund 50 Nächte, in denen Besucher etwas sehen können“, sagt Elsässer. Trotzdem tönen von der Dachterrasse begeisterte Rufe. Über den Alpen zucken immer mehr grelle Blitze, die Wolkendecke zieht sich bedrohlich zusammen, ein Gewitter zieht auf. Spektakulärer Ausblick, auch wenn er nur bis zur Wolkendecke reicht und nicht ins All.

Abtauchen in eine andere Welt

Elsässer begleitet das Naturschauspiel mit Informationen über die Welt der Sterne und Anekdoten über seine Arbeit in der Volkssternwarte.

In den Genuss eines nicht ganz echten Sternenhimmels kommen die Besucher schließlich um 23 Uhr, ein Stockwerk unterhalb der Dachterrasse. Dort nimmt sie Julian Braun im Planetarium mit auf eine Reise durch das Jahr. Er simuliert einen von Licht verschmutzten nächtlichen Stadthimmel und zeigt, wie er ohne störende Lichtquellen aussieht. Braun erklärt Sternbilder und besondere Sterne wie den Sirius. „Er ist nur zehn Lichtjahre entfernt und daher besonders hell“, erklärt Braun. Nach der Vorstellung bleiben die Besucher auf den jahrzehntealten Klappstühlen sitzen, wie in eine andere Welt versunken. Sie löchern den Hobbyastronomen mit weiteren Fragen.

Spaß am Sonnensystem

Um Mitternacht schließen Elsässer und Braun die Räume und machen sich unter dem wolkenverhangenen Nachthimmel auf den Heimweg. Für ihren wöchentlichen Einsatz bekommen sie kein Geld. Trotzdem kommen die beiden Ehrenämtler seit über zehn Jahren immer wieder, treffen sich auch am Wochenende oder Sylvester auf der Dachterrasse. „Es macht unglaublich viel Spaß, immer wieder neue Leute kennenzulernen und ihnen das Sonnensystem nahe zu bringen“, sagt Elsässer. Was die beiden Hobbyastronomen, die beruflich in der Informationstechnologie arbeiten, außerdem schätzen, ist der Zugriff auf die Infrastruktur und die Werkzeuge.

Sternwarte über Haarwasserfabrik

Den Grundstein zur Münchner Volkssternwarte legte bereits im Jahre 1946 eine Zeitungsannonce, die Sternenfreunde für regelmäßige Treffen suchte.

Am 31. Mai 1947 boten sie die erste öffentliche Führung an, für die ein Fernrohr mit nur 50 mm Optikdurchmesser als Hauptinstrument diente. Immerhin soll es stets besonders gut geduftet haben, denn im Erdgeschoss hatte damals noch eine Haarwasserfabrik ihren Sitz. Im Laufe der Zeit kamen Ausstellungsräume, Fernrohre, eine Bibliothek, Labors, Werkstätten und ein Planetarium dazu. Jährlich kommen rund 25.000 Besucher in die Volkssternwarte.