Menschen-Förderbänder: Schillers "Die Räuber" am Residenztheater in München. Premiere ist am 23. September. (Foto: Andreas Pohlmann/Residenztheater)
Spielzeit-Start

Am laufenden Band

Quer durch den Freistaat starten die Schauspiel- und Opernhäuser in die neue Saison: Das Resi in München zeigt düsteres Maschinentheater, das Staatstheater in Nürnberg einen russischen Kreml-Usurpator, der eine Kinder-Hüpfburg regiert. Und das Theater Augsburg überspielt auf griechische Art das Problem, dass das marode Große Haus über Jahre saniert werden muss und gar nicht bespielt werden kann.

Unheilvoll mahlen die Mühlen des Theaters. Wie die Förderbänder eines Braunkohlebaggers, wie die ebenerdigen Passagier-Laufbänder am Flughafen. Schräg ragen zwei solcher Industrie-Transportbänder auf die Bühne des Münchner Residenztheaters. Zehn Meter lang, fünf Meter breit. Darauf marschieren in Zweierreihen schwarz gewandete Banditen. In diese düstere Szenerie setzt Regisseur Ulrich Rasche Schillers Sturm-und-Drang-Drama „Die Räuber“ – ein „gewaltiges Maschinentheater“, wie Resi-Intendant Martin Kusej hofft. So beginnt am Freitag am Staatstheater der Landeshauptstadt die neue Spielzeit.

Volle Fahrt voraus

Auch an den anderen Bühnen quer durch den Freistaat enden die Theaterferien. Die Ensembles eröffnen die neue Saison. Dass die „Räuber“-Produktion am Resi wie am Fließband gelaufen wäre, lässt sich allerdings nicht behaupten. Zu Beginn von Rasches Proben knirschte noch einiger Sand im Getriebe. Hauptdarstellerin Bibiana Beglau, die den Franz Moor spielen sollte, schied im Dissens mit dem Regisseur aus. Eine Sohntochter des alten Grafen Moor bleibt ihre Figur dennoch. Die Rolle hat Valery Tscheplanowa von Resi-Star Beglau übernommen, die schon den Mephisto in Goethes „Faust“ als androgynen Verführer aus der Düsternis gespielt hatte. Ein ruckeliger Start ins Theaterjahr.

Auf der anderen Seite der Maximilianstraße, an den Münchner Kammerspielen, läuft die Maschinerie noch schleppend an. Die ersten Aufführungen folgen erst Ende nächster Woche, wie gewohnt mit allerlei schauspielfernen Roman-Adaptionen und großem Projekttheater-Gedröhn. Auch die Resi-Nachbarn von der Bayerischen Staatsoper schalten nicht gleich in den stärksten Gang. Erst mal geht eine Reihe von Wiederaufnahmen von „La Traviata“ bis zu den „Meistersingern von Nürnberg“ über die Bühne, bis dann Ende Oktober die erste richtige Saisonpremiere folgt: die Donizetti-Rarität „La Favorite“, in der Mezzosopran-Star Elina Garanca die spanische Königsmätresse Léonor de Guzman verkörpert. Im Kontrast zu den männlichen Damen im Resi nebenan betont die Staatsoper die weiblichen Formen – den Vierakter über die Favoritin des Regenten setzt Regisseurin Amélie Niermeyer in Szene.

Zar Boris im aufblasbaren Kreml

Einen ähnlichen Soft-Start in die Spielzeit 2016/17 legt auch das Staatstheater Nürnberg hin. Zunächst ein wenig Musiktheater-Kurzarbeit mit der Wiederaufnahme von Verdis „Rigoletto“, und erst nächste Woche lässt Regie-Altmeister Peter Konwitschny im fränkischen Dreisparten-Haus die Werkssirene richtig ertönen. Mit seiner Neuinszenierung von Modest Mussorgskis „Boris Godunow“, in der Konwitschny sein inszenatorisches Markenzeichen pflegt: Augenzwinkernd stellt er Gerätschaften von heute in die historische Materie – mit absurdem Verfremdungseffekt. So hält Zar Boris, der Usurpator auf dem Kreml-Thron, wie es sich für Herrscher-Parvenüs geziemt, vor einer grellbunten Kinder-Hüpfburg Hof.

Regieveteran Konwitschny rahmt mit seinen Neuinszenierungen die komplette Nürnberger Opern-Spielzeit. Denn er steuert mit „Boris Godunow“ nicht nur den Auftakt bei, sondern auch die letzte Premiere im Juni: Verdis Hunnen-Oper „Attila“.

In Augsburg tritt das Theater derweil in die unbequeme Übergangsphase, in der die alte Hauptproduktionshalle generalsaniert werden muss. Schon seit Juni ist das marode Große Haus für die mehrere Jahre dauernden Renovierungsarbeiten geschlossen. Während die Arbeiter dort die Stemmeisen ansetzen, läuft die Theaterfabrikation in der Interimsspielstätte „Brechtbühne“ neben dem Intendanzgebäude weiter.

Für uns ist es Wunsch und Anspruch, wenn wir über die Sanierung sprechen, nicht nur den Sicherheitsauflagen des Brandschutzes Rechnung zu tragen, sondern das Haus umzubauen zu einem Ort, an dem sich den ganzen Tag die Stadtgesellschaft trifft.

Juliane Votteler, Intendantin am Theater Augsburg

Als erste Gelegenheit zum Publikumstreff präsentiert Theaterdirektorin Votteler eine Uraufführung namens „Das große Wundenlecken“. Darin breitet der deutsch-griechische Autor Gerasimos Bekas all die germanischen Klischees über Hellas aus, die wie aus einer Krise lange vor der großen Krise unserer Tage herüberschwappen. Vom ouzo-trunkenen Euro-Schlendrian im Dauerkrisenland Griechenland bis zu Udo Jürgens‘ krisen-resistentem Sirenengesang „Griechischer Wein“. Manchmal wirkt Theater schon ein wenig gestrig, wenn es die politischen Themen von vor zwei Jahren in den heutigen Kontext stellt.

Sangesfroh öffnet auch das kleinste Dreisparten-Haus im Freistaat, das Landestheater in Coburg, wieder seine Pforten. Nach Beethovens „Fidelio“ kommt Stevensons Kinderbuch-Klassiker „Die Schatzinsel“ mit viel Gegröhle auf die Bühne. Die Piraten tragen Augenklappe und Holzbein. Schauspieldirektor Matthias Straub hat die Freibeutergeschichte in ein Rock-Musical verwandelt , in dem „15 Mann auf der Totenmanns-Kist“ ebenso erklingt wie „Smoke on the Water“.

Religionskonflikte in Würzburg

Neben so viel kunterbuntem Revuestoff wirkt das Mainfrankentheater in Würzburg geradezu staatstragend ernst. In Zeiten religiösen Terrors zeigt das Haus an aufeinanderfolgenden Tagen zwei Premieren, die sich mit Glaubens-Konflikten auseinandersetzen: erst Lessings Schauspiel-Klassiker „Nathan der Weise“ mit der berühmten Ring-Parabel, dann Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“, die vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten im Frankreich des 16. Jahrhunderts spielt.

Wenn nun die Theatermaschinerie nach den Betriebsferien im Freistaat wieder anläuft, wirkt auf angenehme Art überraschend, dass die meisten Fabrikationsleiter in ihren Auftakt-Produktionen das politische Großthema unserer Tage erst mal hintanstellen: die Flüchtlingskrise. Nur in der Saisonpremiere am Münchner Volkstheater klingt sie kurz direkt an. In der Inszenierung von Dea Lohers Stück „Unschuld“ beobachten zwei illegale Immigranten am Strand eine junge Frau, die in den Wellen Selbstmord begehen will. Sie sucht den Tod im Meer, dem Fadoul und Elisio nur mit knapper Not entstiegen sind. Bei Europas Neuankömmlingen verharrt der Text aber nur kurz und schwenkt dann auf insgesamt 19 ineinander verwobene Geschichten von allerlei Neurotikern der Großstadt.

Die Flüchtlingssituation bedarf keiner konkreten Darstellung. Wenn man versucht, das Theater inhaltlich zu instrumentalisieren, entfernt sich die Kunst.

Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper

Nachdem sich Deutschlands Theaterhäuser in der vergangenen Saison stark in die Thematik von Asyl und Flucht vertieft haben – teilweise mit echten Flüchtlingen als Darstellern – finden sie nun den Weg auch zu anderen Dramen des Lebens im Land. Allzu konkrete Bezüge zur Situation in der Welt hält der Münchner Staatsoper-Intendant Nikolaus Bachler ohnehin für deplatziert. „Die Flüchtlingssituation bedarf keiner konkreten Darstellung“, hatte er im Bayernkurier-Interview gesagt. Generell hätten Kunst, Musik, Literatur „keine politische Wirkung“, meint Bachler. Einige Schauspielleute glaubten das zwar, „aber die wollen sich wichtig machen“. Auf Theater- und Opernbühnen seien die Themen sowieso allabendlich: Toleranz, Humanität, Liebe, Hass. „Das ist das Urfeld des Theaters“, findet Bachler, „wenn man versucht, das Theater inhaltlich zu instrumentalisieren, entfernt sich die Kunst.“