Drüber und drunter: "Macbeth" auf und unter dem beweglichen Bühnenquadrat des Resi. Hauptdarsteller Thomas Loibl hockt rechts oben und spielt mit dem Dolch. (Foto: Thomas Dashuber/Residenztheater)
Theater

Quadratisch, praktisch – tot

Das mordlüsterne Powerpaar geht, rennt und tanzt sogar über Leichen: Auf einem außergewöhnlichen fliegenden Bühne-Geviert inszeniert Andreas Kriegenburg am Münchner Residenztheater Shakespeares "Macbeth". In der Titelrolle legt Thomas Loibl ein wahnsinniges Comeback als blutrünstiger Despot hin, Sophie von Kessel spielt seine gleichberechtigte Komplizengattin im Negligé.

Schlachtfeld, Schafott, die schiefe Bahn aller Schurken, Metaebene, Tabula rasa, Boxring, auch als Tanzboden funktioniert das schwarze Geviert. Am Schluss sogar als Bühne auf der Bühne des Münchner Residenztheaters. Von rätselhaften Kräften angetrieben kreist dieses düstere Quadrat um sich selbst, schraubt sich empor, kippt zur Seite, gerät leicht aus der Balance. Und bietet den Herabgefallenen bald wieder ein Dach über dem Kopf. Zum Schutz vor dem Blutregen, der sich über ihre Häupter ergießt. Ein im Raum bewegliches Spielfeld, das aussieht, als wäre der unheilvolle dunkle Monolith aus Kubricks „2001“ umgefallen und auf den Hydraulik-Schwenkarm eines Fertigungsroboters geraten.

Schauspiele der Macht

Raumfüllendes Maschinentheater betreibt das Resi bei seinen zum Programm erhobenen Macht-Spielen schon seit dem Auftakt zur neuen Saison mit den riesigen Förderbändern in Schillers „Räuber“. Für Shakespeares „Macbeth“ hat Bühnenbildner Harald B. Thor nun dieses Viereck aufgebaut. Die Schauspieler rammen ihre Schwerter in sein Holz, stecken Metallstangen als Symbol für den Wald von Birnam hinein. Sie laufen und poltern darauf herum, halten sich an seinen Kanten fest. Wer dennoch stürzt, fällt in sportlichen Posen wie vom Drei-Meter-Brett auf Weichbodenmatten.

Das für eine Weile abtrünnige Ensemblemitglied Thomas Loibl nutzt den spektakulären Aufbau für ein sehenswertes Comeback in der Titelrolle. Den blutrünstigsten unter Shakespeares zahlreichen Finsterlingen und Bösewichten spielt er als zögernden Gefährder, der sich von der Prophetie dreier Hexen und dem aggressiven Ehrgeiz seiner Gattin radikalisieren lässt und dann von Tat zu Tat schreitet. Als Macbeth trägt er schwarzen Anzug über der blanken Männerbrust, auf der von Beginn an das Theaterblut gerinnt.

Einmal in Gang gesetzt, kann dieser Staatsterrorist das Rad der Gewalt nicht wieder stoppen, erkennt nicht die Doppeldeutigkeiten der Vorsehung und rennt über ein Feld von Leichen und Seen aus Blut in das Messer, das er zuvor für die anderen gezückt hat. „Ich ging ins Blut so tief hinein, dass es schwerer ist zurückzukehren als weiter zu waten“, stöhnt der Schlächter. Eine Mahnung an alle Despoten, Mächtigen, Karrieristen, die sich mit der Klinge in der Hand oder auch nur im Kopf nach oben kämpfen: Gewalt erzeugt Gewalt, wer andere killt, muss selbst die Killer fürchten.

Tödliche Fallhöhe

Das um 360 Grad drehbare, höhenverstellbare Geläuf von Bühnenbauer Thor ist dabei der perfekte fliegende Teppich für Loibl. Die Bretter, die hier die Welt des schottischen Highlander-Ungetüms im Manageranzug bedeuten, entwickeln eine tödliche Fallhöhe. Wer mit dem Fahrstuhl zum Schafott auffährt, stürzt auch von ihm herab.

In den USA, in der Türkei, in Russland und anderswo. Wir erleben ja die Rückkehr der unterkomplexen starken Männer.

Andreas Kriegenburg, Regisseur

Den Mann im Kreislauf aus Brutalität und Angst bis in den eigenen Wahnsinn hinein spielt der Hauptdarsteller mit gefletschten Zähnen, aufgerissenen Augen, verkrampfter Gestik – mit blutverschmierter Intensität. Auch die zerstörerischen Fliehkräfte eines kinderlosen Paares, das seine Aufsteigerhoffnungen nicht auf die nächste Generation projizieren kann, sondern im Hier und Jetzt um die fixe Idee seines Aufstiegs an die Staatsspitze kreist, spielt eine Rolle. Denn die Lady Macbeth, die Loibls Spielpartnerin Sophie von Kessel im blutigen Negligé darstellt, gebiert keinen Thronfolger. Deshalb müssen alle denkbaren Konkurrenten und deren Söhne über die Klinge springen. Die Kessel als unfruchtbare Königsmörderkomplizin gibt ein vom Machttrieb besessenes Luxusweibchen, das den Gemahl mit Erotik und gleichberechtigtem Willen auf den Weg zum Thron treibt.

Sex mit dem Schwert

Gemeinsam gehen und tanzen sie über Leichen. Ihre Morde sind in der Inszenierung von Regisseur Andreas Kriegenburg sexuell aufgeladen. In den beiden eindrucksvollsten Momenten des Abends ist zu sehen wie Macbeth und seine Lady beim Töten eigentlich Liebe machen: Als er den König erdolcht, um Herrscher anstelle des Herrschenden zu werden, hockt sie am Rand des gekippten Bühnenquadrats – und ihre Schatten verschmelzen am Hintergundvorhang während des Stichs ins Königsherz. Als später gedungene Killer Macbeth‘ besten Freund Banquo umlegen, tanzen er und seine Gattin vor blutrotem Hintergrund engumschlungen einen Slow-Fox. Lieben und leben lassen, ist nicht Programm dieses Powerpaares – sie wollen eine Welt beherrschen, die befreit ist von allzu vielen Untertanen.

Das übrige Bühnenvolk sieht sich in diesem finsteren Totentanz zum Verwechseln ähnlich. Die Männer, die Guten wie die Bösen, tragen allesamt dunkle Anzüge über der ebenfalls blanken, blutverschmierten Brust. Die Ehrenmänner Malcolm, Donalbain, Macduff, Lenox, Rosse und wie sie alle heißen, sind kaum voneinander zu unterscheiden. Sterben müssen viele von ihnen ohnehin. Und einer bringt dann auch mit einem grünen Tapeziermesser den gefürchteten Massenmörder Macbeth zur Strecke.

Am Schluss die Bühne auf der Bühne der Weltbühne

Vor diesem Showdown entpuppt sich auch das düstere Dreh-Geviert als Bühne auf Shakespeares Weltenbühne. Die Lady ist da bereits tot, die letzten Hoffnungen von Macbeth auf die Unverwundbarkeit der Hexen-Prophezeihung sterben – da hebt Loibl auf den (unsichtbaren) Zinnen seiner Burg Dunsinane zum nihilistischen Monolog eines theateraffinen Massenmörders an. Der handelt von all den „Morgen, Morgen, Morgen“, die sich in unserem Dasein von Tag zu Tag schleppen. Das Leben sei nur ein schlechter Schauspieler, murmelt er, der sich über die Bühne quäle und irgendwann nicht mehr zu hören sei. Loibl nuschelt hoch oben auf dem Bühnenquadrat, dass er selbst kaum noch zu verstehen ist. Dieses Leben sei ein Märchen, das uns ein Idiot erzähle – es bedeute: Nichts! In diesem zerstörerischen Mordsspiel im Münchner Resi sagen solche Augenblicke über unser Leben und die Nichtigkeit aller Machtkämpfe allerdings: ganz schön viel.