Krisen überall: Fußballverbände im Wandel. (Bild: Fotolia, 103tnn.)
DFB

Kopflos

Nach dem Rücktritt von Präsident Wolfgang Niersbach herrscht im Deutschen Fußball-Bund (DFB) ein wenig Erleichterung. Doch die mutmaßlich als Bestechungsgeld verwendeten 6,7 Millionen Euro für die FIFA werden den Verband so schnell nicht zur Ruhe kommen lassen. Nachfolger von Niersbach als DFB-Präsident könnte ein Bayer werden.

Am Tag nach dem Rücktritt von Präsident Wolfgang Niersbach versprach der Deutsche Fußball-Bund weiter eine konsequente Aufklärung der immer brisanteren Sommermärchen-Affäre. Angesichts neuer – auf mögliche Korruptionsversuche zumindest hindeutenden – Erkenntnisse rückt auch immer mehr Franz Beckenbauer als WM-Organisationschef 2006 ins Blickfeld. „Wir haben die Bitte, dass er sich intensiver einbringt in die Aufklärung der Vorgänge“, sagte Interims-Präsident Rainer Koch relativ deutlich, der gemeinsam mit Ligapräsident Reinhard Rauball vorläufig die DFB-Geschäfte in dessen größter Krise führen wird. Beckenbauer hatte gegenüber den DFB-Ermittlern der Wirtschaftskanzlei Freshfields ausgesagt. In einem Vier-Augen-Gespräch mit Niersbach soll es aber zu Dissonanzen zwischen den jahrzehntelangen Männerfreunden zum Umgang mit der Affäre gekommen sein. „Wir wollen uns nicht mehr auf die Frage des Verbleibs der 6,7 Millionen Euro beschränken, wir wollen uns intensiv mit der Frage beschäftigen, was ist bei der Vergabe der WM 2006 passiert?“, hatte Koch unmittelbar nach dem Rücktritts Niersbachs gesagt und damit Spekulationen über gravierende Verfehlungen der WM-Macher geschürt.

Weitet sich der Skandal aus?

In diesen Zusammenhang passt ein unbestätigter Bericht der „Süddeutschen Zeitung„, nach dem bei den internen Ermittlungen im DFB ein Vertragsentwurf aus dem Jahr 2000 gefunden worden sei, der einem Mitglied der FIFA-Exekutive Vorteile versprochen haben könnte. Wie die „SZ“ unter Berufung auf einen Insider weiter berichtete, steht der Ex-Spitzenfunktionär Jack Warner in Verdacht, möglicher Nutznießer gewesen zu sein. Warner war ehemals Präsident des nord- und zentralamerikanischen und karibischen Fußballverbandes (CONCACAF) sowie bis 2011 auch Vizepräsident des Weltverbandes FIFA. Er war im September lebenslang wegen Korruption gesperrt worden und sieht sich nun US-Ermittlungen ausgesetzt.

Die Nachfolgedebatte

Angesichts der brisanten Lage rückte die Frage nach einem dauerhaften Nachfolger für Niersbach etwas in den Hintergrund. Rainer Koch, Chef des Süddeutschen Fußball-Verbandes, und Ligapräsident Reinhard Rauball (zugleich Chef von Borussia Dortmund) sind als derzeitige Interimspräsidenten natürliche Kandidaten. Mit 68 Jahren steht Rauball aber kurz vor der DFB-Altersgrenze (70). Koch wurde 1958 in Kiel geboren und lebt seit 1964 in Poing bei München.

Doch die Machtfrage im DFB könnte in den kommenden Wochen intensiv diskutiert werden. Auch DFB-Schatzmeister Reinhard Grindel, CDU-Bundestagsabgeordneter und früher Journalist, werden Ambitionen nachgesagt. Oliver Bierhoff, als Teammanager der Weltmeister-Auswahl dem Profifußball zugewandt, fehlt wohl der unbedingte Wille und auch die Unterstützung der weiterhin mächtigen Amateurbasis. Als mögliche Kandidaten gelten auch der DFB-Generalsekretär und Vorstandschef des MSV Duisburg, Helmut Sandrock, sowie der frühere Manager des FC Schalke 04 und des Hamburger SV, Heribert Bruchhagen, der heute Vorstandschef von Eintracht Frankfurt ist.

Aufräumarbeiten laufen an

Etwas überraschend wollen die neuen starken Männer im DFB ihre Aufgabenverteilung nicht unmittelbar in der Verbandszentrale besprechen, sondern hierfür die Nationalmannschaftsreise nach Paris von Donnerstag an nutzen. Rauball übernimmt für Niersbach die Delegationsleitung beim Auftritt des Weltmeisters beim EM-Gastgeber. Koch und Grindel sind in der französischen Hauptstadt ebenfalls vor Ort. Die Aufräumarbeiten in der DFB-Zentrale finden also zumindest in der zweiten Wochenhälfte ohne die neue Führungscrew statt.

Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger – von 2006 bis 2012 im Amt, von 2001 bis 2004 DFB-Schatzmeister, von 2004 bis 2006 geschäftsführender DFB-Präsident und ab 2003 Mitglied im WM-Organisationskomitee und daher selbst nicht frei von Vorwürfen – will den Rücktritt seines Nachfolgers Wolfgang Niersbach inhaltlich nicht kommentieren. „Das ist eine Sache, die den DFB und Wolfgang Niersbach betreffen, das habe ich nicht zu bewerten“, sagte Zwanziger der dpa. Zudem kündigte Zwanziger seine Zusammenarbeit mit den externen Ermittlern des DFB auf. Wie sein Anwalt in einem Brief an den DFB mitteilte, begründet Zwanziger diesen Schritt mit den angeblichen Verbindungen der Kanzlei Freshfields zum ehemaligen FIFA-Funktionär Mohamed bin Hammam und zum Staat Katar.

Bundestrainer Joachim Löw hatte in München „sehr betroffen“ auf den Rückzug des Verbandschefs reagiert. Niersbach war ein größerer Förderer des DFB-Teams und auch als Delegationsleiter für die Reise zum ersten Testspiel in Frankreich vorgesehen. „Er war für uns jederzeit ein hervorragender Ansprechpartner. Deswegen tut es mir persönlich sehr, sehr leid, dass er zurückgetreten ist“, sagte Löw.

Das Sommermärchen bleibt

Etwas unverständlich ist dagegen die öffentliche Demontage des WM-Sommermärchens von 2006 in deutschen Medien. Denn die Veranstaltung an sich bleibt ein herausragendes Sportereignis. Wie die FIFA-Enthüllungen zeigen, wurde vermutlich jede Fußball-WM seit spätestens Anfang der 90er Jahre „gekauft“. Auch jeder andere WM-Ausrichter hätte also das Fußball-Event nur durch Korruption bekommen – so verwerflich das aus Sicht des Rechtsstaates auch ist.

Sportreporter Waldemar Hartmann sagte es mit leichter Ironie in einem TV-Interview beim „Franken Fernsehen“ so: „Ich sage heute mit dem Abstand: Haben denn wirklich die Deutschen geglaubt, dass wir diese WM bekommen haben, weil wir so ganz besonders beliebt sind auf dieser Welt? (…) Die Realität sieht anders aus, und der DFB, die deutsche Fußball-Öffentlichkeit, hat mit dieser WM etwas Großartiges gemacht. Sie haben’s aber so bekommen, wie viele andere auch.“ Später fügte er hinzu, mit dem letzten Satz habe er „harte Arbeit, viel Einsatz und große Überzeugungskraft“ gemeint.