Hier diskutiert der Bayerische Städtetag: Passau, die Dreiflüssestadt. Bild: Bayern Tourismus Marketing GmbH
Städtetag

Bayern wächst, Bayern schrumpft

Der Bayerische Städtetag befasste sich auf seiner 51. Vollversammlung mit den Auswirkungen der demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen auf die kommunale Aufgabenerfüllung. Das Tagungspapier behandelte die unterschiedlichen Entwicklungen in Bayern unter dem Motto: „Gesund schrumpfen – über sich hinauswachsen. Demografischer Wandel in Stadt und Land".

Die einen Städte werden immer begehrter, andere verlieren Einwohner – der demografische Wandel hat im Freistaat viele Gesichter. „Bayern schrumpft und Bayern wächst“, umschrieb Ulrich Maly (SPD), Nürnbergs Oberbürgermeister, am Mittwoch das Dilemma vieler Kommunen vor Beginn der 51. Vollversammlung des Bayerischen Städtetags. Unter dem Motto „Gesund schrumpfen – über sich hinauswachsen“ suchten die Kommunalpolitiker nach Zukunfts-Strategien. In Passau hat das Gremium, dessen Vorsitzender Maly ist, deshalb auch ein Positionspapier diskutiert, in dem es darum geht, wie die Folgen dieses Wandels von den Kommunen gestemmt werden können. Maßstab für das Handeln müsste das Staatsziel „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ sein, sagte Maly. Deshalb nahmen die Rathauschefs im Freistaat auch die Staatsregierung in die Pflicht. Sie erwarten sich nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch eine Überarbeitung von Förderprogrammen und passgenaue sowie vor Ort abgestimmte Strategiekonzepte.

Sieben Millionen Mitglieder

Neben allen 25 kreisfreien Städten und allen 29 Großen Kreisstädten sind über 200 weitere kreisangehörige Städte, Märkte und Gemeinden Mitglied. Die Bandbreite der rund 270 Städtetagsmitglieder reicht von Gemeinden mit knapp 3.000 Einwohnern bis zur Landeshauptstadt München mit 1,5 Millionen Einwohnern. Insgesamt vertritt der Bayerische Städtetag rund sieben Millionen Menschen, also mehr als die Hälfte der Bevölkerung Bayerns. Zu Gast bei der Vollversammlung waren neben dem Passauer OB Jürgen Dupper (SPD) auch Innenminister Joachim Herrmann, Jiří Buriánek (Generalsekretär des Ausschusses der Regionen in Brüssel), Professorin Doris Rosenkranz (Technische Hochschule Nürnberg), Erste Bürgermeisterin Karin Bucher (Cham), Oberbürgermeister Harald Fichtner (CSU, Hof) und Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD, Regensburg). Das Schlusswort sprach Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU), zugleich 1. stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Städtetags.

Alle Kommunen sind vom demografischen Wandel betroffen

„Die Kurzformel ‚weniger, älter, bunter‘ für die Einwohnerentwicklung trifft die vielschichtigen Entwicklungen des demografischen Wandels nicht vollständig und beleuchtet nur eine Facette des Problems“, so Bernd Buckenhofer, Geschäftsführer des Bayerischen Städtetags, zum Auftakt. Eine Umfrage bei den Mitgliedern des Bayerischen Städtetags habe gezeigt, dass alle Städte und Gemeinden vom demografischen Wandel betroffen sind, egal ob die Bevölkerung abnimmt oder zunimmt. „Demografische und flankierende gesellschaftliche Entwicklungen wirken sich auf die Aufgabenerledigung in allen kommunalen Bereichen aus. Sie stellen die kommunale Aufgabenerfüllung und die Stadtentwicklung vor Herausforderungen. Es geht vor allem um die Aufrechterhaltung der kommunalen Infrastruktur“, betonte Buckenhofer. Während in wachsenden Städten und Gemeinden eine Überlastung der Infrastruktur drohe, mache schrumpfenden Städten und Gemeinden eine Unterauslastung der kommunalen Infrastruktur zu schaffen. Die Überfüllung in den Verdichtungsräumen enge die Städte in ihrer räumlichen Entwicklung ein. Für die Ausweitung notwendiger Verkehrsinfrastruktur, Einrichtungen der  Daseinsvorsorge, Bildungseinrichtungen, Wohnraum oder Gewerbe fehle der Platz. Spiegelbildlich leiden schrumpfende Städte und Gemeinden unter einer Entleerung des Raums.

Maly: Folgen des Schrumpfens können dramatisch sein

„Bayern schrumpft, Bayern wächst. Beide Aussagen scheinen im Widerspruch zu stehen, aber demografischer Wandel lässt sich nicht allein am Schrumpfen ablesen, sondern auch am Wachsen“, sagt der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Nürnbergs Oberbürgermeister, Ulrich Maly (SPD). Während Deutschland bis 2030 laut Studie der Bertelsmann-Stiftung um 500.000 Einwohner schrumpft, soll Bayern um 440.000 auf 13 Millionen Einwohner wachsen. „Schrumpfen und Wachsen liegen in Bayern eng beieinander“, so Maly. Die negativen Folgen der Schrumpfung mit verödeten Dörfern oder brach liegenden Stadtvierteln wirkten bedrohlich. Einzelne Städte und Gemeinden, vor allem in Oberfranken, der Oberpfalz oder in Niederbayern, hätten mit rückläufigen Einwohnerzahlen und den Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels zu kämpfen. Maly schilderte die Lage: „Ortszentren veröden, Geschäfte machen dicht, verklebte Schaufenster reihen sich aneinander. Häuser stehen leer und zeigen Zeichen des Verfalls. Alte Fabrikanlagen, die einst das industrielle Herz einer Stadt oder ganzen Region waren, werden abgerissen.“ Und der Nürnberger OB fuhr fort: „Die Folgen des Schrumpfens können dramatisch sein. Aber Wachstum allein macht eine Kommune auch nicht zwangsläufig glücklich. Denn Wirtschaftswachstum kann zur Überhitzung, zur Gentrifizierung von Wohnquartieren und zu steigenden Preisen führen. Wachstum an Einwohnern bringt Wohnungsmangel und steigende Immobilienpreise.“

Bayerische Städte und Gemeinden wachsen über sich hinaus.

Ulrich Maly

Das Motto des Bayerischen Städtetags „Gesund schrumpfen – über sich hinaus wachsen“ beschreibt die Auswirkungen des demografischen Wandels. Der demografische Wandel geht einher mit einem sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Dies hat Folgen für das Miteinander in den Kommunen und schlägt zurück auf die kommunale Aufgabenerfüllung. „Regionen mit sinkender Einwohnerzahl und Regionen mit steigender Einwohnerzahl darf man nicht getrennt in den Blick nehmen“, sagte Maly. Demografische Entwicklungen lassen sich erst dann begreifen, wenn man die Zusammenhänge, die kleinräumigen Entwicklungen, das enge Nebeneinander von Wachsen und Schrumpfen betrachtet. Der demografische Wandel bedeutet nicht nur Schrumpfung und Älterwerden. „Bayerische Städte und Gemeinden wachsen über sich hinaus – wir erleben das in der Metropolregion München ebenso wie in der Metropolregion Nürnberg, in größeren Städten ebenso wie in kleineren Orten. Wir erleben Wachstum nicht nur in Städten wie etwa in Augsburg, Regensburg oder Ingolstadt – das umfasst jede Ortsgröße“, betonte der Nürnberger OB. Dieser Strukturwandel komme nicht auf einen Schlag als Umbruch, sondern schleichend und als kontinuierlicher Prozess.

Die Wirtschaft verlangt von Kommunen nicht weniger als beste Rahmenbedingungen.

Ulrich Maly

Umgekehrt bedeutet schrumpfen nicht ‚gesund schrumpfen‘. Wenn die Jungen gehen, kann das fatal für die Stadtgesellschaft sein. Kommunalpolitik und Bürgerschaft versuchen alle Hebel zu bedienen, um solche Prozesse zu stoppen oder umzukehren. Urbane Attraktivität, Sozial- und Bildungsinfrastruktur, gute Standortfaktoren wie schnelle Datenleitungen und Arbeitsplätze sind die Schlüsselbegriffe. „Es braucht ein ‚Management des Schrumpfens‘. Manchmal bieten solche Prozesse auch neue Chancen für die Stadtentwicklung“, erklärte der Städtetagspräsident. Bei der Aufgabenerfüllung müssten Kommunen vielerlei Interessen bedienen: Für Mütter und Väter, für Senioren oder für behinderte Menschen müssten Kommunen bei der Stadtentwicklung auf kurze Wege achten und Barrieren beseitigen. „Wir müssen Städte attraktiv gestalten als Orte für Arbeit, Wohnen und Erholung. Die Wirtschaft verlangt von Kommunen nicht weniger als beste Rahmenbedingungen, sei es bei der Bildung mit Kindergärten, Kinderbetreuung, Schulen und Volkshochschulen, beim reichhaltigen Kulturleben mit Theatern, Bibliotheken und Museen, bei der Verkehrsinfrastruktur, beim Sport- und Vereinswesens oder bei der Versorgung mit schnellem Internet“, so Maly abschließend. „Wenn das Staatsziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse so bedroht ist, wie das die Demografiestudie der Bertelsmannstiftung vor zwei Wochen prognostiziert hat, dann ist eine aktive Unterstützung durch den Freistaat in allen Aktionsfeldern unerlässlich.“

Gribl: Die Wohnungsnot verschärft sich

Auf den Aspekt der Wohnungsnot ging der 1. stellvertretende Vorsitzender des Bayerischen Städtetags und Augsburger OB Kurt Gribl (CSU) ein. „Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Alle Menschen brauchen Obdach. In allen Städten und Gemeinden Bayerns muss Wohnraum in ausreichender Zahl und ansprechender Qualität zur Verfügung stehen. Die Quantität ist vor allem in wachsenden Boom-Regionen ein drängendes Problem, denn bezahlbare Wohnungen sind absolute Mangelware. Und die Qualität von Wohnraum ist vor allem in schrumpfenden Regionen ein Problem“, sagte Gribl, 1. stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. Während ältere Generationen barrierefreie Wohnungen brauchten, benötigten Familien Platz, junge Auszubildende und Studierende dagegen kleine günstige Wohnungen. „Die Wohnungsnot verschärft sich mit Blick auf die steigende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern: Die alleinerziehende Mutter, die kinderreiche Familie, die Familie mit Hartz IV, der Obdachlose dürfen nicht auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Konkurrenz mit der Flüchtlingsfamilie aus Syrien oder dem Asylbewerber aus Afghanistan kommen“, warnte Gribl.

„Schrumpfende Städte und Gemeinden dürfen nicht abgehängt werden. Wir müssen den Leerstand bekämpfen und müssen leere Gebäude wieder für eine attraktive Nutzung ertüchtigen“, forderte der Augsburger OB. „In der Wohnungswirtschaft tragen Bund, Staat und Kommunen gemeinsam Verantwortung.“

Wir müssen alle Mittel bündeln, um schnell bezahlbare Wohnungen zu schaffen.

Kurt Gribl

Wohnungsbauförderung, Elemente der Städtebauförderung, Zuschüsse und mögliche Konzeptausschreibungen müssten in ein Pooling-Verfahren zusammengeführt werden. Die degressive steuerliche Abschreibung müsse ergänzend einführt werden. „Wir müssen alle Mittel bündeln, um schnell bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Möglicherweise müssen wir neue Instrumente entwickeln, um Wohnungen, die eigentlich aus der Belegungsbindung fallen, auch weiterhin in dieser Bindung zu halten. Aber allein dafür brauchen wir das zwei- bis dreifache des bisherigen Mitteleinsatzes“, so Gribl. Alleine werde zum Beispiel München oder Augsburg dem Wachstumsdruck nicht standhalten können, schon weil notwendige Grundstücke für Wachstum kaum zur Verfügung stünden. Deshalb müssten Stadt und Umland sowie benachbarte Kommunen verstärkt zusammenarbeiten. „Dies läuft zum Nutzen von beiden Seiten, denn ohne die boomende Stadt wäre das Umland nichts – und ohne sein Umland wäre die Stadt nichts.“

Heimat ist nicht nur das malerische Dorf, auch in der Stadt sagen Menschen: Da bin ich daheim.

Kurt Gribl

Benachbarte Städte und zentrale Orte könnten außerdem mit ihren Nachbarn zusammen wirken, indem sie gemeinsame Konzepte erarbeiten, um die Menschen mit Einrichtungen der Daseinsvorsorge, mit Kulturangeboten, mit Bildungseinrichtungen, mit technischer Infrastruktur oder mit sozialen Einrichtungen zu versorgen. Bürgermeister haben bereits Ideen entwickelt, um mit demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen umzugehen. „Die Bayerische Verfassung gibt die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen vor. Damit ist der Freistaat verpflichtet, alle Städte und Gemeinden in den Blick zu nehmen und muss demografische und gesellschaftliche Veränderungen mitgestalten“, sagte Gribl. Die Staatsregierung dürfe Stadt und Land nicht als Gegensatz behandeln, sondern als gleichwertige Partner. „Die bayerische Heimat aus dem Bilderbuch mit Dorf, Blasmusik und schmucken Vorgärten trifft auf Teile Bayerns zu. Solche idyllischen Bilder verdrängen aber nur allzu leicht, dass die Menschen nicht nur in ländlichen Räumen Heimat finden, sondern auch in Städten“, so der Städtetags-Vize. Das seien immerhin 45 Prozent aller Bayern. „Heimat ist nicht nur das malerische Dorf, auch in der Stadt sagen Menschen: Da bin ich daheim – im chicen Stadtviertel oder im Mietshaus, in der Trabantenstadt, in München-Neuperlach, in Nürnberg-Langwasser oder in Augsburg-Oberhausen.“ So fehle der Heimatstrategie der Staatsregierung ein flächendeckender Anspruch. Sie beschäftige sich allein mit den ländlichen Räumen. Die Heimatstrategie vernachlässige die wichtige Versorgungs-, Identifikations- und Impulsfunktion der Vielzahl von Städten.

Resolution verabschiedet

Die Vollversammlung verabschiedete eine Resolution zu diesem Thema. Die darin enthaltenen Forderungen der bayerischen Kommunen sind „aus den Grundbedürfnissen der Menschen in den Städten und Gemeinden“ abgeleitet. Kommunen begriffen die Bewältigung der Herausforderungen des demografischen und gesellschaftlichen Wandels als Pflichtaufgabe. Neue Aufgaben erforderten neue Lösungsansätze. Sie verlangten von der Staatsregierung und den Aufsichtsbehörden, eine bewährte Förderpraxis stetig zu verbessern, Vorgaben und Standards anzupassen, die Unterschiedlichkeiten der vielfältigen Entwicklungen in den Regionen, in Landkreisen, in Städten und Gemeinden zu analysieren und passgenaue Strategien zu entwickeln. Zur Erreichung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen gebe es keine Patentrezepte.

Die Forderungen im Einzelnen:

  1. Die Staatsregierung darf Stadt und Land nicht als Gegensatz behandeln, sondern als gleichwertige Akteure zur Verwirklichung der Staatszielbestimmung. Die Bayerische Staatsregierung hat sich in der jüngeren Vergangenheit der demografischen Entwicklung in Leitfäden, Strategien und Regierungserklärungen angenommen und dabei ein Bündel an Unterstützungsangeboten entwickelt. Sie legt den Schwerpunkt der Betrachtung auf die schrumpfenden Teilräume, während die Herausforderungen wachsender Städte und Gemeinden nur selten behandelt werden. Die einseitige Konzentration auf schrumpfende Regionen wird der bayerischen Entwicklung nicht gerecht und lässt Wechselwirkungen der sich unterschiedlich entwickelnden Teilräume unberücksichtigt.
  2. Die Staatsregierung muss passgenaue Lösungen für die Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten der Entwicklungen bereithalten. Unterschiedliche Entwicklungen bedürfen unterschiedlicher Strategien. Die Heterogenität in Bayern ist als Chance zu begreifen. Vorhandene Stärken dürfen nicht geschwächt werden, Schwächen sind auszugleichen.
  3. Die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels muss als kommunale Pflichtaufgabe anerkannt werden. Die Staatszielbestimmung überlagert die kommunalrechtliche Differenzierung zwischen sogenannten freiwilligen Aufgaben und Pflichtaufgaben und erfordert im Einzelfall von den Aufsichtsbehörden eine dem örtlichen Bedarf entsprechende Bewertung.
  4. Die Staatsregierung muss eine gezielte Struktur- und Regionalpolitik betreiben. Finanzielle Unterstützung trägt dazu bei, schrumpfende Städte und Gemeinden zu unterstützen, kann aber alleine eine nachhaltige Entwicklung nicht sichern. Demografieprobleme und strukturelle Härten lassen sich nur bedingt durch staatliche Finanzströme an die Kommunen lösen. Eine Umverteilung zwischen den Kommunen würde allenfalls zu einer Problemverlagerung führen. Es bedarf einer gezielten Regional- und Strukturpolitik der Staatsregierung, damit in den strukturschwachen Gebieten neue Arbeitsplätze entstehen und vor allem junge Menschen eine Perspektive haben. Behördenverlagerung alleine genügt nicht. Die Staatsregierung muss stärker versuchen, Ankerpunkte für die Ansiedlung von Wirtschaft und Wissenschaft im Sinne der Dezentralität zu setzen. Daneben muss den Strukturproblemen in wachsenden Städten und Gemeinden stärker Rechnung getragen werden.

Einige Daten zum demografischen Wandel in Bayerns Kommunen:

Demografischer Wandel beschreibt Veränderungen der Bevölkerungsentwicklung in der Altersstruktur, im zahlenmäßigen Verhältnis von Männern und Frauen, in den Anteilen von Inländern, Ausländern und Eingebürgerten an der Bevölkerung, in der Geburtenrate und der Sterbefallentwicklung, in Zuzügen und Fortzügen. Demografischer Wandel wird oft mit Alterung und Abnahme der Bevölkerung in Verbindung gebracht, aber die Situation in Bayern ist differenzierter als die Kurzformel „weniger, älter, bunter“ zum Ausdruck bringen kann. Wachstums- und Schrumpfungsprozesse liegen oft eng nebeneinander. Demografischer Wandel ist nicht allein Schrumpfung, Alterung und Internationalisierung, sondern auch Wachstum. Mittelfristig prognostiziert das Bayerische Landesamt für Statistik dem Freistaat Bayern stabile Bevölkerungszahlen. Wanderungsüberschüsse können das Geburtendefizit noch kompensieren.

Für Bayern wird von einem Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung von 43 Jahren im Jahr 2012 auf 46 Jahre im Jahr 2032 ausgegangen. Die Jahrgänge der Babyboomer rücken ins Rentenalter vor. Während die Anzahl der Personen unter 65 Jahren um etwa sechs Prozent sinkt, nimmt die Zahl über 65-Jähriger um knapp vierzig Prozent zu.

Beim Migrationshintergrund liegt Bayern derzeit im Bundesdurchschnitt. In den nächsten Jahren ist aufgrund der Zuwanderung aus dem Ausland, die sich auf den süddeutschen Raum konzentriert, von einem Anstieg auszugehen: Vorausberechnet ist in Bayern eine Zunahme von knapp 20 Prozent im Jahr 2011 auf etwa 25 Prozent im Jahr 2024.

In Bayern gibt es erhebliche räumliche Unterschiede. Entgegengesetzte demografische Entwicklungen liegen regional dicht nebeneinander:

– in 30 der 96 Landkreise und kreisfreien Städte nimmt die Bevölkerung ab (ca. 31 Prozent);

– 30 der 96 Landkreise und kreisfreien Städte können von einer stabilen Bevölkerungszahl ausgehen (ca. 31 Prozent);

– in 36 der 96 Landkreise und kreisfreien Städte nimmt die Bevölkerung zu (gut 37 Prozent).

Schrumpfungsprozesse sind an vielen Orten auf die natürliche Bevölkerungsentwicklung zurückzuführen: Die Sterbezahlen steigen, die Geburtenzahlen sinken. Dies gilt auch für den am stärksten schrumpfenden Landkreis Wunsiedel, in dem voraussichtlich in den nächsten zwei Jahrzehnten einem leichten Wanderungsgewinn von +0,2 Prozent ein Geburtendefizit von -18,2 Prozent gegenüberstehen wird.

Geburtenüberschüsse werden selten: Für 5 Landkreise oder kreisfreie Städte wird in den nächsten zwei Jahrzehnten ein natürliches Bevölkerungswachstum erwartet: die Großstädte München, Regensburg und Erlangen, die Landkreise Erding und Freising. Mit +7 Prozent fällt der Bevölkerungszuwachs durch mehr Geburten als Sterbefälle in München besonders hoch aus: Denn mit der Zuwanderung junger Menschen kommen potenzielle Eltern, die den Verdichtungsräumen Potential für hohe Geburtenzahlen sichern. Die Alterung der Bevölkerung trifft nicht alle Regionen gleich. Sie ist bei wachsenden Regionen abgemildert durch den Zuzug junger Menschen und verstärkt bei schrumpfenden Regionen durch den Wegzug junger Menschen.

Gesellschaftliche Entwicklungen, wirtschaftlicher Strukturwandel und sozialer Wandel:

– Verschiebungen vom Sektor Industrie zu Dienstleistung, Forschung und Entwicklung;

– Forschungs- und wissensintensive Unternehmen bevorzugen urbane Standorte;

– Globalisierung von Wirtschaft und Arbeitsmärkten;

– in der Folge steigt die Nachfrage nach qualifizierten Beschäftigten; der Zugang von Nicht- und Niedrigqualifizierten in den Arbeitsmarkt wird schwieriger;

– Mobilität und Flexibilität; „Normalarbeitsverhältnisse“ nehmen ab; Erwerbsbeteiligung der Frauen steigt; spätere Familiengründungen; Kinderlosigkeit;

– soziale Polarisierung: die Kluft zwischen Armut und Reichtum wächst; 2012 waren 14 Prozent der bayerischen Bevölkerung armutsgefährdet; die Altersarmut steigt;

– Heterogenität der Gesellschaft nimmt zu; unterschiedliche Lebensstile prägen sich aus;

– Individualisierung der Gesellschaft: mehr Zeit für Hobbies und Freizeit;

– Singularisierung: Einpersonenhaushalte in Bayern liegen bei über 40 Prozent;

– der Verbrauch an Wohnflächen steigt ebenso wie die Nachfrage nach Wohnungen;

– familiäre Netzwerke werden seltener und dünner, damit sinkt das Potential für Kinderbetreuung oder häusliche Pflege für Kranke und Senioren;

– die soziale Polarisierung führt zunehmend zur Entmischung der Bevölkerung nach sozialem Status oder Migrationshintergrund.

(Bayerischer Städtetag/avd)