EVP-Fraktionschef Manfred Weber. (Bild: fkn)
Münchner Wirtschaftstafel

„Die Flüchtlingszahlen können so nicht bleiben“

Klare Worte von EVP-Fraktionschef Manfred Weber bei der Wirtschaftstafel von Heinrich Traublinger: Die Schengen-Außengrenzen müssen geschützt werden, bei den TTIP-Verhandlungen kann die EU-Kommission ihre Strategie nicht offenlegen, keine EU-Vollmitgliedschaft für die Türkei, Russlands Völkerrechtsbruch in der Ukraine verlangt nach Sanktionen und Schluss mit britischer Rosinenpickerei in der EU.

„Wir brauchen eine kurzfristige Lösung. Die Flüchtlingszahlen können so nicht bleiben.“ Das war eine klare Ansage vom Vorsitzenden der EVP-Fraktion, Manfred Weber, bei der hochkarätig und gut besuchten 179. Münchner Wirtschaftstafel. Eingeladen hatte der ehemalige langjährige Landtagsabgeordnete und Ehrenpräsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, Heinrich Traublinger.

Migrantenkrise: Quotenreglung und Grenzsicherung

Die anhaltende Massenzuwanderung über die Balkanroute stand – natürlich – im Vordergrund des Vortrags des CSU-Europapolitikers und Vorsitzenden der größten Fraktion im Europaparlament. Ein gerütteltes Maß an Europa-Selbstkritik konnte Weber sich und seinen Zuhörern dabei nicht ersparen: „Wir haben die Entwicklungen um uns herum zu wenig wahrgenommen, wir haben uns zu wenig gekümmert.“ Die Europäer seien zu lange nur mit sich selbst beschäftigt gewesen, vor allem mit der Eurokrise. Und es sei ein Skandal, dass europäische Länder die Gelder für die Flüchtlingslager im Libanon oder in Jordanien gekürzt hätten. Jetzt, so Weber seien europäische Lösungen notwendig.

Wer die Grenze illegal überquert, muss gestoppt werden. Wenn es anders nicht geht, auch mit technischen Mitteln.

Manfred Weber

Und die liegen auf dem Tisch: Zum einen hat die EU-Kommission eine Quotenregelung und Kontingentierung zur Umverteilung der Migranten auf die EU-Mitgliedsländer vorgeschlagen. Zum anderen soll aber auch die Schengen-Außengrenze geschützt werden. Weber wurde hier sehr deutlich: „Die Grenze muss auch geschützt werden. Wer die Grenze illegal überquert, muss gestoppt werden. Wenn es anders nicht geht, auch mit technischen Mitteln.“ Weber schickte eine Warnung gleich hinterher: „Das kann auch unschöne Bilder geben.“

Ohne den Widerstand der nationalen Parlamente wäre die Quotenreglung längst europäisch beschlossen.

Beim Thema Quoten und Umverteilung der Migranten erinnerte Weber daran, dass neben der deutschen Sicht und Forderung nach europäischer Solidarität es in Brüssel eben auch eine europäische Sicht gebe. Im Sommer hatten sich Webers Parlamentskollegen etwa sehr darüber gewundert, dass Berlin die Dublin-III-Regel über die Verantwortung der Erstaufnahme-Länder aushebelte: „O.K., wenn ihr Deutschen das so machen wollt, bitte schön, macht nur.“ Ein paar Wochen später fordert nun Deutschland die Umverteilungsquote. Reaktion der anderen europäischen Parlamentarier: „Ach, jetzt soll es Europa lösen?“ Richtig sei aber auch, dass Widerstand gegen die Qotenreglung vor allem von den nationalen Parlamenten kommt – vor einem Jahr auch noch vom Bundestag. Weber: „Ohne diesen Widerstand wäre die Maßnahme längst europäisch beschlossen.“

Keine Alternative zur Zusammenarbeit mit der Türkei

Wahr sei leider auch, so der EVP-Fraktionschef mit leichtem Zähneknirschen, dass es in der Flüchtlingsfrage keine Alternative zur Zusammenarbeit mit der Türkei und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan gebe. Glücklicherweise sei die Türkei stabil – als einziges Land in der weiteren Region. Ohne die Türkei könne es keine Antwort auf die Flüchtlingskrise geben. Weber: „Ziel unserer Verhandlungen ist es, dass die Flüchtlingszahlen in den nächsten Wochen signifikant zurückgehen.“

Visa-Erleichterungen nur für türkische Geschäftsleute.

In den Gesprächen mit der Türkei wird es um drei Dinge gehen: Geld, Visa-Erleichterungen und die Eröffnung neuer Kapitel der Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei. Es wird Geld fließen – aber nicht in Ankaras Staatskasse, sondern direkt an die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR, die damit die Flüchtlingslager in der Türkei versorgt. Bei der Liberalisierung der Visa-Reglung für die Türkei kann es nur um genau definierte Erleichterungen für türkische Geschäftsleute gehen. Weber erinnerte daran, dass die Türkei Visafreiheit für Afghanen und Pakistanis gewährt. Schon darum sei Visafreiheit zwischen der Türkei und der EU ausgeschlossen. Was die Beitrittsverhandlungen angeht, so wird die EVP jetzt vorschlagen, Gespräche über das Verhandlungskapitel zu Energiefragen anzugehen.

Eine Zustimmung zur EU-Vollmitgliedschaft der Türkei wird es von mir nicht geben. Aber verhandeln, reden können wir.

Als Gegenleistung erwartete Weber an der Ägäis-Grenze türkische Unterstützung gegen das Schlepper-Unwesen so wie an der bulgarisch-türkischen Grenze. Denn ohne die Schlepper seien solche Flüchtlingszahlen so wie jetzt schlicht nicht denkbar. Bei aller Gesprächsbereitschaft war Weber im entscheidenden Punkt kompromisslos klar: „Am Ende werden wir gegen die EU-Vollmitgliedschaft der Türkei stimmen. Eine Zustimmung dazu wird es von mir nicht geben. Aber verhandeln, reden können wir.“

TTIP: Wer verhandelt, kann seine Verhandlungsziele nicht öffentlich machen

Auch ein großes Thema für Heinrich Traublingers mittelstandsorientierte Münchner Wirtschaftstafel: TTIP. Müssen die TTIP-Verhandlungen im Geheimen ablaufen? Der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe die Geheimniskrämerei sogleich abgestellt und die breite öffentliche Debatte sei gut und wichtig, betonte Weber. Ausgewählte Europaabgeordnete haben in Sicherheitsräumen Zugang zu allen Verhandlungsunterlagen – etwa so wie ein parlamentarischer Geheimdienstausschuss. Den nationalen Parlamenten dagegen könne man die Unterlagen nicht so ohne weiteres zugänglich machen – „dann haben es morgen sofort alle Medien“.

Lasst die Kommission verhandeln, bitte haltet Maß bei der Kritik.

Vor den Wirtschaftsvertretern warb Weber – erfolgreich – um Verständnis für ein ganz übliches Maß Verhandlungsgeheimhaltung: Ebenso wenig wie Unternehmen bei Auftragsverhandlungen ihre Minimal- und Maximal-Vorstellungen öffentlich machten, könnte die EU-Kommission schon vorher ihre Verhandlungsstrategie und ihre zentralen Interessen preisgeben. „Erst wird verhandelt. Dann kommt das Dokument auf den Tisch, und wir entscheiden, ob wir es machen oder nicht. Anders geht es doch nicht bei Verhandlungen!“ Am Schluss entscheiden 29 Parlamente. Wenn eines mit „Nein“ stimmt, dann wird es TTIP nicht geben, so Weber: „Mehr Demokratie geht nicht.“

Sind wir noch offen genug für Freihandel?

Weber riet auch aus anderem Grunde zur Vorsicht gegenüber TTIP-Kritikern. Denn denen ginge es gar nicht nur um TTIP. Sie wollten außerdem das schon ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) zu Fall bringen. Im Hintergrund stehe die töricht-polemische Linksformel: „Freihandel = Ausbeutung“. Weber: „Für die EU geht es jetzt um die Frage: Sind wir noch offen genug, um Freihandelsverträge abzuschließen oder nicht?“

Besserung in bürgerlich-christdemokratischen Ländern

Zum Thema Euro-Krise sah Weber begründeten Anlass zu Optimismus. Immerhin haben vier Länder – Irland, Spanien, Portugal und Zypern – die Rettungspakete hinter sich lassen können. Alle vier Länder sind zum Wachstum zurückgekehrt: Irland und Spanien gehören mit 3,8 und 3,1 Prozent Wachstum für dieses Jahr sogar zu den europäischen Spitzenreitern. Das Wachstum hat in Spanien schon eine Million Arbeitsplätze geschaffen. Diese Wende habe zwei Gründe, betonte Weber: Zum einen haben die Länder die europäischen Auflagen akzeptiert und umgesetzt.

Ist ein Land bürgerlich und christdemokratisch regiert oder regieren Sozialisten? Das ist viel wichtiger als alle kulturellen Unterschiede.

Zum anderen seien alle vier Länder bürgerlich regiert worden. Wie wichtig das ist, zeigen die Gegenbeispiele Italien und Frankreich, wo sich die Misere immer länger hinzieht. Vor allem Frankreich kommt nicht aus der Depression. Weil, so Weber, ein sozialistischer Präsident dem Land nicht die Wahrheit sage und danach handele. Webers Schlussfolgerung: Bei allen kulturellen Unterschieden, die es in Europa zwischen Norden und Süden oder Osten und Westen geben möge, trete eine Unterschied immer bedeutsamer hervor: „Ist ein Land bürgerlich und christdemokratisch regiert oder regieren Sozialisten? Das ist viel wichtiger als alle kulturellen Unterschiede.“

Völkerrechtsbruch verlangt nach Sanktionen

Wie weiter mit Russland? Skepsis von Teilen der Wirtschaft gegenüber den Wirtschaftssanktionen gegen Russland sei verständlich, fand Weber. Unbestreitbar sei allerdings, dass Moskau gegenüber der Ukraine schlicht Völkerrechtsbruch begangen habe. Weber: „Wenn man das nicht dulden darf, aber militärische Maßnahmen ausgeschlossen sind, dann muss man mit unserer größten Macht reagieren – der Wirtschaft.“  Die Sanktionen träfen Russland schwer, sah Weber und prognostizierte, dass Moskau sie nicht lange durchhalten könne. Das Beispiel Iran sei instruktiv: Teheran habe sich bewegt, weil es Lockerung der Sanktionen brauchte. Man könne hoffen, dass die Sanktionen auch Präsident Putin zur Einsicht brächten.

Londons Forderungen: Die Briten wollen Mitsprache im Euro-Raum

Großbritannien wird jetzt seine Forderungen und Vorstellungen von EU-Reformen auf den Tisch legen. Für manche schon bekannte britische Reformforderungen gebe es in der EVP-Fraktion viel Verständnis, so Weber – etwa bei Thema Sozialtourismus. So sei es zum Beispiel sei nicht einzusehen, warum jemand in Großbritannien Kindergeld bekommen müsse – für Kinder in Rumänien.

Schluss mit der Rosinenpickerei.

Im Gespräch mit Premier David Cameron habe der allerdings als allererstes eine ganz andere Forderung auf den Tisch gelegt: London will für die Londoner City – das Zentrum der britischen Finanzwirtschaft, von der wiederum die britische Wirtschaft abhängt – Mitsprache bei den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank. Webers Antwort zu Cameron war einfach: Dann müsse Großbritannien halt den Euro annehmen und Mitglied der Eurozone werden. In München warb Weber für einen härteren Umgang mit jenen Ländern, die sich in der EU die schönen Dinge heraussuchten, aber sich ganz bewusst gegen ihnen unangenehmere Teile der gemeinsamen europäischen Politik entschieden – etwa gegen den Euro: „Schluss mit der Rosinenpickerei.“ Wenn ein Land nicht dabei sein wolle, dann sei es halt nicht dabei. Aber dann gebe es auch keine Mitsprache. Weber: „Jeder darf frei entscheiden, aber entscheidet Euch!“

Warnung vor den Populisten

„Wir müssen unsere EU-Errungenschaften deutlich und selbstbewusst vertreten“, betonte Weber. Das sei auch aus anderem – bedrohlichem – Grunde nötig: Ein ganzes Drittel der Europaparlamentarier kommt inzwischen aus rechts- oder linkspopulistischen oder gar aus radikalen Parteien. Im Nachbarland Frankreich habe der rechtspopulistische Front National bei den Europawahlen im vergangenen Jahr als stärkste Partei abgeschnitten.

Vieles in Europa ist auch rückabwickelbar.

In Österreich, so der EVP-Fraktionschef, sei man froh, wenn die rechtspopulistische FPÖ „nur“ auf 30 Prozent komme. In Italien erziele ein Komiker, Beppe Grillo, 25 Prozent. In Europa könne es darum bald um Fundamentalfragen, warnte Weber: Wenn sich in Frankreich etwa die FN-Chefin Marin Le Pen durchsetze, werde sie als allererstes zu protektionistischen, anti-europäischen Maßnahmen greifen. Im Vergleich mit den Nachbarn, so Weber, sei „Deutschland eine Insel der Seligen“. Aber wir alle neigten dazu, die europäischen Errungenschaften als selbstverständlich zu nehmen. Das sei gefährlich. Weber: „Denn vieles ist auch rückabwickelbar.“ Wenn die Europäer nicht auf europäische Gemeinsamkeit setzten, könnte es auf dem Kontinent sehr schwierig werden.

Brüssel muss mehr an den Mittelstand denken

Europa ist nicht nur Krise und Außenpolitik, erinnerte zum Abschied Gastgeber Traublinger und wies auf ein Ungleichgewicht in Brüssel hin: 95 Prozent der deutschen Wirtschaft sind Mittelstand. Aber Brüsseler Verordnungen und Gesetze erfolgen vor allem nach Maßgaben der großen wirtschaftlichen Akteure − mit Ausnahmen für die Kleinen. Traublinger: „Eigentlich müsste es umgekehrt sein, eigentlich müsste die Mehrzahl der Richtlinien vor allem den Mittelstand und das Handwerk im Auge haben.” Traublingers nur allzu begründetes Anliegen ist bei Weber gut aufgehoben: Der EVP-Fraktionschef ist von Hause aus Ingenieur und kennt die Nöte mittelständischer Existenzgründer: Ende der 90er Jahre hat er selber zwei Firmengründungen bewerkstelligt. Weber: „Das hat mich schlaflose Nächte gekostet.”