„Der Bayernkurier ist ein einzigartiges Medium in der deutschen Presselandschaft“, findet Edmund Stoiber. Zum 65. Geburtstag stellt sich das Blatt neu auf. (Foto: BK/Wolfram Göll)
65 Jahre BAYERNKURIER

„Zukunftsmusik JETZT komponieren!“

Gastbeitrag Am 3. Juni 1950 erschien die erste Ausgabe des Bayernkuriers. Zu diesem Jubiläum befasst sich der CSU-Ehrenvorsitzende und frühere Bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber im neuen Bayernkurier-Magazin mit der Digitalisierung und dem Wandel in der Medienwelt, auf den der Bayernkurier u. a. mit seinem vertiefenden Monatsmagazin und seinem neuen, tagesaktuellen Onlineangebot reagiert.

65 Jahre Bayernkurier – ein so stolzes Jubiläum schafft eine Zeitung nur, wenn sie tatsächlich mit der Zeit geht. Der Bayernkurier und sein Gründungsherausgeber Franz Josef Strauß waren exzellente Beobachter, vor allem aber mutige Gestalter der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Wie unser Land steht heute auch der Bayernkurier vor einer fundamentalen Herausforderung: Die Digitalisierung verändert alles! Und genauso, wie sich Politik und Gesellschaft auf revolutionäre Veränderungen durch das Netz einstellen müssen, gilt das auch für den Bayernkurier.

65 Jahre Bayernkurier – was bleibt? Inhalt zählt! Der Bayernkurier in der großen Tradition Wilfried Scharnagls – das ist nicht ein Stück Papier, sondern das sind intellektuelle Schärfe und verbale Kraft. Die politische Substanz, sie macht den Bayernkurier aus. Was hat der Bayernkurier für politische Auseinandersetzungen erlebt, mit Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, Willy Brandt und Helmut Schmidt? Es ging um die großen politischen und gesellschaftlichen Entwürfe: Wiederbewaffnung Deutschlands, ja oder nein? Mitgliedschaft in der NATO oder blockfrei? Europäische Gemeinschaft? Freiheit oder Sozialismus? Diese Gegensätze von damals sind heute nicht mehr so da. Wir leben heute in einer Gesellschaft, die auch in der Politik Gegensätzliches scheinbar schwer erträgt. Das ist der Hintergrund, dass heute manche Wahlkämpfer gar nicht mehr die Mobilisierung zum Ziel haben, sondern die Demobilisierung. Deren Rechnung geht dann so: Wenn ich ein Thema mit klarer Kante besetze, dann störe ich den Konsens. Damit mobilisiere ich zwar eigene Anhänger, aber vielleicht sogar noch mehr die Anhänger meiner Konkurrenten. Da ist es doch sicherer, ich störe das Gefühl des Konsenses nicht. Auf diesem gedanklichen Fundament beruhen sogenannte langweilige Wahlkämpfe.

Medien müssen sich wandeln

Die Gefahr einer solchen „Konsens-Strategie“ ist allerdings, dass Stimmungen und Bedürfnisse der Wähler – die tatsächlich ja vorhanden sind – nicht mehr angesprochen werden. Die Gefahr ist eine Entfremdung der Menschen von der ritualisierten politischen Debatte. Und umso größer sind dann Ratlosigkeit und Betroffenheit, wenn Menschen nicht mehr zur Wahl und vielleicht sogar auf die Straße gehen, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen. Die CSU und mit ihr der Bayernkurier gehen traditionell einen anderen Weg. Wir sprechen, wenn nötig, eine klare Sprache wie die Menschen in ihrem Alltag – am Arbeitsplatz, beim Sport, am Stammtisch oder im Netz. Wenn wir nach den Geheimnissen unseres Erfolges gefragt werden: Das ist eines davon!

65 Jahre Bayernkurier – was verändert sich? Die Medienbranche unterliegt insgesamt einem historischen Innovations-Schub. Das Internet und die Informationsrevolution im Mediengewerbe stellen so ziemlich alles auf den Kopf, was bislang als sicher gegolten hat. Ganze Wertschöpfungsketten werden zerrissen und neu zusammengesetzt. Zumal gerade Medien in der Informationsgesellschaft eine Schlüsselbranche der Innovation sind. Auch für den Bayernkurier gilt: Der Zugang, der Verbreitungsweg muss den modernen Anforderungen und Bedürfnissen der Menschen angepasst werden.

Generell gilt: Die Digitalisierung ist das Megathema der Zukunft. Die Daten werden das Erdöl des 21. Jahrhunderts sein. Horst Seehofer liegt mit seinem Schwerpunkt Digitalisierung völlig richtig: Die digitale Revolution wird unsere Welt viel mehr verändern als die industrielle Revolution es je getan hat. Vom Wirtschaftsleben bis zum Sozialverhalten wird vieles geradezu auf den Kopf gestellt. Für den europäischen Kontinent, der vor allem auf den Rohstoff Geist setzt und setzen muss, bietet diese Umwälzung ein riesiges Potenzial. Aber gerade einmal 10 Prozent des weltweiten Umsatzes in der IT-Kommunikationsindustrie stammen aus Europa. Nicht zuletzt deshalb finden 90 Prozent des Wirtschaftswachstums heute außerhalb von Europa statt. In den USA werden jedes Jahr 50 Prozent mehr in die digitale Infrastruktur investiert als in Europa. Das sind viele Zahlen – es sind vor allem dramatische Zahlen.

Zukunftsmusik

Ich stimme dem Bundesverband Digitale Wirtschaft absolut zu: Seit der Industrialisierung hat es in Deutschland jede Generation geschafft, globale Marktführer in jeder wichtigen Industrie hervorzubringen. Heute sind wir im digitalen Bereich nur ein Konsumentenmarkt. Dabei können wir es nicht belassen, ohne dass wir unsere wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit verlieren.

Natürlich ist die Konkurrenzfähigkeit in erster Linie eine Aufgabe der Wirtschaft und nicht der Politik. Aber Politik kann schon strategische Entscheidungen treffen, wenn ich zum Beispiel an den erfolgreichen Aufbau einer Europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie denke. Das galt als Hirngespinst, als Franz-Josef Strauß in 60er Jahren immer und immer darauf gedrängt hat. Daraus ist eine Erfolgsstory geworden!

Heute heißt die Frage: Wer baut am Ende das selbstfahrende Auto? Google hat sein selbstfahrendes Auto bereits präsentiert. In Kalifornien werden selbstfahrende Autos längst auf allen öffentlichen Straßen getestet. Ich weiß: Das klingt nach wie vor wie Zukunftsmusik. Da sind vor allem auch unendlich viele Fragen zu klären, was Sicherheit und Datenschutz betrifft. Aber: Diese Zukunftsmusik wird jetzt komponiert. Wer tut das? Wer entwickelt dafür die notwendige Infrastruktur? Machen das alles amerikanische und asiatische Internetfirmen? Da müssen wir dabei sein! So etwas muss auch in Europa konzipiert werden! Die Fremdsprache der Zukunft wird die Programmiersprache sein. In Großbritannien ist das Stoff in der Grundschule – von den USA und Asien ganz zu schweigen. Da haben wir Nachholbedarf. Die Facharbeiter bei Siemens und Mercedes müssen zu Softwareingenieuren umgebildet werden. Neue digitale Cluster müssen sich bilden, aus Wissenschaft, Industrie und Medien, die ihre ganze Power einbringen. Nur so werden wir beim Internet der Dinge mit dabei sein!

Bayern schiebt an

Bayern schiebt an, handelt. Aber wir brauchen gegenüber den US-Internetgiganten Europa, eine gemeinsame europäische Agenda. Das sind Fragen der Zukunft, bei denen die Menschen auch den Nutzen Europas nachvollziehen können! Es ist gut für Deutschland und für Europa, dass Günther Oettinger in der neuen EU-Kommission für Digitale Wirtschaft zuständig ist. Er hat sich in Brüssel ein großes Standing erarbeitet, auf ihn wird gehört und er packt an. Das ist höchste Zeit, wenn Deutschland nicht zum Kodak – Land werden soll: Weltweit top in den alten Industrien. Aber mit einem Schlag weg vom Fenster in der neuen Zeit.

65 Jahre Bayernkurier: Wie oft hat er beschworen, Bayern und die CSU müssten stets an der Spitze des Fortschritts marschieren. Jetzt ist es wieder einmal soweit: Ich halte es für ein gutes und durchdachtes Konzept, online top aktuell zu sein, in einem hochwertigen Magazin Hintergründe und Zusammenhänge zu vertiefen sowie in den sozialen Netzwerken in den Dialog mit den Bürgern einzutreten.

Die Digitalisierung bietet unendlich viele Chancen, aber ein Medium kann im Netz auch untergehen. Markenbildung ist das A und O für eine erfolgreiche journalistische Arbeit. Der Bayernkurier ist eine bekannte, beliebte, zum Teil auch angefeindete, in jedem Fall aber starke Marke. Er ist ein politischer Premium-Faktor, um den uns die anderen Parteien beneiden. Also, auf geht’s!