Abbild einer kriegerischen Welt: Gerhard Richters "Bomber" von 1963 aus der Ausstellung "Postwar" (Foto: Städtische Galerie Wolfsburg)
Ausstellung

Der Blick auf die Welt nach dem Urknall

Wie sehr die Atombombe von Hiroshima und das Grauen des Zweiten Weltkriegs die moderne Kunst nach 1945 erschütterte, zeigt die Ausstellung "Postwar" im Münchner Haus der Kunst. Und wie der Kalte Krieg ihre Entwicklung beeinflusste. Mit einer globalen Perspektive auf Abstraktes, Pop-Art und Sozialistischen Realismus.

Dokumentarische Aufnahmen vom Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima flimmern über die Wand. Die Bilderserie eines japanischen Malers von 1950 zeigt brennende Menschen, zu Asche verbrannte Körper. Der Siebdruck „Atomic Burst“ des amerikanischen Pop-Art-Künstlers Roy Lichtenstein zeigt den Atompilz in comic-hafter Vereinfachung. Die Welt in Trümmer gebombt – die Ausstellung, an deren Anfang diese Kunstwerke stehen, zeigt die moderne Kunst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: wie sie in Fraktionen zerbricht, wie die Künstler in höchst unterschiedlichen Ausdrucksformen ihren Weg nach der so genannten „Stunde Null“ suchen.

Welt-Bild in Malerei, Skulptur, Film und Foto

Abstraktion, Action-Art, Wiener Aktionisten, japanischer Gutai, Sozialistischer Realismus sowjetischer oder chinesischer Färbung – die Schau „Postwar“ im Münchner Haus der Kunst nimmt eine globale Perspektive ein und schaut spartenübergreifend auf die Entwicklung der Kunst von 1945 bis 1965. Sie zeigt Malerei, Skulptur, Film- und Fotokunst, und diese umfassenden Ein- und Ausblicke erzeugen die Wucht der Ausstellung, die noch bis 26. März läuft. Wichtige deutsche Künstler der Nachkriegszeit sind vertreten. Gerhard Richter, Georg Baselitz, Sigmar Polke, Joseph Beuys. Aber sie stehen zwischen Werken aus Europa, Asien, Amerika, die in manchmal verwirrender Vielfalt aufzeigen: Die Welt hatte nach Holocaust und Hiroshima ein Schleudertrauma erlitten, unter dessen Einfluss die Künstler völlig disparate Eindrücke von der Realität gewannen – und entsprechend abbildeten.

Die Perspektive der Ausstellungmacher um Kurator Okwui Enwezor folgt dabei dem vieler Geschichtswissenschaftler auf das 20. Jahrhundert. Der britische Historiker Ian Kershaw schildert in seinem aktuellen Buch „Höllensturz“, wie die Welt in einem „zweiten Dreißigjährigen Krieg“ zwischen 1914 und 1945 in den Abgrund aus Krieg und Völkermord fiel. Sein niederländischer Kollege Ian Buruma beschreibt in „1945“, wie sich dieses Jahr in den nachfolgenden Jahren zur zentralen Epochenzäsur entwickelte. Mit Detailschilderungen aus so entfernten Regionen wie den USA, Europa, Südostasien, China, Japan. In einer solchen globalen Perspektive wird der Bruch von 1945 mit seinen teils revolutionären Auswirkungen an entgegengesetzten Enden des Globus spürbar.

Wie die Politik in die Kunst kommt

Einen bildhaften Eindruck dieses weltumspannenden Risses durch die Geschichte vermittelt auch die Ausstellung „Postwar“ dem Besucher. Er sieht in einem kaleidoskopischen Zeitraffer, wie neue Menschenbilder entstanden, wie die Kunst ein neues zerfasertes Weltbild zusammensetzte. Die verzerrten Figuren des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti stehen neben dem Ölgemälde „Massaker in Korea“, mit dem der Spanier Pablo Picasso das Grauen des Koreakrieges anprangerte. Josef Stalin ist im monumentalen Porträt „Der Morgen unseres Vaterlandes“ des Propaganda-Malers Fjodor Schurpin von 1946 zu sehen, ganz in der Nähe des gerade erst ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy auf Robert Rauschenbergs „Axle“ von 1964. Unverkennbar mischt sich im Kalten Krieg die Politik in die Bilder der Nachkriegskunst.

Schrilles wie die Anti-Gringo-Skulptur „La civilisación occidental y christiana“ des Argentiniers Leon Ferrari mit einem Jesus-Marterl an einem US-Bomber hängt in der Nähe von Nebulösem wie Gerhard Richters Bild „Neger“. Lautes wie ein Filmdokument der sexuell aufgeladenen Happenings des Aktionisten Otto Mühl strahlt auf Leises wie die Kalligrafien arabischer Schriftkünstler aus. Dinge, die scheinbar nicht zusammenpassen, stehen nebeneinander. „Postwar“ trägt eine große Sammlung der Ansichten zusammen, welche die Maler, Bildhauer, Kunstfilmer und Fotokünstler der Welt von dieser Welt anfertigten. Nachdem die Atombombe wie ein Urknall eingeschlagen hatte.