Josef Sigl, der frühere Fahrer von Franz Josef Strauß. Bild: HM
Franz Josef Strauß

Sakko anziehen, Herr Sigl!

Aus der aktuellen Ausgabe des BAYERNKURIER-Magazins: Sechs volle Jahre, von 1982 bis zu dessen Tod 1988, hat Josef Sigl den Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß ein paar hunderttausend Kilometer „durch die Weltgeschichte gefahren“, wie er selbst sagt. Der langjährige Fahrer erinnert sich an seinen Chef, der in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre.

„Herr Sigl, genauso habe ich Sie mir vorgestellt“: Mit diesen Worten begrüßte der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß im Jahr 1982 vor er damaligen Staatskanzlei, dem Prinz-Carl-Palais, seinen neuen Fahrer. „Wahnsinnig aufgeregt war ich da“, erinnert sich Sigl lachend.

Aber gesehen hat er alles. Ihm konnte man nichts vormachen.

Josef Sigl über FJS

74 Jahre ist Josef Sigl nun alt. Sechs volle Jahre, von 1982 bis zu dessen Tod 1988, hat er Franz Josef Strauß ein paar hunderttausend Kilometer „durch die Weltgeschichte gefahren“ – und das übrigens immer im Sakko. „Denn der Chef wollte das so. Sakko anziehen, Herr Sigl. Damit die Proportionen stimmen, hat er immer gesagt“, lacht Sigl. Einmal hat er den weitgereisten Ministerpräsidenten am Flughafen abgeholt, und kurz vor der Ankunft dort gemerkt, dass er sein Sakko in der Staatskanzlei vergessen hatte. „Ach du Schreck. Was mach ich jetzt? Die Zeit reicht nicht mehr, um es zu holen. Na, vielleicht merkt er es nicht, dachte ich. Ja, woher denn? Herr Sigl, Sakko anziehen, damit die Proportionen stimmen, sagte er gleich. Ja, Herr Strauß, ich hab das Sakko leider in der Staatskanzlei vergessen. Darauf sagte er: Dann ist das verständlich. Nächstes Mal wieder! O mei, war ich erleichtert. Aber gesehen hat er alles. Ihm konnte man nichts vormachen.“

Der reguläre Arbeitstag begann um Punkt 8.00 Uhr, in der Regel vor der Strauß-Wohnung in der Hirsch-Gereuth-Straße in München-Sendling. „In den paar Minuten bis zur Staatskanzlei hat er dann volle acht Zeitungen durchgelesen, überflogen, quergelesen, sagt man. Die SZ, die Frankfurter, den Merkur, Abendzeitung, tz, die Welt und so weiter. Er saß immer auf dem Beifahrersitz, nie hinten. Danach hat er die Zeitungen hinter geschmissen. Da durfte ich danach eine halbe Stunde lang aufräumen“, so Sigl. Seine Augen leuchten richtig, wenn er von Strauß erzählt. „Ich hab ihn sehr gern gefahren. Das war ein echter Charakterkopf. Manchmal ein wenig aufbrausend, aber nie ungerecht.“

Wie man es macht, ist es falsch

Ein einziges Mal habe sich Franz Josef Strauß richtig über die Zeitungslektüre geärgert. Nicht etwa, weil die Journalisten schon damals meistens links waren – daran hatte er sich wohl schon gewöhnen müssen. Sondern nur, als einmal im Lokalteil sein eigenes Handeln unfair dargestellt worden sei. „Wir sind in St. Quirin am Tegernsee an einem schlimmen Verkehrsunfall vorbeigekommen. Strauß sagt, wenn wir da einfach vorbeifahren, ist das recht unpassend. Also ist er ausgestiegen und hat sich bei den Einsatzkräften erkundigt. Doch was passiert? Die Leute kommen und wollen Autogramme von ihm. Er erfüllt ihren Wunsch und danach fahren wir weiter. Am nächsten Tag heißt es im Lokalteil, der Strauß hat den Unfall ausgenutzt, um Autogramme zu geben. Darüber hat er sich sehr geärgert. Ich hab nur zu ihm gesagt: Jo mei, wie man es macht, ist es falsch.“

Wenn Franz Josef Strauß sich einmal richtig geärgert hat, dann sollte man besser in Deckung gehen, so Sigl. „Einmal war ein Referent mit im Auto. Strauß wollte einen bestimmten Brief sehen, der schon länger in der Landesleitung lag. Allerdings hatte der Referent ihn vergessen. Jessas, hat der ihn zur Schnecke gemacht. Aber danach war wieder eine Veranstaltung, und danach kein Wort mehr davon.“

Geht die Tür auf, und der Strauß sieht mich. O mei, hat der mich zusammengeschimpft. Sind Sie wahnsinnig? Ein Gewehr mit dem Schlauch abspritzen?

Josef Sigl über FJS

Er selber hat nur einmal ein richtiges Donnerwetter von Strauß abbekommen, erinnert sich Sigl. Das war nach einer Wildschweinjagd in der Nähe von Lenting. „Zuerst hab ich die richtige Ausfahrt verpasst, weil die Posten hinter der Ausfahrt standen und nicht davor. Dann hab ich ihm wie so oft beim Umziehen geholfen, danach ging es auf die Wildschweinjagd. Der Chef hat zehn bis 15 Wildscheine geschossen, und das Gewehr war ganz dreckig, weil es in den Dreck gefallen war. Ich denk mir, um Himmels willen, wie krieg ich das jetzt sauber? Und nehme einen Gartenschlauch und spritze es ab. Geht die Tür auf, und der Strauß sieht mich. O mei, hat der mich zusammengeschimpft. Sind Sie wahnsinnig? Ein Gewehr mit dem Schlauch abspritzen? Naja, es war kein bleibender Schaden, und sein Zorn war bald wieder verraucht.“

Die „Männerfreundschaft“ mit Helmut Kohl

„Wenn er sich geärgert hat, war er schon grantiger als sonst. Das haben wir dann auch gemerkt. Einmal komm ich früh in die Wohnung, da war er zuerst noch recht gut gelaunt. Aber nach nur zehn Minuten kam er dann herunter zum Auto, und da war er stocksauer. Später hat mir die Haushälterin erzählt, dass er in den paar Minuten ausgerechnet mit Helmut Kohl telefoniert hat“, grinst Sigl. Von der Rivalität Strauß-Kohl, der vielzitierten „Männerfreundschaft“, haben also gelegentlich auch die Bediensteten einiges mitbekommen.

Sehr gern sei Franz Josef Strauß übrigens immer in Franken unterwegs gewesen, erzählt Sigl. Vor allem Nürnberg habe es ihm angetan. „Wenn oben auf der Kaiserburg ein Empfang war, das hat er immer sehr genossen. Danach ist er dann oft ins Bratwurst-Röslein bei St. Sebald runtergegangen und hat mit den CSU-Leuten noch weiter konferiert und diskutiert. Ich hab mich bei solchen Gelegenheiten meistens auf dem Rücksitz ein bisschen ausgeruht, weil wir ja danach immer noch nach München fahren mussten.“ Das Ende des Arbeitstages sei in der Regel nicht vor 1 oder 2 Uhr nachts in Sicht gewesen – und dann hieß es früh um 8 Uhr wieder antreten. „Anstrengend, aber schön“, sei diese Zeit gewesen, so Sigl.

Nach der Rede, drei Stunden ungefähr, hab ich ihm beim Umziehen geholfen. Er war ja immer komplett nassgeschwitzt.

Josef Sigl über FJS

An die legendären Auftritte von Franz Josef Strauß beim politischen Aschermittwoch in Passau hat Josef Sigl ebenfalls seine ganz eigenen Erinnerungen. „Schon die Anfahrt war recht anstrengend, da über Altötting hinunter, es gab ja noch keine Autobahn. Dann habe ich ihm vor der Rede wie immer die Wechselkleidung bereitgelegt, Hemden und einen neuen Anzug. Während der Rede hab ich das Auto betankt und waschen lassen. Nach der Rede, drei Stunden ungefähr, hab ich ihm beim Umziehen geholfen. Er war ja immer komplett nassgeschwitzt. Die verschwitzte Kleidung kam in eine Plastiktüte und zurück zur Haushälterin nach München.“

Der Technikfreund Strauß

Auf längeren Fahrten allein habe Strauß übrigens nie oder nur selten Briefe diktiert, sondern am liebsten telefoniert. Strauß habe nie über die vorherigen Termine oder Gespräche gesprochen. „Er war sehr diskret. Nur ein einziges Mal hat er etwas erzählt, das war nach dem berühmten Flug, wo er im Winter bei Schneetreiben nach Moskau geflogen war. Er ist in München-Riem ins Auto eingestiegen und hat gesagt: ‚Herr Sigl, das war der schwierigste Flug meines Lebens.'“ Sehr anerkennend äußert sich Sigl über den Mut des passionierten Technikfreundes Strauß, der noch mit mehr als 70 Jahren die Lizenz für Düsenjets erworben hat. Sehr häufig hat Sigl den Ministerpräsidenten vom Hubschrauber oder Flugzeug abgeholt oder hingebracht. Reisen außerhalb Bayerns machte Strauß grundsätzlich in der Luft, und wenn es das Wetter zuließ, auch längere Reisen innerhalb des Freistaats.

Vor allem der Kanzler-Wahlkampf 1980 sei sehr hektisch gewesen, erzählt Sigl. Strauß sei meistens zu den Rede-Auftritten nach Nord- oder Westdeutschland geflogen, per Flugzeug oder mit dem Hubschrauber. Aber dort musste schon ein „Panzer“ für Strauß bereitstehen. „Wir hatten im Wahlkampf 1980 drei Fahrer und drei Panzer im Einsatz.“ In diesem Wahlkampf seien für die Fahrer sehr viele Kilometer zusammengekommen.

Die stillen Momente

Es gab aber auch stille Momente, in denen man Franz Josef Strauß als Mensch erleben konnte, oft seien sie ohne Sicherheitsbeamte zu zweit gewesen. Da sei er nett, warmherzig und gütig gewesen. „Einmal, in seiner Wohnung, sagt er, warten Sie einmal. Dann geht er in den Keller runter und kommt zurück, mit einem Bocksbeutel links und einem Bocksbeutel rechts unter dem Arm. Er gibt sie mir und sagt: Einen für die Ehefrau und einen für Sie. Ein anderes Mal hat er mir drei Schoko-Löwen geschenkt, einen für die Ehefrau, einen für die Tochter, einen für mich. So war er halt.“

Oft sind wir im Konvoi gefahren, ein Polizeiauto vorn, eines hinten. An der Ampel sind manchmal Bereitschaftspolizisten mit der MP ausgestiegen und haben gesichert. Das war schon hektisch.

Josef Sigl über die RAF-Zeiten

Folgenreich und aufregend für den Fahrer sei die linksextremistische Terrorgefahr durch die RAF gewesen – und die scharfen Sicherheitsmaßnahmen. „Oft sind wir im Konvoi gefahren, ein Polizeiauto vorn, eines hinten. An der Ampel sind manchmal Bereitschaftspolizisten mit der MP ausgestiegen und haben gesichert. Das war schon hektisch.“ Die Autos, die er für Strauß fuhr, seien immer gepanzerte 7er-BMW gewesen, mit Achtzylindermotor. „Panzer“ nennt Sigl diese Gefährte heute noch. Bei den ersten Generationen hätten die Fenster überhaupt nicht geöffnet werden können. „Und schwer zu fahren waren diese Panzer. Die haben ja dreieinhalb, vier Tonnen gewogen. Wenn man da das Steuer verreißt, ist es zu spät. Der Panzer schaukelt sich auf und ist nicht mehr zu kontrollieren.“

Genauso hab ich Sie mir vorgestellt.

FJS zu Josef Sigl

Wegen eines solchen „Panzer“-Unfalles eines Kollegen, sei er, Sigl, überhaupt erst zu dem prominenten Fahrgast gekommen. Der Kollege habe sich am Bein verletzt, und er habe kurzfristig einspringen müssen. „Ich hab das zuerst nicht gewollt, denn ich hatte einen sehr guten Chef, den Amtsleiter der Staatskanzlei, den Herrn Kessler. Den habe ich jahrelang gefahren. Aber dann kam der Befehl: Morgen, halb neun in der Staatskanzlei, Strauß zum Flughafen.“ Daraufhin das erste Treffen mit Strauß mit dem Satz, der sich Sigl ins Gedächtnis einbrannte: „Genauso hab ich Sie mir vorgestellt.“

Der Werdegang von Josef Sigl

Josef Sigl wurde 1941 in Innernzell im Bayerischen Wald geboren, er ist ursprünglich gelernter Schreiner. Weil in den frühen 1970er Jahren aber die Arbeitsplatz-Situation im Bayerwald nicht so grandios war, ging er nach München und wurde 1972 hauptberuflich Fahrer in der Staatskanzlei. Nach dem Tod von Franz Josef Strauß 1988 hat Sigl auch die Ministerpräsidenten Max Streibl und Edmund Stoiber chauffiert, bis zu seiner Pensionierung 2005. Aber so aufregend wie mit dem nimmermüden, rastlosen Dynamiker Strauß sei es danach nie mehr gewesen.

Herr Sigl, behalten Sie Ihren Humor und bleiben Sie, wie Sie sind!

FJS zu Josef Sigl

Als Hobby in der knapp bemessenen Freizeit betrieb der fußballbegeisterte Josef Sigl übrigens bereits seit 1976 „die Schiedsrichterei“, wie er sagt – und zwar für die „Roten“, also den FC Bayern München. Er pfiff über die Jahrzehnte locker 1000 Amateurspiele. Nach seiner Pensionierung organisierte er auch die Schiedsrichter-Mannschaft des FC Bayern, allerdings kann er seit einer Hüft-OP vor einigen Jahren nicht mehr selbst gegen das runde Leder treten. Seine schlanke, drahtige Figur hat er allerdings über die Jahre immer erhalten, ebenso seinen unerschütterlichen niederbayerischen Humor. Das hatte ihm auch Strauß selber ans Herz gelegt. So erinnert sich Sigl an den Weihnachtswunsch, den ihm sein Chef mitgab: „Herr Sigl, behalten Sie Ihren Humor und bleiben Sie, wie Sie sind! Ja, und daran versuche ich mich immer zu halten“, lacht Sigl.

Prophetisch wirkt aus heutiger Sicht eine der letzten handschriftlichen Notizen von Strauß, die Sigl im Original bei zum heutigen Tag aufbewahrt und nun erstmals dem BAYERNKURIER zur Dokumentation vorlegt. Strauß war für den 1. Oktober 1988 abends um 19 Uhr zu einem Geburtstags-Empfang in Starnberg eingeladen. Strauß notierte in Josef Sigls Auto mit Datum 29. September handschriftlich auf die Einladung: „Leider absagen – ich komme von Regensburg nicht rechtzeitig zurück.“ Strauß wusste nicht, auf welche Weise sich dieser Satz bewahrheiten sollte: Denn am Nachmittag des 1. Oktober erlitt der Ministerpräsident bei einem Jagdausflug nahe Regensburg einen Kollaps, brach zusammen und aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände erlangte er bis zu seinem Tod am 3. Oktober im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder das Bewusstsein nicht mehr.