Rückblick auf ein ereignisreiches Leben: Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel stellt seine Autobiografie vor. (Foto: Picture Alliance/Peter Kneffel/dpa)
Memoiren

„Es ist ein spannendes Leben gewesen“

Wie kaum ein anderer Politiker hat Theo Waigel die deutsche und europäische Geschichte geprägt. Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag hat er jetzt seine Erinnerungen unter dem Titel "Ehrlichkeit ist eine Währung" veröffentlicht.

„Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich manchmal weiche Knie bekommen.“ Mit diesem Geständnis kommentiert der CSU-Ehrenvorsitzende und frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel seine lange Karriere als Politiker. Im Gespräch mit der Journalistin Ursula Heller hat Waigel am Donnerstag seine Autobiografie vorgestellt. Sie trägt den programmatischen Titel: „Ehrlichkeit ist eine Währung“.

Verbiegen war noch nie meine Sache.

Theo Waigel

Pünktlich zu seinem Ehrentag, am 22. April wird er 80 Jahre alt, lässt Waigel auf 350 Seiten sein bisheriges Leben Revue passieren. Angefangen bei der Kindheit im schwäbischen Oberrohr bis zu den weltpolitischen Ereignissen, die er an der Seite von Bundeskanzler Helmut Kohl mitgestaltet hat. Ziel der Autobiografie sei es, persönliches zu erzählen, „ohne Privates preiszugeben. Meine ehrliche Überzeugung sollte zum Ausdruck kommen, Verbiegen war noch nie meine Sache“, schreibt er im Vorwort.

Der Verlust des Bruders

Geboren wurde Waigel als Sohn eines Kleinbauern im nordschwäbischen Landkreis Günzburg. Der gläubige Katholik verließ schweren Herzens seine Heimat, um in München und Würzburg Jura zu studieren. So erfolgreich sich seine politische Vita im Rückblick liest, auch er muss in seinem Leben viele Enttäuschungen verkraften – auch davon erzählt er in seinem Buch.

Ausführlich geht er dabei auf den Tod seines älteren Bruders Gustl im Zweiten Weltkrieg ein, zitiert aus Briefen von der Front, die für ihn bis heute ein „Zeugnis gegen Krieg und Nationalismus“ sind. Er habe die Briefe auch deshalb in sein Buch aufgenommen, erzählt er, um den Gefallenen zu zeigen, „dass wir aus der Geschichte gelernt haben“. Waigel meint damit das geeinte Europa: „Deutschland in Europa ist das Beste, das uns passieren konnte“, sagt er.

30 Jahre Bundespolitik

1960 trat Waigel in die CSU ein, in die Junge Union gar schon drei Jahre früher. Von 1982 bis 1989 war Waigel Chef der Landesgruppe, von 1988 bis 1999 CSU-Chef. Bundespolitiker wollte Waigel eigentlich nie werden, lieber wäre er Landrat in seiner Heimat Krumbach geworden. Doch der Landkreis wurde aufgelöst. Dafür eröffneten sich neue Wege: 1972 zieht er in den Bundestag ein, ihm gehört er bis 2002 an.

CSU und CDU müssen nicht nur vereint schlagen, sondern auch gemeinsam marschieren.

Theo Waigel

In diesen 30 Jahren konnte er an vielen historischen Ereignissen und Entscheidungen teilhaben: vom legendären Kreuther Trennungsbeschluss der CSU über die deutsche Wiedervereinigung bis zur Europäischen Währungsunion.

Das Protokoll von Kreuth

Dem Kreuther Trennungsbeschluss von 1976, jener Zerreisprobe von CSU und CDU, widmet er sich im Buch in bemerkenswerter Detailtiefe. „Ich bin der einzige, der ein Protokoll von Kreuth hat“, sagt Waigel. In Steno habe er mitgeschrieben, was gesagt wurde. Seine Überzeugung lautete damals wie heute: „CSU und CDU müssen nicht nur vereint schlagen, sondern auch gemeinsam marschieren. Sie gehören als Einheit zusammen.“ Entsprechend zufrieden zeigt er sich über den derzeitigen Zustand der Union: „Der Kurs, der jetzt gesteuert wird, gefällt mir sehr gut.“

Neuneinhalb Jahre war Waigel Bundesfinanzminister – so lange wie kein anderer. In diese Zeit fielen Weltereignisse wie die deutsche Wiedervereinigung und die Einführung des Euro. Obwohl er, wie die CSU insgesamt, davon überzeugt war, dass „über die deutsche Teilung das letzte Wort nicht gesprochen war“, kamen auch für ihn die Ereignisse des Jahres 1989 unvorhergesehen. In der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, so schreibt Waigel freimütig, habe es kein Konzept für den Fall der Wiedervereinigung gegeben. Umso spannender liest sich seine Schilderung der 327 Tage, die zwischen dem Fall der Mauer und der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 lagen.

Der Vater des Euro

Waigels wohl größtes politisches Erbe findet sich aber in Portemonnaies in ganz Europa: der Euro. Als Bundesfinanzminister schlug er den Namen 1995 für die gemeinsame europäische Währung vor. Mit Erfolg. Der Europäische Rat gab grünes Licht und bescherte dem CSU-Politiker prompt einen Spitznamen, den er Zeit Lebens behalten sollte: „Mister Euro“.

Ich erfreue mich am Leben und blicke gelassen auf das, was noch kommt.

Theo Waigel

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag blieb Waigel der CSU eng verbunden. 2009 machte die Partei ihn zum Ehrenvorsitzenden, damit ist er auf Lebenszeit Mitglied im Parteivorstand. Und als Vorsitzender der Münchner Europa Konferenz organisiert er regelmäßig überparteiliche Diskussionsveranstaltungen – dank seiner engen Kontakte meist hochkarätig besetzt.

Schnurrbärte über den Augen

Natürlich kommt auch Waigels markantestes Merkmal im Buch zur Sprache: Seine buschigen Augenbrauen, die für Karikaturisten ein Geschenk waren. Sie zu stutzen, komme nie in Frage, betont er: „Jetzt im Alter wachsen die Schnurrbärte ungeordneter, ich lasse sie von niemandem verändern. Man sollte zu dem stehen, was man ist. Etliche gut gemeinte Versuche, den Wildwuchs zu zähmen, habe ich abwehren müssen.“

Wer Waigels Buch liest oder ihn trifft, merkt eines sofort: Der dreifache Vater ist mit sich im reinen. Anders als viele andere hat er es geschafft, das Ende seiner Karriere ohne Argwohn und Verlustängste zu meistern. „Ohne Irene wäre ich heute – da bin ich sicher – ein trauriger, verbitterter alter Mann“, schreibt er in seinem Buch und dankt dafür seiner zweiten Frau und dem gemeinsamen Sohn: „Mit ihr und Konstantin, der unser Glück vollkommen machte, erfreue ich mich am Leben und blicke gelassen auf das, was noch kommt.“

(dpa/BK)