Das Hyperloop-Team der TU München hält den aktuellen Geschwindigkeitsweltrekord. (Foto: TUM/WARR Hyperloop Team)
Raumfahrt

Bayern greift nach den Sternen

Die Luft- und Raumfahrtindustrie hat maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufstieg Bayerns beigetragen. Jetzt knüpft die Staatsregierung an diese Erfolgsgeschichte an und investiert kräftig in die Entwicklung neuer, zukunftsweisender Technologien.

Der Aufstieg der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie grenze für ihn an ein Wunder, sagte Franz Josef Strauß drei Tage vor seinem Tod, als er am 30. September 1988 in Augsburg eine Produktionsstätte für die europäische Trägerrakete Ariane 5 eröffnete. Die Inbetriebnahme der Fabrik in Schwaben stand für ihn auch für den Aufstieg des „wirtschaftlich rückständigen“ Agrarlands Bayern zum „Zentrum der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie“.

An diesem Aufstieg hatte Strauß sowohl als Bundesminister als auch als Ministerpräsident einen großen Anteil. Bereits seit den fünfziger Jahren hatte er sich vehement und gegen zahlreiche Widerstände dafür eingesetzt, diese Technologien und Industriezweige in Deutschland und in Bayern erneut zu etablieren.

Fortsetzung der Erfolgsgeschichte

Dreißig Jahre nach Strauß Tod knüpft die bayerische Staatsregierung an seine Politik an. Das Kabinett beschloss am Dienstag die umfassende Raumfahrtstrategie „Bavaria One“. Mehr als 700 Millionen Euro werde der Freistaat in den kommenden Jahren investieren, um zu „Europas Nr. 1 in der Luft- und Raumfahrt“ zu werden, erklärte Ministerpräsident Markus Söder. Er hatte das Luft- und Raumfahrtprogramm bereits in seiner Regierungserklärung im April angekündigt.

Im Grunde gehen wir ins Weltall, um einen besseren Blick auf die Welt zu bekommen, einen besseren Blick für die kleinen Probleme, die wir hier haben.

Ministerpräsident Markus Söder

„Die Luft- und Raumfahrt hat Bayern mit zu dem gemacht, was es heute ist: eine international führende High-Tech Region mit historisch niedriger Arbeitslosigkeit“, sagte der Ministerpräsident. „Mit unserer Raumfahrt-Strategie ‚Bavaria One‘ wollen wir jetzt das nächste Kapitel dieser beispiellosen Erfolgsgeschichte schreiben.“ Die Menschen in Bayern würden davon auf verschiedenste Weise profitieren, führte Söder aus: von neuen Arbeitsplätzen in der Forschung und Entwicklung bis hin zu neuen Satelliten-gestützten Anwendungen, die zum Beispiel die Landwirtschaft erleichtern und den Katastrophenschutz verbessern könnten.

Satelliten und Trägerraketen

Insgesamt umfasst die Raumfahrstrategie der Staatsregierung zehn Bereiche mit verschiedenen Einzelmaßnahmen. Dazu gehören unter anderem:

  • Die Gründung der größten Raumfahrtfakultät in Europa: Dazu wurde bereits eine neue TUM-Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie mit Hauptsitz auf dem Ludwig-Bölkow-Campus in Ottobrunn gegründet. Im Endausbau soll die neue Fakultät rund 50 Professuren umfassen und knapp 2.000 Studienplätze anbieten. Der Freistaat will pro Jahr über 30 Millionen Euro in die Fakultät investieren. Die Gesamtkosten werden mehrere hundert Millionen Euro betragen.
  • Die Entwicklung Bayerns zum führender Standort für Space Startups: Dazu will der Freistaat unter anderem das Gründerzentrum ESA Business Incubation Center Bavaria (ESA BIC) stärken. Seit seiner Gründung habe der ESA BIC Bavaria mit maßgeblicher finanzieller Unterstützung der Staatsregierung 1800 Arbeitsplätze im High-Tech-Bereich geschaffen und zukunftsweisende Unternehmen mit innovativen Ideen hervorgebracht.
  • Bayern soll zum weltweit führenden Standort für Erdbeobachtung werden. Dazu soll die Erdbeobachtungs-Infrastruktur des DLR in Oberpfaffenhofen ausgebaut werden. Ziel sei die stärkere Bereitstellung, Nutzung und Anwendung von Erdbeobachtungsdaten zum Nutzen von Mensch, Umwelt und Landwirtschaft.
  • Bayern soll als Kompetenzstandort für Satellitennavigation und Galileo weiterentwickelt werden. Gemeinsam mit dem Bund will die Staatsregierung den Aufbau eines DLR Galileo-Kompetenz-Zentrums in Oberpfaffenhofen vorantreiben, um dort das Galileo-Satelliten-System der nächsten Generation maßgeblich zu prägen und weiter zu entwickeln.
  • Die Staatsregierung will die grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung der Satellitentechnologie verstärken und die Technologieführerschaft bei Kleinsatelliten anstreben.
  • Bayern soll als führender Standort für die Entwicklung und Produktion von Technologien für Trägerraketen etabliert werden: Dazu soll die Forschungsförderung für Industrie, Hochschulen und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen ausgebaut werden. Im Mittelpunkt sollen dabei Trägerraketen unterschiedlicher Nutzlaste stehen.
  • Weltraumrobotik und Explorationstechnologie soll in Bayern entwickelt werden: Robotische Anwendungen ermöglichten Forschung an Orten, die der Mensch bis auf Weiteres nicht betreten wird, erklärt dazu die Staatsregierung. Beispiele hierfür seien Wartungsrobotik, Satellitenbetankungssysteme oder die Beseitigung von Weltraumschrott.

Impuls für die Wissenschaft

Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer soll als Raumfahrtkoordinator die Umsetzung von „Bavaria One“ vorantreiben. Er sehe große Wachstumschancen für Bayerns Wirtschaft zum Beispiel in den Bereichen Kommunikation, unbemannte Flugkörper, Erdbeobachtung und Satellitennavigation, sagte Pschierer. „Die Raumfahrt befindet sich global in einem rapiden politischen, ökonomischen und technologischen Wandel. Wir wollen diesen Wandel als High-Tech-Region nutzen und mitgestalten.“

Diese Strategie steht stellvertretend für den Mut, weit nach vorne zu schauen, und die Weitsicht, kraftvoll in die Zukunft zu investieren.

Wissenschaftsministerin Marion Kiechle

Wissenschaftsministerin Marion Kiechle bezeichnete „Bavaria One als „großartigen Impuls für Forschung und Wissenschaft in ganz Bayern“. Diese Strategie stehe „stellvertretend für den Mut, weit nach vorne zu schauen, und die Weitsicht, kraftvoll in die Zukunft zu investieren“.

Teststrecke für den Hyperloop

Die neue TU-Fakultät soll sich auch um die Entwicklung einer spannenden Zukunftstechnologie, den Hyperloop, kümmern. Hyperloop-Systeme sind ein völlig neuartiges Verkehrskonzept: Dabei werden Transportkapseln (sogenannte Pods) in einer fast luftleeren Röhre fortbewegt. Sie sollen einmal mit annähernd Schallgeschwindigkeit zwischen Metropolen verkehren, um Güter oder Menschen zu transportieren. Das Hyperloop-Team der TU München hat sich bereits dreimal in internationalen Wettbewerben durchgesetzt und hält aktuell mit 467 Stundenkilometern den Geschwindigkeitsweltrekord für Pods.

Wer spöttelt, verkennt, was eine Zukunftsaufgabe ist.

Markus Söder

Unter der Leitung des ehemaligen Astronauten und Lehrstuhlinhabers für Raumfahrttechnik an der TUM, Ulrich Walter, hat dazu eine Expertengruppe ein Forschungskonzept ausgearbeitet. Es sieht vor, ab 2019 Kapsel und Röhre für den Hyperloop synchron zu erforschen und zu entwickeln. Dazu will die Staatsregierung auf dem TUM-Gelände in Ottobrunn eine 400 Meter lange Hyperloop-Teststrecke errichten. Nach einer zweijährigen Startphase soll eine Machbarkeitsstudie untersuchen, wie eine großmaßstäbliche Referenzstrecke gebaut und die Hyperloop-Technologie kommerziell genutzt werden kann. Der Freistaat will rund zehn Millionen Euro in den Bau der Hyperloop-Teststrecke investieren und rund fünf Millionen Euro für die technische Infrastruktur.

Kritik der Opposition an den Plänen der Staatsregierung wies Söder zurück. „Wer spöttelt, verkennt, was eine Zukunftsaufgabe ist“, sagte er. Bayern werde auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn es den Blick in die Zukunft wagt. „Bavaria One“ sei kein Hirngespinst, sondern ein strategisches Technologiekonzept, das wirtschaftliche Anbindung und wissenschaftlichen Nutzen bringe, so der Ministerpräsident. „Im Grunde gehen wir ins Weltall, um einen besseren Blick auf die Welt zu bekommen, einen besseren Blick für die kleinen Probleme, die wir hier haben.“