Sophie Scholl zum Anfassen: Ein Besucher bedient einen der interaktiven Bildschirme im neu gestalteten "Denkraum Weiße Rose". (Foto: G.Dolak)
Zeitgeschichte

Wo die Blätter der Weißen Rose fielen

Im neu gestalteten "Denkraum Weiße Rose" dokumentiert die Münchner Universität die Aktionen der Widerstandsgruppe im Dritten Reich. Multimedial, mit interaktiven Touchscreens und Kopfhörer-Stationen, mit der fotorealistischen Präsentation von Zeitdokumenten.

„Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren‘ zu lassen.“ Und nichts trifft einen mit solcher Wucht wie der bildungsbürgerliche Idealismus, mit dem die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ ab 1942 gegen die Diktatur anschrieben. Bereits in den ersten Satz ihres ersten Flugblattes haben sie diesen Gegensatz zwischen hehrer deutscher Geistesgeschichte und den düsteren Machthabern gepackt. Es folgen Zitate von Goethe, von Schiller, Reime über die „Freiheit“ – voller Hoffnung, damit ließen sich Reste der Zivilcourage remobilisieren. War das naiv angesichts der Rohheit des Regimes? War es erhaben angesichts der angepassten Haltung in weiten Teilen der Bevölkerung?

Das Protokoll des Hausschlossers

Solche Fragen wirft der neu gestaltete „Denkraum Weiße Rose“ unter dem Audimax der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) auf, der am Wochenende eröffnet wurde. Mit interaktiven Touchscreen- Monitoren, Kopfhörer-Stationen zum Abhören von Tondokumenten, mit zahlreichen Faksimiles der Flugblätter und Gestapo-Verhörprotokolle. Auch abgründige Zeitdokumente sind hier zu finden wie die Aussagemitschrift des Hausschlossers Jakob Schmid vom 18. Februar vor 74 Jahren, als er gegen 11.15 Uhr im Lichthof der Aula die Abzüge des sechsten Flugblattes aus dem 2. Stock herabsegeln sah und wenig später die Studenten Hans und Sophie Scholl schnappte. Der junge Mann habe ihm entgegengehalten, es sei ja wohl lächerlich, dass der Hörsaaldiener ihn hier festnehme. „Ich ließ mich aber von dieser Bemerkung nicht irre machen und erklärte den beiden, dass sie verhaftet seien“, berichtet Schmid der Polizei stolz.

Hinrichtung in Stadelheim

Vormittag eines historischen Tages, an dessen Abend NS-Propagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den „totalen Krieg“ erklärt. Vier Tage später werden die Scholls mit ihrem Mitstreiter Christoph Probst im Strafgefängnis Stadelheim per Fallbeil hingerichtet. Die Ausstellung zeigt auch die Polizeifotos der Delinquenten, zu denen auch der Kommilitone Alexander Schmorell und ihr Professor Kurt Huber gehörten – nüchterne Bilddokumente, auf denen die Festgenommenen ausdruckslos, gefasst in die Kamera blicken.

Grundlage für den Zugang zu der Widerstandsgruppe, ihren Beweggründen und ihrem Handeln bleibt das historische Wissen.

Ludwig Spaenle, Wissenschaftsminister

Studentengruppen werden heute durch den „Denkraum“ geführt, ausländische Gaststudenten bekommen die Entstehung der „Weißen Rose“ von Tutoren erklärt. Durch eine Scheibe in der Wand können sie in die Aula schauen, in die vor mehr als sieben Jahrzehnten die Flugblätter der Gruppe vom Treppensims im zweiten Obergeschoss herabsegelten. Auf einem Flachbildschirm bestaunen sie den wie eine Anleitung zum zivilen Ungehorsam gedrehten modernen Videofilm, der zeigt, wie die Flugblattautoren ihre Texte erst auf einer Remington-Schreibmaschine tippten, sie dann mit einem Greif-Matrizen-Kasten vervielfältigten, sie per Post an potenzielle Mitrebellen verschickten – und schließlich den Mut fassten, die Blätter auch in der Uni-Aula zu verteilen. Ein fahrlässiger Schritt, wie sich zeigen sollte, bei dem sie der diensteifrige Hausmeister Schmid fasste.

Die anderen Scholls

Auf besondere Weise aussagekräftig über den Zeitgeist im Dritten Reich lesen sich daneben die Zeitungsinserate aus den Münchner Neuesten Nachrichten vom März 1943, in denen zufällige Namensvettern der gefassten Widerständler sich von diesen distanzierten: „Nicht verwandt. Willi Scholl, der Geschäftsführer der Süddeutschen Grundbesitz- und Hausbau-Gesellschaft, legt auf die Feststellung Wert, daß er und seine Familie mit den vom Sondergericht zum Tode verurteilten Geschwistern Scholl weder verwandt noch bekannt ist. Um die gleiche Feststellung werden wir auch von den Deutschen Scholl-Werken (Fußpflege-System) gebeten.“

Bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung in der LMU lobte Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle: „Die Erinnerung an die Widerstandsgruppe der Weißen Rose ist ein konstitutiver Beitrag zu Demokratieerziehung und zur politischen Bildung.“ Die Ausstellung leiste „eine umsichtige und zeitgemäße Vermittlung dieses Wissens um den beherzten Widerstand aus der Gesellschaft“.