Die Politik ringt um die richtigen Konsequenzen aus den sexuellen Übergriffen und Raubüberfallen von Köln und anderen Städten in der Sylvesternacht. Bild: Imago/Sepp Spiegl
Sexuelle Übergriffe

Frauen wie Freiwild behandelt

In Köln steigen die Anzeigen wegen Raubes und sexueller Belästigung auf über 100, zusätzlich gibt es weitere Meldungen über derartige Vorfälle, etwa aus Berlin. Die Politik ringt derweil weiter um den richtigen Umgang mit den erschreckenden Taten. Justizminister Maas greift die CSU-Forderung nach Ausweisung der Täter auf - und nennt Bedingungen. Unterdessen wehrt sich die Polizei gegen Kritik.

Die sexuellen Übergriffe und Raubüberfalle in Köln, Hamburg und anderen Städten bestimmen die Schlagzeilen. Jetzt meldete die Kölner Polizei, dass die Anzahl der Anzeigen gegen Männer „mit nordafrikanischem Aussehen“ auf 121 gestiegen seien – in zwei Fällen ist es sogar zu Vergewaltigungen gekommen. Andere Quellen sprechen sogar von 167 Anzeigen. Dabei, so ein Polizeisprecher, seien die Beschreibungen der Taten beim Großteil der betroffenen Frauen ähnlich. Und auch aus anderen Städten werden jetzt Anzeigen gemeldet. Neben Hamburg und Stuttgart gibt es auch Anzeigen in der Bundeshauptstadt Berlin. Bei etwa drei Viertel der angezeigten Taten hätten die Opfer angegeben, sexuell bedrängt worden zu sein. In 50 dieser Fälle seien die Frauen zudem bestohlen worden.

Kein Wunder also, dass das immer weiter wachsende Ausmaß der Vorfälle zu Diskussionen in der Politik führt. Nachdem aus den Reihen der Union – unter anderem von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer – schon der Ruf laut geworden war, Täter, die sich in einem laufenden Asylverfahren befinden, umgehend auszuweisen, zeigt sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gesprächsbereit.

Maas zeigt sich bei Ausweisungsforderungen gesprächsbereit

„Wer glaubt, sich bei uns über Recht und Gesetz stellen zu können, der muss bestraft werden – völlig egal, woher er kommt“, sagte Maas den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Asylsuchende könnten auch während eines laufenden Asylverfahrens bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr ausgewiesen werden.

Änderungen bei Mindeststrafmaß für Ausweisungen

„Ein solches Strafmaß ist grundsätzlich bei Sexualdelikten absolut möglich“, sagte Maas mit Blick auf die Übergriffe an Sylvester. „Ausweisungen wären insofern durchaus denkbar.“ Bislang lässt die rechtliche Lage eine sofortige Ausweisung eines Asylbewerbers zu, wenn sich das Strafmaß über drei Jahren bewegt. Dies, so stellte Maas klar, könne man aber ändern. Womöglich könne man das Mindeststrafmaß auf nur ein Jahr begrenzen.

Keine Herkunft, keine Religion, kein kultureller Hintergrund erlaubt es Männern hier in Deutschland, Frauen wie Freiwild zu behandeln. Die Täter müssen möglichst schnell gefunden und angemessen bestraft werden.

Emilia Müller, Bayerische Sozialministerin

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller hat nach den zahlreichen Übergriffen von Männerbanden auf Frauen in der Silvesternacht in Köln mit Abscheu reagiert: „Keine Herkunft, keine Religion, kein kultureller Hintergrund erlaubt es Männern hier in Deutschland, Frauen wie Freiwild zu behandeln. Die Täter müssen möglichst schnell gefunden und angemessen bestraft werden.“ Gleichzeitig verwies Müller auf die Bedeutung einer schnellen Integration von Flüchtlingen mit hoher Bleibeperspektive: „Wir wollen, dass der soziale Frieden und der Wohlstand in unserem Land erhalten bleiben. Das kann nur gelingen, wenn wir unsere Werte, unsere Sprache und die Grundregeln unseres Zusammenlebens in unserem Land möglichst schnell und möglichst gründlich vermitteln. Darauf müssen wir mit aller Kraft hinarbeiten. Dass dazu auch die Wertschätzung von Frauen in unserer Gesellschaft gehört und die Gleichstellung von Frau und Mann – das ist eine Selbstverständlichkeit“, so die Ministerin.

Polizei wehrt sich gegen Kritik

Unterdessen geht die bisweilen scharf kritisierte Polizei in die Offensive. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, warnte vor vorschnellen Schuldzuweisungen. Die Aufarbeitung der Straftaten in der Silvesternacht im unmittelbaren Umfeld des Hauptbahnhofes stehe noch am Anfang, sagte Plickert am Mittwoch in Düsseldorf. „Deshalb ist es sehr verwunderlich, wenn aus den Reihen der Politik bereits massive Kritik an der polizeilichen Arbeit laut wird.“ Dabei werde so getan, als ob schon alles klar sei und die entstandene Lage in Köln im Vorfeld in diesem Ausmaß vorhersehbar gewesen sei, so Plickert in einer Pressemitteilung. „Diese Fälle von Diebstahl beim sogenannten ‚Antanzen‘ von Opfern sei der Polizei seit Längerem bekannt, die sexuellen Übergriffe der Täter dabei aber neu“, betonte Plickert. Auch das gruppenweise Auftreten ist offenbar neu.

Rückhaltlose Aufklärung?

Viel wichtiger sei es jetzt, so Plickert weiter, sich gemeinsam darüber zu verständigen, wie diese offenbar neue Form der Kriminalität und solche Vorfälle in Zukunft verhindert werden können. „Diese Straftaten gegenüber Frauen sind unerträglich und nicht hinnehmbar. Wenn Frauen sexuell belästigt werden, ist das ein massiver Eingriff in ihre Grundrechte und erniedrigend. Deshalb ist es wichtig, die Hintergründe der Taten rückhaltlos aufzuklären und die Täter konsequent zu bestrafen“, forderte Plickert, der zugleich GdP-Landesvorsitzender von Nordrhein-Westfalen ist.

Zugleich wird aus Polizeikreisen kritisiert, dass es schließlich die Politik sei, die in den letzten Jahren immer mehr Polizisten abgebaut habe, bundesweit ist von mehr als 16.000 Stellen die Rede. Hinzu komme der zum großen Teil ebenfalls von der Politik verursachte Zusatzaufwand für die Polizei durch hunderttausende Flüchtlinge. Daher sei es heuchlerisch, wenn man nun so tue, als ob zu wenig Polizisten in Köln im Einsatz gewesen seien.

Die britische Zeitung „The Guardian“ analysiert: „Die Zwischenfälle unterstreichen die Spannungen in der deutschen Gesellschaft nach Angela Merkels Politik der offenen Tür gegenüber Flüchtlingen, die zur Ankunft von über eine Million Menschen in den letzten zwölf Monaten geführt haben sowie zu Tausenden, die jeden Tag eintreffen.“

Frauen mit Begleitung und ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne ‚Spießrutenlauf‘ durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann.

Bundespolizist aus Köln

Die Polizei war nach Angaben eines leitenden Beamten frühzeitig über Ausmaß und Dramatik der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht informiert. Während der Ausschreitungen am Hauptbahnhof hätten Frauen Schutz bei der Polizei gesucht, heißt es unter anderem in einem internen Einsatzbericht des Bundespolizisten. Im Gespräch mit einem führenden Landespolizisten habe er sogar befürchtet, dass das „Chaos noch zu erheblichen Verletzungen wenn nicht sogar zu Toten führen würde“, schreibt der Beamte. In der ersten Pressemitteilung der Polizei am Neujahrsmorgen war die Stimmung in der Innenstadt dagegen als „friedlich“ bezeichnet worden. Erst zwei Tage nach Silvester hatte die Polizei über Übergriffe informiert. Dagegen schreibt der Bundespolizist, ein Leiter der an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft, über die Zeit vor Mitternacht: „Frauen mit Begleitung und ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne ‚Spießrutenlauf‘ durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann.“ Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet. Auffällig sei die „sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen“ gewesen. Da die Polizei „nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration“, schreibt der Bundespolizist in dem Bericht, der zunächst der „Bild„-Zeitung und dem Magazin „Der Spiegel“ vorgelegen hatte. In dem Bericht wird zudem eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter beklagt. Alle eingesetzten Polizisten seien „ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gekommen“.

Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe.

Bundespolizist aus Köln

Wegen der zahlreichen Vorfälle hätten sich die Beamten „auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen“ beschränkt. Aber: „Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe.“ Die Situation sei „chaotisch und beschämend“ gewesen.

Ich habe junge Frauen weinend neben mir gehabt, die keinen Slip mehr trugen, nachdem die Meute sie ausgespuckt hatte.

Polizist aus Köln

Die Kölner Polizei wollte sich zunächst nicht zu dem Bericht des Bundespolizisten äußern. Die Zeitung „Express“ zitierte am Donnerstag einen weiteren Beamten der Kölner Polizei, der im Einsatz war: „Ich habe junge Frauen weinend neben mir gehabt, die keinen Slip mehr trugen, nachdem die Meute sie ausgespuckt hatte“, erinnert sich dieser laut Zeitung. „Das waren Bilder, die mich schockiert haben und die wir erstmal verarbeiten mussten.“ Die Polizisten seien „damit beschäftigt (…), uns selbst zu schützen, da wir massiv angegriffen wurden“.

Erste Fahndungsergebnisse

Am Donnerstag vermeldete die Polizei dann auch erste, wenn auch kleine Fahndungserfolge. Es gebe mittlerweile Hinweise auf 16 Tatverdächtige im Raum Köln, teilte die Polizei in der Domstadt mit. Die meisten Verdächtigen seien zwar noch nicht namentlich bekannt, aber auf Bildern und Videos klar erkennbar. Die Ermittlungen, so die Polizei, liefen weiter auf Hochtouren, die Sondereinsatzgruppe sei auf mittlerweile 80 Beamte aufgestockt worden.

Sexualstraftaten

machen in Deutschland weniger als ein Prozent der Gesamtkriminalität aus. 2014 wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik bundesweit knapp 47 000 Fälle registriert – eine leichte Steigerung im Vergleich zum Jahr 2013. Damit lag der Anteil von „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ zuletzt bei 0,8 Prozent. Knapp vier Fünftel der Taten konnten aufgeklärt werden. Sieben Prozent der Tatverdächtigen waren Frauen. Knapp 6100 der insgesamt rund 33 100 Verdächtigen hatten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, das entspricht einem Anteil von 18,4 Prozent. „Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die nichtdeutsche Wohnbevölkerung zu einem größeren Teil als die deutsche aus jüngeren Männern besteht“, heißt es beim Bundeskriminalamt. „Ferner dürfte die besondere Lebenslage junger Ausländer bedeutsam sein.“ Als ob das eine Ausrede für Sexualstraftaten wäre.

(dpa/dos/avd)