Es kriselt im Münchner Rathaus. Bild: imago/HRSchulz
Referentenwahl

Krise im Münchner Rathaus

Oberbürgermeister Dieter Reiter hat die für den 27. Januar geplante Wahl von sechs Referenten verschoben. Grund ist der Verdacht von Misswirtschaft im Münchner Sozialreferat. Der Stadt droht ein Verlust von mehr als 100 Millionen Euro – und Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) der Verlust ihres Postens.

Der Fall ist einmalig in der Münchner Stadtgeschichte. Eine Abstimmung wird von der Koalition am Abend zuvor um vier Wochen nach hinten verschoben – das hat es bisher noch nicht gegeben. Anstelle der Wahl steht nun die Kostenabrechnung der Flüchtlingsunterbringung auf der Agenda. Dabei schien die Stadtministerwahl mit sechs unstrittigen Kandidaten eine Routineveranstaltung zu werden.

Misswirtschaft im Sozialreferat?

Jetzt werden die Verwaltungsabläufe im Münchner Sozialreferat unter die Lupe genommen. Mehr als 100 Millionen Euro könnten der Stadt verlorengegangen sein – und damit schwindet Brigitte Meiers (SPD) Aussicht auf eine sichere Mehrheit. Neben der CSU sind auch die Grünen im Stadtrat auf Distanz zu ihr gegangen. Der Vorwurf: Meier und das von ihr geleitete Sozialreferat haben möglicherweise über Jahre hinweg bei der Kostenerstattung für junge Flüchtlinge Fristen versäumt. Meier und die Leiterin des Revisionsamts sollten jetzt auf Reiters Anweisung in der Vollversammlung am Mittwoch den aktuellen Sachstand vorlegen. Die Sozialreferentin ist offenbar der Meinung, dass noch keine Fristen abgelaufen sind und das Geld noch bis Ende dieses Jahres beantragt werden kann.

Wahl soll in vier Wochen stattfinden

Die Besetzung der Referentenposten hat in einer Großstadt erhebliche Bedeutung. Einerseits findet sie zeitversetzt zur Legislaturperiode statt und wirkt über die Amtszeit der Stadträte und des Oberbürgermeisters hinaus. Zudem haben die Referenten in Deutschlands größter Kommune die Funktion von Stadtministern. Nicht nachzuvollziehen ist, warum die Vorwürfe gegen die Chefin laut Süddeutscher Zeitung angeblich seit einer Woche auf dem Tisch liegen und der Fall nicht bereits entschärft wurde.

Fristen versäumt, Rechnungen verschlampt?

Minderjährige Flüchtlinge werden vom System der Jugendhilfe aufgefangen. Ihnen stehen genauso wie einheimischen Jugendlichen pädagogische Betreuung, Sprachkurse, Freizeitangebote, ärztliche Versorgung, Kleidung, Essen, Taschen- und Fahrtgeld zu. Das bezahlt die Stadt, bekommt aber einen Großteil vom Bezirk, Freistaat oder Bund erstattet. Doch dazu müssen Zuschussanträge nicht nur rechtzeitig eingereicht werden, auch die Rechnungen für jeden Jugendlichen müssen vorliegen. Aus dem Zwischenbericht des städtischen Revisionsamts, der dem Münchner Merkur vorliegt, geht hervor, dass Rückstände in der Kostenerstattung bereits deutlich vor dem Anstieg der Fallzahlen bestanden.

Immer mehr unbegleitete junge Flüchtlinge

In Deutschland befinden sich laut Bundesverwaltungsamt 67.194 unbegleitete minderjährige Ausländer in der Obhut der Jugendhilfe. Alleine in den Wochen zwischen dem ersten November und dem 18. Januar kamen 21.301 junge Flüchtlinge. In Bayern werden Heimunterbringungstagessätze von bis zu 170 Euro pro Flüchtling gezahlt. Das macht im Monat rund 5000 Euro und im Jahr rund 60 000 Euro. 2014 haben die bayerischen Bezirke für die Unterbringung junger Flüchtlinge 51 Millionen Euro aufgewendet, von denen der Freistaat 3,7 Millionen Euro übernommen hat. Der Rest wird über die Bezirksumlage finanziert, was somit die Kommunen und Landkreise trifft.

Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags und Deggendorfer Landrat, möchte deshalb das Jugendhilfegesetz ändern. Er forderte schon im August 2015 im Gespräch mit dem Bayernkurier, dass unbegleitete Jugendliche aus dem Jugendhilferecht herausgenommen werden. Nicht nur wegen der hohen Kosten, sondern auch wegen des Fachkräftemangels. Denn zur Betreuung der Flüchtlinge werden laut Jugendhilfegesetz Sozialpädagogen und Erzieher gebraucht, doch der Markt ist leergefegt.

Stadtrat beschließt strengere Haushaltsdisziplin

Immerhin – auch wenn im Münchner Rathaus keine Wahl stattgefunden hat, es ist zumindest zu einer Einigung gekommen. Um die städtische Haushaltslage in den Griff zu kriegen, hat der Stadtrat ein neues Verfahren verabschiedet: Die städtischen Referate müssen sich während des Haushaltsjahres auf das beschlossene Referatsbudget beschränken. Unterjährige oder nachträgliche Ausweitungen sind damit grundsätzlich nicht mehr möglich. Hans-Dieter Kaplan (SPD) sagt: „Natürlich ist dieses neue Verfahren eine Herausforderung und ein Kraftakt. Aber wir sind sicher: Es wird sich lohnen!“ Die neue Regelung soll ab dem Haushaltsjahr 2017 gelten. Allerdings sind zusätzliche Stellen- und Haushaltsausweitungen nach dem regulären Haushaltsbeschluss zulässig, wenn nachweisbar ein begründeter und unabweisbarer Bedarf vorliegt. Diesen Mehrbedarf bringen die Fachreferenten in die Fachausschüsse ein. Neu ist, dass der jeweilige Ausschuss über eine mögliche Ausweitung nicht mehr selbst entscheidet, sondern eine Empfehlung beschließt. Die Kämmerei fasst dann zusammen, welche haushaltsrelevanten Auswirkungen sich aus den Empfehlungen der Fachausschüsse ergeben.

Wir wollen und müssen für die kommenden Jahre eine strenge Haushaltsdisziplin einführen. Nur mit dieser soliden Finanzpolitik werden wir die anstehenden Großprojekte, wie die Schulbauoffensive und den Ausbau des ÖPNV-Netzes, realisieren können.

Stadtrat Michael Kuffer (CSU)