Rundgang durch die sehr informative „Heimatweh“-Ausstellung (v.r.): BdV-Vizepräsident Christian Knauer, Ausstellungskurator Wilfried Rogasch (helles Jackett), Staatssekretär Albert Füracker (schwarzer Anzug). (Foto: Wolfram Göll)
Heimatweh-Ausstellung

Geschichte der Vertriebenen umfassend dargestellt

Im Bayerischen Heimatministerium in Nürnberg ist die umfangreiche Ausstellung „Heimatweh – eine Trilogie“ eröffnet worden. Sie zeigt in drei großen Teilen die Geschichte der Vertreibungen und ethnischen Säuberungen im 20. Jahrhundert – und besonders der deutschen Heimatvertriebenen. Ein Viertel der Einwohner Bayerns sind Heimatvertriebene oder deren Nachfahren.

„Die Gerufenen“, „Erzwungene Wege“ und „Angekommen“ – mit diesen Titeln sind die drei großen Teile der Wanderausstellung überschrieben, die im Bayerischen Heimatministerium in Nürnberg eröffnet wurde. Verantwortlich für die Ausstellung sind die Stiftung „Zentrum gegen Flucht und Vertreibungen“ in Berlin und der Bund der Vertriebenen (BdV), dessen frühere Präsidentin Erika Steinbach (CDU) gleichzeitig die Vorsitzende der Stiftung ist.

Die Ausstellung im Ministerium in Nürnberg ist eine Kombination aller drei Teile, die andernorts auch schon einzeln präsentiert wurden. Daher trägt sie den Titel „Heimatweh – eine Trilogie“. Sie spannt thematisch einen weiten Bogen – vom Ruf der „Siebenbürger Sachsen“, die eigentlich Rheinländer waren, durch Ungarns König Géza II. vor 800 Jahren bis zu den ethnischen Säuberungen unserer Tage. Kurator der Ausstellung ist der Historiker Wilfried Rogasch.

Umfassende Schau der deutschen Ostsiedlung sowie der Vertreibungen

Die Ausstellung präsentiert die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen vor allem der deutschen Ostsiedler über die Jahrhunderte hinweg – von der Prager Kleinseite über die Schwarze Kirche in Kronstadt bis zur Urbarmachung des Wolgaraums – ebenso wie die Völkermorde, „ethnischen Säuberungen“, gewaltsamen Umsiedlungen und Fluchtbewegungen des 20. Jahrhunderts – die Schicksale der Armenier, Griechen, Juden, Polen und Bosniaken finden sich hier ebenso wie die der Ostpreußen, Schlesier und Sudetendeutschen –, aber auch die Situation nach der Ankunft im zerstörten Restdeutschland, die Willkommens- oder auch Nicht-Willkommenshaltung der angestammten Bevölkerung sowie die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Vertriebenen.

Aus den Vertriebenen wurden bayerische Bürger. Eine großartige Gemeinschaftsleistung der Einheimischen und der Vertriebenen.

Albert Füracker

Die Zeugnisse sind dabei großteils Karten, Graphiken und Fotos, Statistiken, aber auch anrührende Zeichnungen von Kindern, die die Erfahrung von Gewalt und Verlust der Heimat auf diese Weise verarbeiteten. Viele gut verständliche Texte erklären die teils schwierigen und komplexen Zusammenhänge. Praktisch alle Besucher erfahren hier Neues, selbst wenn sie selbst Heimatvertriebene sind – vielen sind dennoch die Vertreibung der Zyprioten nach 1974 oder der Bevölkerungsaustausch zwischen Türken und Griechen in Folge des Lausanner Vertrages von 1922 nicht geläufig.

Wirtschafts- und Integrationswunder in Bayern

Heimat-Staatssekretär Albert Füracker (CSU) nahm bei der Eröffnung der Ausstellung naheliegenderweise vor allem die Integration der Sudetendeutschen in Bayern in den Blick. Denn Ende 1946 lebten in Bayern 1,1 Millionen Sudetendeutsche und über zwei Millionen Vertriebene insgesamt. „Es folgte nicht nur das Wirtschaftswunder, sondern auch ein wahres Integrationswunder“, so Füracker. „Aus den Vertriebenen wurden bayerische Bürger. Eine großartige Gemeinschaftsleistung der Einheimischen und der Vertriebenen. Die Vertriebenen brachten sich und ihre Stärken nun an neuer Stelle in die Gesellschaft ein“, lobte Füracker.

Die Ausstellung zeige, „dass die Vertriebenen nach Flucht und Vertreibung Heimat so verstanden haben, wie wir sie bezüglich des ländlichen Raumes hier im Heimatministerium verstehen“, merkte Füracker an. „Wir sehen den ländlichen Raum unserer Heimat nicht als Herkunftsnachweis und Kulisse, sondern als echte, aktive Lebensmöglichkeit. Es geht um einen Raum, in dem wir am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Leben teilhaben können. Wir haben nicht umsonst gleichwertige Verhältnisse in Stadt und Land in unsere Verfassung geschrieben.“

Reiche Geschichte der Deutschen in Osteuropa droht vergessen zu werden

„Die Aussiedler und Heimatvertriebenen stellen für Bayern eine große Bereicherung dar“, unterstrich Christian Knauer (CSU), der Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) und frühere Landrat von Aichach. Ihre Geschichte werde aber kaum je öffentlich dargestellt. „Die Vertriebenen sind diejenigen, die für die Nazi-Verbrechen am ärgsten bestraft wurden.“ Zwei Millionen Ostdeutsche, meist Frauen und Kinder, hätten Flucht und Vertreibung nicht überlebt, erinnerte Knauer. Viele Millionen deutsche Frauen wurden Opfer von Vergewaltigungen, vor allem durch Rotarmisten der Sowjetunion.

Die Vertriebenen sind diejenigen, die für die Nazi-Verbrechen am ärgsten bestraft wurden.

Christian Knauer, BdV

Die umfassende Ausstellung „Heimatweh – eine Trilogie“ nannte Knauer einen „Grundkurs in politischer Geographie, Soziologie und politisch-kultureller Heimatkunde“. Während große deutsche Vertriebenen-Gruppen wie Sudetendeutsche, Schlesier oder Ostpreußen vielen Zeitgenossen geläufig seien, sei die frühere Existenz von Buchenland- (Bukowina-) und Bessarabien- (Moldau-) Deutschen heute meist unbekannt.

„All diese Gruppen von Deutschen wurden von den Herrschern gerufen, die Besiedlung war stets friedlich“, stellte Knauer klar. Problematisch sei das Zusammenleben durch den Nationalismus geworden. Rumänien sei das einzige Land Osteuropas gewesen, das seine deutschen Bevölkerungsgruppen nicht gewaltsam vertrieben hat, allerdings hätten die Rumäniendeutschen in der Sowjetunion jahrelange Zwangsarbeit leisten müssen.

Deutsche Politiker sollen bei allen Visiten die Minderheitenvertreter treffen

Die deutschen Politiker, die die früheren Heimatländer besuchen, sollten unbedingt jedes Mal Kontakt zu den verbliebenen Vertretern der deutschen Minderheit aufnehmen, forderte der BdV-Vizepräsident. „die Gastgeber registrieren ganz genau, wie wir zu unseren Landsleuten stehen“, betonte Knauer. „Wenn wir die nicht selber aufsuchen und berücksichtigen, wie sollen wir das dann von den Polen, Tschechen und Ungarn verlangen?“ Der nach dem Krieg bei der Vertreibung angewandten Kollektivschuldthese erteilte Knauer eine klare Absage: „Es gilt stattdessen das Prinzip der universellen Humanitas.“

Nur mit einer umfassenden Ausstellung werde man der komplizierten historischen Wahrheit gerecht werden. „Die jahrhundertelange Nachbarschaft der Vertriebenen mit Slawen, Ungarn und Rumänen haben Deutschland stärker geprägt als uns das heute bewusst ist“, so Knauer. Das heutige größtenteils vertrauensvolle Zusammenleben der Völker in Europa sei das bereits seit 1950 ausdrücklich erklärte Ziel der Vertriebenen und des BdV gewesen.

Heimatvertriebene und orientalische Flüchtlinge verbindet das Trauma von Krieg und Flucht

Als großen Unterschied der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg und der jetzigen Fluchtbewegungen aus Afrika und dem Orient machte Knauer aus, dass damals Menschen aus demselben Kulturkreis mit derselben Sprache kamen, praktisch Binnenflüchtlinge innerhalb des deutschen Kulturraums oder innerhalb des ehemaligen Deutschen Reichs. „Die heutigen Flüchtlinge sind uns hingegen fremd an Sprache, Lebensweise, Kultur und Religion“, so Knauer. Gemeinsam sei beiden Gruppen allerdings das Trauma von Krieg, Flucht und Verfolgung sowie der Verlust der Heimat. „Vielleicht bringen die Heimatvertriebenen auch deshalb eine solche Empathie für die heutigen Flüchtlinge auf“, so der BdV-Vizepräsident.

Die stellvertretende Vorsitzende der CSU-Fraktion im Nürnberger Stadtrat, Kerstin Böhm, sagte in Vertretung des Oberbürgermeisters Ulrich Maly (SPD), der Standort in Nürnberg sei für diese Ausstellung sehr gut gewählt und sehr passend, denn viele Nürnberger stammten von Vertriebenen ab. Die Ausstellung „Heimatweh – eine Trilogie“ ist bis 12. August 2016 jeweils Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr im Heimatministerium geöffnet.