Der umstrittene Beschneiungsteich am 10. Dezember 2014, nach dem ersten Schnee. Bild: Arnowski
Kunstschnee

Der „Veggie-Day“ des Alpenvereins

Bayrischzell – Kunstschnee Ja oder Nein? Dürfen die bayerischen Skigebiete modernisiert werden? Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird darüber gestritten.

Der Deutsche Alpenverein, der zur Jahres-PK lädt, macht inzwischen genauso dagegen Front wie Grüne und SPD. Doch Egid Stadler von den Liften am Sudelfeld in Bayrischzell sagt: „Ohne Kunstschnee wäre es in den letzten Wochen eine Katastrophe gewesen.“ Die Konkurrenz im benachbarten Ausland hat längst gehandelt. Die Italiener haben als erste ihre Pisten flächendeckend beschneit, und auch in Tirol, Salzburg oder Vorarlberg gibt es mittlerweile kein Skigebiet mehr ohne moderne Kabinenumlaufbahnen, Vierer-, Sechser oder gar Achtersessellifte und entsprechend groß dimensionierte Kunstschneeanlagen. Erst in den letzten Jahren sind die bayerischen Orte aufgewacht. Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen und die Winkelmoos-Alm haben früh erkannt, dass man im Wettbewerb um die Skiurlauber mit museumsreifen Anlagen keine Chance hat. Inzwischen sind auch die Traditionsskigebiete vor der Münchner Haustür Lenggries, Spitzingsee und Bayerischzell in die Modernisierung eingestiegen.

Moderne Lifte sind im benachbarten Tirol Normalität

Erst kurz vor Weihnachten haben die Bergbahnbetreiber am Sudelfeld in Bayerischzell am Waldkopf eine moderne Sechsersesselbahn eingeweiht. Die hat 5,5 Millionen Euro gekostet und ersetzt drei Schlepplifte. Wer mag schon bei Wind und Wetter im Stehen hinaufgezogen werden, wenn man nur wenige Kilometer weiter in Tirol im beheizten Sessellift geschützt von einer Wetterhaube zum Gipfel schwebt.

Die letzte Chance

Für Bayrischzell war es wohl die letzte Chance, den Anschluss an die Konkurrenz im Nachbarland Tirol nicht zu verpassen. Um überhaupt ein solches Liftprojekt von der Bank finanziert zu bekommen, war auch der Bau der heftig umstrittenen Beschneiungsanlage unerlässlich. „Denn“, so sagt der Bürgermeister von Bayrischzell, Georg Kittenrainer (CSU), „wir bekommen nur einen Kredit, wenn wir auch eine bestimmte Zahl von Betriebstagen garantieren können. Und das geht bei uns eben nur mit Kunstschnee.“ Kittenrainer kann die Aufregung um das Skigebiet seiner Gemeinde nicht so recht verstehen. Schließlich habe man keine neuen Abfahrten erschlossen, sondern lediglich veraltete Liftanlagen durch moderne ersetzt. Und, um die Finanzierung dafür zu bekommen, eine Beschneiungsanlage installiert.

Bürgermeister Georg Kittenrainer. Bild: Arnowski

Bürgermeister Georg Kittenrainer. Bild: Arnowski

Die konnte anfangs nicht starten, es war Anfang Dezember zu warm. Seit 27. Dezember aber laufen die Lifte. Durchgehend aber nur dort, wo die Schneeerzeuger im Einsatz sind. Am Sudelfeld sind so seither 40 Prozent der Pisten befahrbar. Für den Rest gilt: Sie waren nur an einigen Tagen geöffnet. Denn auch in diesem Winter hat Frau Holle die Wintersportler nicht ausreichend versorgt. Und es vor allem an der richtigen Grundlage fehlen lassen. „Bislang“, so sagt Egid Stadler von den Liftbetrieben, „hat sich die Anlage auf jeden Fall rentiert.“

Die Sorgen der Einheimischen kümmern den DAV nicht

Die Funktionäre des DAV sehen das ganz anders und geben ihre Meinung als die des Deutschen Alpenvereins aus. Ohne, dass sie je die Mitglieder dazu befragt haben. Und ungeachtet dessen, dass die DAV-Sektion Rosenheim, in deren örtliche Zuständigkeit die Modernisierung des Liftgebietes fällt, die Bedenken nicht teilt. Aber was kümmern schon die Sorgen ein paar Einheimischer, die die touristische Wettbewerbsfähigkeit ihrer Region gefährdet sehen? Oder die Bedenken der örtlichen Sportvereine, die ihre Jugendlichen heimatnah an den Skisport heranführen wollen? Wo man doch so wunderbar den Umweltschutz in Sonntagsreden praktizieren kann, ohne selbst irgendwelche Einschränkungen hinnehmen zu müssen.

Vergebliche Klagen

Der Alpenverein hat gegen den Bau des Beschneiungsteiches im Sudelfeldgebiet zusammen mit dem Bund Naturschutz letztes Jahr die Verwaltungsgerichte angerufen. Vergebens, wie sich in zwei Instanzen herausstellte, das Genehmigungsverfahren war rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die Frage, warum denn der DAV allen Leuten vorschreiben wolle, wie sie Ski zu fahren hätten und warum man Ihnen diesen Spaß auf Kunstschnee verbieten wolle, erklärte Hanspeter Mair vom DAV, das man das doch gar nicht vorhatte. Weshalb der Verein dann geklagt habe? „Wir wollten die naturschutzrechtliche Frage am Sudelfeld geklärt haben.“ Eine erstaunliche Argumentation. Denn jeder, der das bereits vor Jahrzehnten zu einem Pistenberg umgebaute Sudelfeld kennt, weiß: hier gibt es keine Natur im eigentlichen Sinn. Sondern Lifttrassen, Alm- und Wirtschaftswege, Wirtshäuser und „gebaute Skiabfahrten“. Man könnte aus Sicht des Naturliebhabers sagen: der Berg ist total verschandelt. Was aber Tausende nicht abhält, hier Ski zu fahren und im Sommer zum Wandern zu kommen. Wer andere Ideale von unberührter Natur hat, der braucht nur ein, zwei Berge oder Täler weiter zu fahren.

Hängt das Weltklima vom Sudelfeld ab?

Der große Beschneiungsteich, dessen Baustelle den Kunstschnee-Gegnern im Sommer ein willkommenes Bild war, um den Eingriff in die Natur anzuprangern, ist – eingeschneit – kein großer Fremdkörper mehr. Die Beschneiung kostet natürlich und verbraucht viel Energie, aber die Zukunft des Weltklimas entscheidet sich in den USA, China und etlichen Schwellenländern, nicht am Sudelfeld. Umgekehrt hängt aber von der Schneelage die Zukunft vieler Arbeitsplätze ab. Bürgermeister Kittenrainer, im Hauptberuf Almbauer, hat auch ein ökologisches Argument auf seiner Seite: „Wenn wir nicht beschneien, fahren die Münchner eben nach Tirol. Das ist weiter und außerdem stehen sie auf der Autobahn im Stau. Das ist alles andere als umweltfreundlich, zu uns können sie sogar mit dem Zug anreisen!“

Das vielzitierte Alpenvereinskonzept der Bergsteigerdörfer hat in einem so erschlossenen Gebiet wie der Gegend rund um den Wendelstein keinerlei Perspektive. Das ist etwas für Täler und Orte, wo es bislang keine oder nur wenig touristische Infrastruktur gibt. Und wo die alternativen Konzepte mit unberührter Landschaft Naturliebhaber anlocken können.

Realitätsferne

Können die klassischen bayerischen Wintersportorte auf Kunstschnee verzichten? Ja, sagt DAV-Naturschutzexperte Mair und empfiehlt den Gemeinden nachhaltige Tourismuskonzepte, die nicht auf Skifahrer setzen. „Wenn kein Schnee liegt, könnte man zum Beispiel geführte Wanderungen im Nebel anbieten.“ Der Vorschlag ist genauso attraktiv und praktikabel wie einst der von den Grünen für einen „Veggie-Day“ in Kantinen.

Der Gastautor ist leidenschaftlicher Skitourengeher und Mitglied des DAV. Beruflich ist er für den Bayerischen Rundfunk als Reporter tätig.