Immer mit dabei: Alexander Thal (2.v.r.) vom selbsternannten "Flüchtlingsrat" beim Hungerstreik am Sendlinger Tor in München Ende 2014. Bild: avd
Asylpolitik

„Flüchtlingsrat“ gießt Öl ins Feuer

Hungerstreiks und Protestmärsche: Der selbsternannte „Bayerische Flüchtlingsrat“ instrumentalisiert Asylbewerber für seine Zwecke. Obwohl sich zahlreiche Kommunalpolitiker und Hilfsorganisationen über die dubiose Organisation beklagen, wird sie in den Medien mit ihren Pressemitteilungen unkritisch begleitet. Bis jetzt.

Immer wieder machen einige Asylbewerber Schlagzeilen mit Protestmärschen und Hungerstreiks. Initiiert haben diese Aktionen jedoch ihre Unterstützer: linke Weltverbesserer.

„Was der Flüchtlingsrat jetzt im Moment unternimmt, entspricht meiner Ansicht nach nicht mehr der wirklichen Interessenvertretung der Flüchtlinge.“ Im Interview mit dem BR-Politik-Magazin Kontrovers hat BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk Anfang November scharfe Kritik am selbsternannten „Bayerischen Flüchtlingsrat“ geübt. Genauso, wie der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf von den Grünen: „Hier im Landkreis ist der Eindruck entstanden, dass es nur um Skandalisierung geht, wir fühlen uns da ein Stück weit missbraucht.“ Missbraucht vom Flüchtlingsrat? Auch bei wohlwollenden Beobachtern, die ihm durchaus Verdienste in früheren Jahren zubilligen, hat das Gremium seinen Kredit verspielt.

Die Rolle des Flüchtlingsrates

Wegen seiner Beteiligung an fragwürdigen Protestaktionen etwa. Beispiel Hungerstreik Ende November in München. Der Flüchtlingsrat behauptet zwar, nicht daran beteiligt gewesen zu sein, war aber jederzeit über den Verlauf bestens informiert. Und verschickte eine Pressemitteilung über den bevorstehenden „trockenen Hungerstreik“, ehe das die Streikenden selbst bekanntgaben.

Auffällig auch: Der im kanadischen Toronto angemeldete Internetauftritt von „refugeestruggle.org“, der den deutschen Unterstützern als Propagandaplattform dient, nennt keinen einzigen Namen. Die einzig nachvollziehbare Spur führt aber mitten in den Bayerischen Flüchtlingsrat. Denn „refugeestruggle“ sammelt Spenden über ein Konto des AK Panafrikanismus. Dieser Arbeitskreis wiederum ist Partner des Flüchtlingsrates, er nutzt dessen Münchner Büroräume. Und sein Vorstand Hamado Dipama ist einer der Sprecher des Flüchtlingsrates. Der Flüchtlingsrat ist also zentral in die Aktion eingebunden. Dahinter steht er sowieso: Die Staatsregierung treibe mit ihrer „sturen Asylpolitik“ Flüchtlinge „in die Verzweiflung“. Solange sie diese rigide Linie weiterfahre, werde es „weiterhin Proteste von Flüchtlingen geben“, kommentierte Ben Rau vom Flüchtlingsrat verständnisvoll den Hungerstreik.

 

Politisch ganz links außen

Nach eigenen Angaben ist der bayerische Flüchtlingsrat parteipolitisch unabhängig. Politisch aber lässt er sich klar verorten. Und zwar am äußersten linken Rand. Einen der sechs Sprecher stufen die bayerischen Sicherheitsbehörden nach meinen Informationen sogar als linksextremistischen Gefährder ein.

Außerdem arbeitet der Flüchtlingsrat häufig mit der im Verfassungsschutzbericht 2013 zum wiederholten Male aufgeführten Gruppe Antifa NT zusammen, deren Ziel es sei, „die bestehende Gesellschaftsordnung durch eine klassenlose Gesellschaftsform zu ersetzen.“ Ihr wahres Gesicht zeigten solche Gruppen bei der Beendigung des Hungerstreiks, als sie an der Absperrung skandierten: „Solidarität mit Flüchtlingen muss praktisch werden, Feuer und Flamme den Abschiebebehörden.“ Ein unverhohlener Aufruf zur Gewalt, anders kann man eine solche Parole nicht interpretieren.

Skandal statt sachlicher Kritik

Der Flüchtlingsrat setzt auf Skandalisierung, beim Flüchtlingsmarsch letzten Herbst wie beim Hungerstreik drei Monate zuvor am Münchner Rindermarkt. Statt sich endlich einmal klar von einer solch lebensgefährlichen Aktion zu distanzieren, attackierte der Flüchtlingsrat via Pressemitteilung Stadt und Freistaat: „Umgang mit Hungerstreikenden menschenverachtend“. Eine dreiste Verdrehung der Tatsachen. Ohne die Beendigung der Aktion durch die Politik wären manche Teilnehmer vermutlich gestorben.

Flüchtlingsrat gießt Öl ins Feuer

Für BRK-Landesgeschäftsführer Stärk hat der Flüchtlingsrat „damals Öl ins Feuer gegossen“. Klaus Honigschnabel, Pressesprecher der Inneren Mission München, sieht das ähnlich: „Da haben sich viele Leute alle Haxen ausgerissen und versucht, die Lage zu beruhigen, und vom Flüchtlingsrat kam eher noch Befeuerung der Sache.“

Nach dem Flüchtlingsmarsch im Herbst 2013, bei dem die teilnehmenden Asylbewerber mit Protestparolen wie „Eins, zwei, drei, Scheiß-Polizei“ durch Bayern zogen, sprach Bayerns Innenmister Joachim Herrmann im Bayernkurier Klartext: „Es ist in der Tat so, dass viele der Veranstalter und Unterstützer Bezüge zum linksextremistischen Spektrum haben. Diese Aktivisten wollen mit völlig unerfüllbaren Forderungen unseren Rechtsstaat provozieren.“ Nach Ansicht des Ministers mit Unterstützung des Flüchtlingsrates, den er „als eine völlig einseitig agierende Organisation“ einstufte.

Ehrenamtliche wenden sich ab

Viel Anlass zu Kritik bot auch die sogenannte „Lagerinventour“ des Flüchtlingsrats vor zwei Monaten. Nicht nur ehrenamtliche Helfer vor Ort waren nach der Stippvisite von Flüchtlingsrats-Sprecher Alexander Thal und seinen Mitstreitern empört über deren Einschätzungen. „Ich finde diesen Bericht, wenn ich meine Arbeit hier betrachte, als einen Schlag ins Gesicht“, ärgerte sich Kathrin Ebert. Denn unter anderem hieß es, man habe den „Eindruck, dass die Flüchtlinge benutzt werden, um den Hoteltraum weiterzuleben“ mit „Flüchtlingen als lebendem Inventar“. Für die Studentin, die Asylbewerbern ehrenamtlich Deutsch beibringt, eine völlig absurde Äußerung. Ihre Schützlinge leben im Landhaus Friesen, in Hirschaid bei Bamberg. Das ehemalige Hotel, ein modernes Haus, verfügt nur über Zweibettzimmer mit eigenem Bad und teilweise sogar eigener Küche. Für den Flüchtlingsrat war es dennoch „eine Falle“.

Die Sammelunterkunft im unterfränkischen Mönchberg bezeichnete er als „Saustall unter grüner Ägide“. Die Liste der angeblichen Missstände war lang: Wer gezwungen sei, „sich mehrheitlich von diesem Essen zu ernähren, ist nicht zu beneiden“. Angeblich gibt es „keine Betreuung durch einen der Wohlfahrtsverbände“, niemand kümmere sich darum, dass „behandlungsbedürftige kranke Flüchtlinge zum Arzt gehen können“. Und außerdem sollen Landrats­amtsmitarbeiter mit Abschiebungen gedroht haben. Für den Flüchtlingsrat ist dieses „Drohverhalten eine krasse Überschreitung der Kompetenzen“. Massive Vorwürfe also, die der grüne Landrat im Kontrovers-Interview überzeugend zurückwies. Eine unerwartet deutliche Antwort gab er auf die Frage, ob der Flüchtlingsrat überhaupt die Interessen der Asylbewerber vertrete: „Auf den Landkreis Miltenberg bezogen ganz klar Nein!“

Kritik von SPD-Landrat Adam

Ähnliche Erfahrungen hatte 2013 Michael Adam, der Landrat von Regen gemacht, als der Flüchtlingsrat forderte: „Flüchtlingslager Böbrach sofort schließen“. Der SPD-Politiker erklärte jetzt auf Anfrage: „Wer Asylunterkünfte als Lager bezeichnet, der diskreditiert diese schon mit der Diktion. Die Unterkünfte im Landkreis Regen sind alles andere als Lager.“ Solche Äußerungen seien für Flüchtlinge „eher schädlich“, so Adam weiter, weil viele Menschen im Bayerischen Wald kein Verständnis dafür hätten, wenn „deren eigene Lebensbedingungen vom selbsternannten Bayerischen Flüchtlingsrat als für Flüchtlinge unzumutbar bezeichnet“ würden. Schon vor einem Jahr hatte der SPD-Politiker beklagt, dass der Flüchtlingsrat „die Unterkunft als Dschungelcamp“ diffamiere. „Als springen wir hier auf dem Baum rum“, schimpfte Adam. Zuvor hatten die in Böbrach untergebrachten Asylbewerber die Situation als „unerträglich“ bezeichnet und dreist behauptet, jeder Hund würde in Deutschland besser behandelt. Der Flüchtlingsrat und seine Münchner Partnerorganisation Karawane leisteten bei solchen Attacken wiederholt Hilfestellung.

Die Rolle der Medien

Der SPD-Landrat sorgte damals immerhin für einige Medienberichte über die offensichtlich unberechtigten Vorwürfe, was die meisten Journalisten aber nicht abhielt, die sogenannte „Lagerinventour“ völlig einseitig abzubilden. Offenbar machen viele Kollegen den alten Fehler, vor dem schon die Moderatoren-Legende Hanns-Joachim Friedrichs gewarnt hatte: sich mit einer Sache gemein zu machen. Da der Flüchtlingsrat sich vermeintlich für die Asylbewerber engagiert, werden all zu oft dessen Positionen ungeprüft publiziert. Ein Beispiel dafür: der Beitrag aus der ZDF-Drehscheibe vom 11. November. Der wirkt wie ein Faschingsscherz, ist aber ernst gemeint, obwohl manche Sätze geradezu grotesk wirken: „Zu prüfen, wie die Asylsuchenden in Bayern aufgenommen, untergebracht und versorgt werden, das gehört zu den Aufgaben des Bayerischen Flüchtlingsrates.“ Wer oder was hat dem Flüchtlingsrat diese Aufgabe erteilt? Keine Antwort dazu, obwohl der Beitrag fast vier Minuten lang ist. Stattdessen dürfen die Vertreter des Flüchtlingsrates ausführlich ihre Positionen ausbreiten und Kritik an der Staatsregierung üben. Dass man dieser die Möglichkeit gibt, dazu Stellung zu nehmen, wäre eigentlich eine journalistische Selbstverständlichkeit, auf die man allerdings vergeblich wartet.

Kritik dringend erforderlich

Die Politik geriet durch die einseitige Berichterstattung in den vergangenen Monaten in die Defensive. Trotz aller unbestreitbaren Erfolge, die die Task Force bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms in der Zwischenzeit erzielte, beherrschten weiter die Einschätzungen des Flüchtlingsrates die Debatte. Erst Mitte November wehrte sich Sozialministerin Emilia Müller gegen dessen unberechtigte Vorwürfe. Im Regensburger Presseclub warf sie ihm vor, mit Falschinformationen womöglich Ressentiments gegen Flüchtlinge zu schüren.

Alleinvertretungsanspruch

Diese kritische Einordnung war überfällig, zumal das Gremium keine demokratisch gewählte Flüchtlingsvertretung ist, wie der Name „Bayerischer Flüchtlingsrat“ suggeriert, sondern lediglich ein Zusammenschluss von einigen Privatpersonen und Initiativen. Was viele Politiker noch nicht wissen. Jüngstes Beispiel: der geplante Asyl-Gipfel von Münchens SPD-OB Dieter Reiter. Außer Spitzenpolitikern hat er nur Teilnehmer des Hungerstreiks und den „Bayerischen Flüchtlingsrat“ eingeladen. Nicht aber Vertreter der großen Sozialverbände. Landes-Caritas-Direktor Prälat Bernhard Piendl ist verärgert. Er sei irritiert, dass „die Wohlfahrtsverbände, die seit Monaten wertvolle Arbeit im Bereich Asyl leisten, offenbar nicht mit am Tisch sitzen sollen“. Obwohl beispielsweise die Caritas zwei Drittel der Asylsozialberatung im Freistaat leiste. Das bedeute de facto, so Piendl, dass die Politik „den vom Flüchtlingsrat selbst erhobenen Alleinvertretungsanspruch für Asylbewerber in Bayern anerkenne“. Wenn dem so wäre, kann man die nur bedauern, denn der Flüchtlingsrat gibt lediglich vor, ihre Interessen zu vertreten. Nüchtern betrachtet, macht er aber seit vielen Monaten das genaue Gegenteil.